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Clio-Guide: Mediengeschichte

Frank Bösch, Clio-Guide: Mediengeschichte, in: Clio Guide – Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften, hrsg. von Silvia Daniel, Wilfried Enderle, Rüdiger Hohls, Thomas Meyer, Jens Prellwitz, Claudia Prinz, Annette Schuhmann, Silke Schwandt, 3. erw. und aktualisierte Aufl., Berlin 2023–2024, https://doi.org/10.60693/52e0-8371

1. Einführung

Medien prägen in der Moderne in hohem Maße die gesellschaftliche Selbstverständigung und Wahrnehmung, soziale Normen oder auch die öffentliche Wissensbildung. Das politische Handeln beeinflussen mediale Vermittlungsformen ebenso wie individuelle Leitbilder oder Werte von sozialen Gruppen. Die Bedeutung der Medien nahm durch ihre ubiquitäre Verbreitung seit dem späten 19. Jahrhundert zu, sie spielten aber auch in der Vormoderne bereits eine zentrale Rolle. Fasst man Medien im weiten Sinne als Mittler von Kommunikation, sind sie seit Beginn der Menschheitsgeschichte konstitutiv, da Zeichen, Sprache oder Schrift schon immer die menschliche Verständigung strukturierten. Aber selbst wenn man „nur“ technische „Massenmedien“ betrachtet, wie bei den meisten Historiker:innen und Kommunikationswissenschaftler:innen üblich, hatten sie spätestens seit Einführung des Drucks eine entscheidende gesellschaftliche Relevanz, da sie nun vielen Menschen regelmäßig Zugang zu ähnlichen Kommunikationsangeboten ermöglichten. Die jeweils neuen Medien veränderten Vorstellungen, Inhalte, Handlungen und Bedeutungen, da der gleiche Gedanke auf Pergament, auf einem Flugblatt oder im Fernsehfilm anders formuliert, verarbeitet, verstanden und gespeichert wird.

Seit den späten 2000er Jahren sind zahlreiche geschichtswissenschaftliche Studien zur Mediengeschichte erschienen. Besonders die gesellschaftliche Bedeutung von Medien steht im Vordergrund ihrer Analysen.[1] Das verstärkte historische Interesse erklärt sich sicherlich aus ihrer Allgegenwart und Relevanz im derzeitigen Internetzeitalter. Die Etablierung der digitalen Medien historisierte zugleich die nunmehr „alten“ Medien als Forschungsgegenstände. Die Digitalisierung machte umfangreiche Zeitungs-, Film- und Bildbestände leicht zugänglich, die gerade in Qualifikationsarbeiten bevorzugt ausgewertet wurden. Zudem verstärkte der „Cultural Turn“ den Blick auf die Kommunikation, durch den sowohl die Populärkultur in den Blick der Forschung geriet als auch Wahrnehmungen und Diskurse, die meist medial geprägt sind. Ebenfalls recht jung ist der heutige Begriff „Medien“. Er etablierte sich erst in den 1960er-Jahren im öffentlichen Sprachgebrauch, um mit einem Oberbegriff unterschiedliche Kommunikationsmittel mit massenhafter Reichweite zu beschreiben. Begriff und Bedeutung wurden dabei aus dem amerikanischen Wort „Mass Media“ übertragen, das bereits in den 1920er-Jahren aufkam. Während insbesondere in den USA und Großbritannien, aber auch in Deutschland, ein starkes Interesse an der Mediengeschichte erkennbar ist, spielt sie bei Historiker:innen der süd- und osteuropäischen Länder bislang eine deutlich geringere Rolle.

2. Disziplinäre Zugänge zur Mediengeschichte

Wie der Begriff „Medien“ definiert wird und mit welchen Methoden und Schwerpunkten sie historisch untersucht werden, ist gerade in der deutschen Forschung sehr umstritten. Angelsächsische Mediengeschichten verzichten oft pragmatisch auf Begriffsdiskussionen und setzen die alltagssprachliche Bedeutung von Medien im Sinne von „Massenmedien“ voraus, die dann auch im Mittelpunkt ihrer „Media History steht. In Deutschland firmiert dagegen unter den Begriffen „Medien“ und „Mediengeschichte“ je nach Forschungsdisziplin sehr Unterschiedliches. Entsprechend unterscheiden sich auch die digital verfügbaren Fachzeitschriften, Fachgesellschaften und Portale für wissenschaftliche Texte.

Die Kommunikationswissenschaft ist die Disziplin, die sich am längsten mit der Geschichte der Medien auseinandergesetzt hat. Sie formierte sich in den 1920er-Jahren in den USA, um die Funktionsweise der Public Opinion sozialwissenschaftlich zu untersuchen. Vor allem die Propaganda der europäischen Diktaturen führte im folgenden Jahrzehnt zur empirischen Medienwirkungsforschung, wobei Paul F. Lazarsfelds Arbeiten zum Radio und zur Meinungsforschung wegweisend waren. In Deutschland etablierte sich hingegen die eher geisteswissenschaftlich ausgerichtete Zeitungswissenschaft in den 1920er-Jahren an einigen Universitäten, die seit den 1970er-Jahren nun ebenfalls sozialwissenschaftlich arbeitet. Bis heute dominiert dabei ein enger Medienbegriff, der Medien vor allem als jene technischen Mittel fasst, die zur Verbreitung von Aussagen an ein potentiell unbegrenztes Publikum geeignet sind. Vgl. als wichtige Darstellungen: Stöber, Rudolf, Mediengeschichte. Die Evolution "neuer" Medien von Gutenberg bis Gates, 2 Bde., Wiesbaden 2003; Wilke, Jürgen, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, 2. Aufl., Köln 2008. Insbesondere mit quantifizierenden Methoden untersucht die Kommunikationswissenschaft Inhalte, Akteur:innen und Strukturen von Massenmedien wie der Presse, des Radios und des Fernsehens, neuerdings auch des Online-Journalismus. Der digitale Zugang zu Medienquellen erleichterte entsprechend ihre traditionell statistisch orientierten Analyseverfahren. Für historische Analysen verwendet sie vornehmlich den Begriff „Kommunikationsgeschichte“. Organisiert sind die kommunikationshistorischen Aktivitäten in den „History“- bzw. „Communication History“- Sektionen der International Association for Media and Communication Research (IAMCR) und der European Communication Research and Educational Association (ECREA) sowie in Deutschland in der Sektion „Kommunikationsgeschichte“ der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuk). Medienhistorische Beiträge finden sich gelegentlich in Fachzeitschriften wie Medien & Kommunikationswissenschaft, der Publizistik oder dem European Journal of Communication. Durchweg medienhistorische Analysen, vorwiegend aus der Kommunikationswissenschaft, bieten etwa Rundfunk und Geschichte (das Organ des gleichnamigen Studienkreises), das Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte sowie medien & zeit aus Österreich. Das internationale Organ Media History versammelt Beiträge zu „Massenmedien“ der Neuzeit, vornehmlich zum Journalismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Insgesamt hat die Bedeutung und Zahl der medienhistorischen Studien in der Kommunikationswissenschaft bzw. der sozialwissenschaftlich orientierten Mediengeschichte jedoch stark abgenommen. Nur noch wenige Professuren in Deutschland haben einen derartigen Forschungsschwerpunkt, wie etwa an der FU Berlin.

In markanter Abgrenzung dazu etablierte sich, besonders in Deutschland, seit den 1980er-Jahren die kulturwissenschaftlich ausgerichtete Medienwissenschaft, die stärker historisch orientiert ist, da sie aus den Film-, Theater- und Literaturwissenschaften heraus entstand. Das literaturwissenschaftliche Interesse an der Populärkultur bildete einen Ausgangspunkt. Ein weiterer war die breite Rezeption von Marshall McLuhans Neudeutung des Medienbegriffs der 1960er-Jahre, der Medien als Körperausweitungen fasste, wozu er etwa Brillen, Geld oder das Rad zählte. Als eigentliche Botschaft eines Mediums sah er dessen soziale Auswirkungen, „die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt“.[13] Innerhalb der Medienwissenschaft bestehen wiederum heterogene Schulen mit ästhetischen, philosophischen oder technischen Schwerpunkten. Überwiegend eint sie ein kulturwissenschaftlicher Ansatz und ein sehr weiter Medienbegriff. Inhaltlich im Vordergrund stehen – je nach Schule – ästhetische Analysen zu einzelnen Medienprodukten (besonders von Filmen und Fernsehgenres) sowie, oft eher ideengeschichtlich, der Wandel von Wissensordnungen, Praktiken und Wahrnehmungen im Zuge der Mediengenese.[14] Für eine Auseinandersetzung mit den aktuellen Ansätzen und dem Selbstverständnis der deutschen Medienwissenschaft empfiehlt sich die Zeitschrift für Medienwissenschaft oder das jährlich publizierte Archiv für Mediengeschichte der medienphilosophisch orientierten „Weimarer Schule“. Weitere Fachperiodika wenden sich besonders der Filmgeschichte zu, wie Nach dem Film, montage av oder Fotogeschichte. International wichtige Zeitschriften sind etwa Film History, Cinema Journal oder Screen. Dass die Grenzen zwischen den Disziplinen im Ausland weicher sind, zeigt auch ein Blick in internationale medienhistorische Fachzeitschriften wie das Historical Journal of Film, Radio and Television, das kommunikations- und medienwissenschaftliche Elemente aufweist und auch für Historiker:innen anschlussfähig ist. Gleiches gilt für die online edierte Zeitschrift VIEW. Journal of European Television History and Culture.

In der Geschichtswissenschaft entstanden zwar seit dem 19. Jahrhundert immer wieder medienhistorische Studien, die etwa Flugblätter, Zeitungen oder Verlagshäuser analysierten, aber erst seit den späten 1990er-Jahren nahmen derartige Arbeiten zu und gewannen ebenfalls ein eigenes methodisches Profil. Nun kam es zu einer Abkehr von Ansätzen, die Medien inhaltsanalytisch als einen (verzerrten) Spiegel der Realität untersuchten. Stattdessen wurde die eigene gesellschaftsprägende Kraft von Medien analysiert und sie damit als eigene soziale Realität verstanden.[25] Der Medienbegriff der Geschichtswissenschaft ist mittlerweile recht vielfältig. Die meisten Zeithistoriker:innen präferieren eher einen engen Medienbegriff im Sinne der Kommunikationswissenschaft und untersuchen vor allem technische „Massenmedien“ wie die Presse, das Radio, Fernsehen, Fotos oder auch Filme. Dagegen steht bei Studien zur Vormoderne zwar ebenfalls die gedruckte Publizistik im Mittelpunkt, aber auch symbolische Kommunikationsmittel im weiteren Sinne (wie Kirchenfenster, Architektur u.ä.) werden berücksichtigt. Historiker:innen haben dabei zumeist weniger Interesse an den Medien selbst als an ihrer gesellschaftlichen Rolle. Entsprechend untersuchen viele Arbeiten die Beziehung zwischen Medien und Politik (etwa in Diktaturen oder in der demokratischen Praxis)[26], ihre Bedeutung für unterschiedliche Gruppen oder ihre Rolle für die Ausbildung von Normen, Wissen oder sozialen Praktiken. Darüber hinaus beleuchten viele Historiker:innen aber auch vermehrt, ähnlich wie die Kommunikationswissenschaft, die Rolle von journalistischen Akteur:innen (etwa von Auslandskorrespondent:innen), Nachrichtenagenturen oder konkreten Medieninhalten.[27] Besondere Aufmerksamkeit fand zudem die „Visual History“, die die Genese, Wirkung und Verwendungsweisen von Bildmedien untersucht.[28] Neuerdings entstehen auch erste Studien zur Geschichte der Computer und der digitalen Kommunikation.[29] Obwohl die medienhistorische Forschung der Geschichtswissenschaft mittlerweile durch zahlreiche Publikationen und Verbundprojekte etabliert ist, verfügt sie bisher über keine eigene bundesweite oder internationale medienhistorische Arbeitsgruppe, kaum über denominierte Professuren oder eigene Fachzeitschriften. Medienhistorische Beiträge erscheinen verstreut in allen Journalen, häufiger etwa in WerkstattGeschichte, den Zeithistorischen Forschungen oder in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Von den online verfügbaren Rezensionsportalen werden besonders auf H-Soz-Kult häufig medienhistorische Arbeiten besprochen.

3. Digitale Quellen und Informationsresscourcen

Generell sind medienhistorische Fachbeiträge nicht häufiger online verfügbar als andere Schwerpunktthemen der Geschichtswissenschaft. Vielmehr erscheinen sie weiterhin überwiegend in gedruckter Form und sind über die üblichen Fachportale der Geschichtswissenschaft und die Datenbanken der Bibliotheken online einsehbar. Lediglich Studien zur digitalen Geschichte erscheinen deutlich häufiger im Open Access, wie etwa die Buchreihe Studies in Digital History and Hermeneutics oder das Journal of Digital History.

Deutlich häufiger als andere historische Quellen der Moderne sind hingegen mediale Überlieferungen online zugänglich, freilich je nach Medium, Epoche und Herkunftsland in sehr unterschiedlichem Maße. Der jeweilige Zugang hat dabei Einfluss auf die Forschungsfragen und Methoden. So ermöglichte die Digitalisierung von Zeitungen und Zeitschriften etwa erst deren umfassende Auswertung auch mit quantitativen Methoden, was bei Filmen und Fotos bislang noch kaum möglich ist. Ebenso erklärt sich der Aufschwung der „Visual History“ auch aus den online verfügbaren Bild- und Filmquellen, wobei gerade das scharfe deutsche Urheberrecht die digitale Verbreitung von Fotos und Filmen seit 1945 massiv einschränkt. Generell ist der Zugang zu jüngeren medienhistorischen Quellen im Internet aus urheberrechtlichen Gründen schwieriger als bei anderen Überlieferungen, da sie in der Regel zur kommerziellen Verwertung erstellt wurden. Im internationalen Vergleich ist die rechtliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland besonders restriktiv, selbst oder vielmehr gerade auch bei Zeugnissen des gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks.[36]

Es existieren kaum übergreifende Portale, die umfassend Zugang zu unterschiedlichen mediengeschichtlichen Quellen und Studien bieten, etwa zu Themen in Fernsehen, Radio und Presse zugleich. Vielmehr legen die meisten Portale Schwerpunkte auf die einzelnen unterschiedlichen Medien, weshalb auch diese Einführung medienspezifisch gegliedert ist.

3.1 Printmedien

Die Digitalisierung von Zeitungen und Zeitschriften hat seit Anfang des 21. Jahrhunderts stark zugenommen. Deutsche Printmedien sind bislang jedoch im Vergleich zu westlichen Nachbarländern vergleichsweise wenig digital erfasst worden, obgleich Deutschland historisch die wohl größte Vielfalt an Zeitschriften und Zeitungen aufweist. So stehen in Großbritannien mit dem British Newspaper Archive hunderte digitalisierte Zeitungen mit 61 Millionen Seiten (Stand 12/2022) zur Volltextsuche zur Verfügung. Weitere wichtige Zeitungen, wie insbesondere die Times (seit 1785) oder der Guardian, sind von Bibliotheken aus als Volltext einsehbar. Insbesondere in den USA haben vielfach auch kommerzielle Unternehmen (wie NewspaperArchive) zahlreiche Zeitungen erfasst, die gegen relativ geringe Gebühr einen umfassenden Volltextzugang bieten. Besonders das Portal ProQuest Historical Newspapers bietet Zugang zu mehr als sechzig (Stand 12/2022) wichtigen englischsprachigen Zeitungen und kann von großen Bibliotheken aus eingesehen werden. Neben rechtlichen Fragen dürfte die größere Bedeutung der Ahnenforschung in den angelsächsischen Ländern dazu beigetragen haben, dass hier ein kommerzieller Markt auch für digitalisierte regionale Printmedien entstand. Dies führte dazu, dass in angelsächsischen Studien viel systematischer Zeitungsquellen in die Forschung eingebunden wurden.

Digitalisierte Zeitungen ermöglichen damit, stärker als andere Medien, einen globalhistorischen Zugang zur Vergangenheit, wenngleich westliche Perspektiven dominieren. Einen weltweiten Überblick über digitalisierte Zeitungen auch außerhalb westlicher Demokratien bietet die Plattform International Coalition on Newspapers (ICON) an, die u.a. aus den meisten afrikanischen und asiatischen Regionen Zeitungen aufführt. Nach eigener Statistik finden sich hier 180.000 Publikationen aus 172 Ländern (Angabe 12/2022), die auch durch anschauliche Visualisierungen auffindbar sind; allerdings sind viele davon nicht digitalisiert, sondern lediglich die Fundorte der Mikrofilme in US-Bibliotheken angegeben. Der sehr unterschiedliche Grad der Digitalisierung erschwert damit die Umsetzung des Anspruches, Perspektiven jenseits des Westens einzunehmen.

Wie angedeutet erschwert das deutsche Urheberrecht die Digitalisierung von deutschen Zeitungen und Zeitschriften seit 1945 und sogar seit 1933 massiv. Vor allem die Rechte an den dort abgedruckten Fotos führten dazu, dass auch jüngere Projekte zur Digitalisierung von Zeitungen meist nur bis 1933 reichten. Bereits als Faksimile frei zugängliche pdf-Dateien von Blättern wie dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel oder der ZEIT sind aus Angst vor Urheberrechtsklagen seit einigen Jahren nur noch als Volltext zugänglich. Für die Forschung birgt das erhebliche Probleme: Der Zusammenhang von Bild und Text geht durch die fehlenden Fotos verloren, ebenso die Möglichkeit, Druckbild und Kontexte am Bildschirm zu erforschen. Dafür ist der Blick in die gedruckte Ausgabe meist weiterhin nötig. Zudem verengt sich die medienhistorische Forschung in der Zeitgeschichte auf wenige online zugängliche Blätter, während die Vielfalt gerade der deutschen Zeitungslandschaft für die Zeit vor 1933 durch die Digitalisierung viel stärker zum Ausdruck kommt. Wichtige Blätter, wie etwa die BILD-Zeitung als das mit Abstand auflagenstärkste Blatt in Deutschland und Europa, sind bislang nicht digital für Wissenschaftler:innen zugänglich.

Einen sehr guten ersten Einstieg in die Volltextsuche bietet das Deutsche Zeitungsportal. Es erlaubt eine Volltextsuche für die Zeit von 1671 bis 1952, die die Suchergebnisse im Zeitverlauf auch visuell aggregiert und direkt auf die Zeitungsseiten führt. Derartige Portale eröffnen neue Perspektiven für die Begriffsgeschichte, die im vordigitalen Zeitalter vornehmlich akademisches Schriftgut ausgewertet hatte. Neuere Forschungsprojekte, etwa zur Begriffsgeschichte des 20. Jahrhundert, arbeiten entsprechend auch mit diesen digitalisierten Zeitungen.[46] Eine recht zuverlässige Bestandsaufnahme über alle in deutschen Bibliotheken zugänglichen Zeitungen und Zeitschriften bietet der ZDB-OPAC. Dieser ermöglicht zwar meist keinen direkten Zugang zu den Periodika, vermerkt aber zumindest, ob und von wo ein elektronischer Zugang möglich ist. Die hier versammelten digitalisierten Periodika können nur exemplarisch angeführt werden.

Zu den herausragenden und in der Forschung häufig genutzten Digitalisierungen der letzten vier Jahrhunderte zählen etwa die älteste erhaltene Zeitung der Welt, die Relation von 1609, das Satireblatt Kladderadatsch (1848–1944), die Vossische Zeitung (1848–1934) oder auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (1949 bis heute). Da die Digitalisierungen von kommerziellen Unternehmen vorgenommen wurden, die hohe Zugangspreise verlangen, ist die Nutzung jedoch oft nur von ausgewählten Bibliotheken aus möglich. Einen kostenlosen digitalen Archivzugang für jede:n Nutzer:in bieten dagegen Der Spiegel und Die Zeit, die auf diese Weise in der zeithistorischen Forschung zu vielzitierten Quellen wurden. Wenig bekannt ist, dass die gegenwärtig wichtigsten Zeitungen der Bundesrepublik (wie die Süddeutsche Zeitung) durchaus digitalisiert, aber der Forschung nicht frei zugänglich sind und daher nicht in Bibliothekskatalogen erscheinen. Journalist:innen nutzen hingegen für ihre Recherche den gebührenpflichten Zugang. Es lohnt, bei den Portalen und großen Bibliotheken einmal die Liste aller verfügbaren digitalen Zeitungen durchzugehen. Denn hier lassen sich zahlreiche kleine Spezial-Blätter entdecken, die Forschungen anregen können. So verfügt etwa die Staatsbibliothek zu Berlin über digitale Blätter zu Auslandsdeutschen (wie das Argentinische Wochenblatt 1942–46), zu Gerichtsblättern (wie die Berliner Gerichts-Zeitung 1853–1898) oder über zahlreiche Kolonialzeitungen wie der Deutsch-Ostafrikanischen Zeitung (1899–1916). Generell sind häufig Blätter von und für Deutsche im Ausland digitalisiert worden.

Auffällig ist dennoch, gerade im internationalen Vergleich, dass die meisten großen Zeitungen der deutschen Geschichte bislang nicht digitalisiert wurden – von der liberalen Massenzeitung BZ am Mittag (1904–1944) über das NSDAP-Blatt Völkischer Beobachter (1920–1945) bis hin zur BILD-Zeitung.[53] Sie müssen weiterhin in den großen Bibliotheken, die über Zeitungssammlungen verfügen, eingesehen werden. Besonders umfangreich sind diese in der Staatsbibliothek zu Berlin (Abteilung Westhafen), dem Institut für Zeitungsforschung in Dortmund oder an Universitäten mit einer frühen Professur für Zeitungswissenschaften, wie Münster, München oder auch Köln, wo der Historiker Martin Spahn ab 1920 einen pressegeschichtlichen Schwerpunkt aufbaute.

Einen hilfreichen Einstieg für die Forschung bieten Online-Portale mit regionalen, thematischen und epochalen Schwerpunkten. So ermöglicht das DDR-Presseportal Zugang zum Volltext von drei wichtigen SED-Blättern (Neues Deutschland, Berliner Zeitung und Neue Zeit). Ergänzend dazu liefert das vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam erstellte Portal Presse in der DDR Hintergrundinformationen zum DDR-Pressesystem und den digitalisierten Zeitungen. Einzelne Wissenschaftler:innen nutzten dies, um sich der DDR begriffsgeschichtlich anzunähern. Andere Portale bieten Zugang zur digitalisierten Presse verschiedener Regionen (etwa digiPress – Digitalisierte Zeitungen Bayerns). Als Beispiel für eine umfangreiche thematische Sammlung sei das von der Universität Frankfurt bereitgestellte Portal Compact Memory erwähnt, das unter anderem eine umfangreiche Sammlung digitalisierter jüdischer Periodika aufführt. Ebenso liegt mit Exilpresse Digital eine breite Auswahl deutschsprachiger Exilperiodika für die Zeit 1933–1945 digital vor. Die größte Sammlung deutschsprachiger Zeitungen im Ausland beherbergt das Internationale Zeitungsmuseum in Aachen, das die Recherche online ermöglicht.

Relativ ausgiebig sind hingegen die digitalen Bestände zu Drucken der Vormoderne bis zum 18. Jahrhundert, da hier in der Regel keine Urheberrechtsprobleme bestehen und der Seitenumfang gering ist. Das Zentrale Verzeichnis der digitalisierten Drucke ermöglicht eine Suche, die nach Jahrhunderten geordnet ist. Eine der weltweit größten Pressesammlungen für die deutschsprachige Presse des 17./18. Jahrhunderts findet sich im Institut für Presseforschung der Universität Bremen. Während die Bestände vorwiegend nur als Originale und Mikrofilme zugänglich sind, gewährt die Homepage eine fundierte Einführung in die Sammlungsschwerpunkte. Ähnliches gilt für die Sammlungen des Instituts für Zeitungsforschung in Dortmund oder die Bestände des Zeitungsmuseums in Aachen, die auch Plakate archivieren. Frühzeitig, bereits im 19. Jahrhundert, begann die Erschließung von nicht-periodischen Medien wie Flugblättern bzw. Einblattdrucken, die lange einen Forschungsschwerpunkt der Mediengeschichte der Frühen Neuzeit bildeten. Neben zahlreichen Bibliographien liegen nun auch, insbesondere etwa von der Bayerischen Staatsbibliothek, online Bestände vor.

Viele Historiker:innen, die mit Pressequellen arbeiten, werten nicht komplette Zeitungen aus, sondern nutzen Presseausschnittsammlungen. Diese wurden bislang jedoch nur vereinzelt digitalisiert. Hervorzuheben ist, etwa für die Wirtschaftsberichterstattung, die digitalisierte Sammlung Pressearchiv 20. Jahrhundert – historische Pressearchive der ZBW des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs, die immerhin über 5,7 Millionen Zeitungsausschnitte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts umfasst. Andere wichtige Sammlungen von Ausschnitten, die sich für jede thematische Suche anbieten, müssen hingegen weiterhin in Archiven aufgesucht werden – wie etwa für die thematisch sortierte breite Sammlung des Reichslandbunds des Kaiserreichs (Bundesarchiv/Lichterfelde Bestand: R 8034), die Biographische Presseausschnittsammlung der DDR (Bundesarchiv/Lichterfelde Bestand: DX 10), das Zeitgeschichtliche Archiv (ZGA) mit rund zwei Millionen Artikeln aus west- und ostdeutschen Zeitungen seit 1945 oder für die Bundesrepublik die Ausschnitte der politische Stiftungen und des Bundestages.

Kaum digital zugänglich oder überhaupt überliefert sind in Deutschland, wiederum im Unterschied zu Großbritannien oder den USA, Begleitmaterialien zur Arbeit von Journalist:innen. Lediglich von einzelnen Ausnahmejournalist:innen, wie Maximilian Harden, Theodor Wolff oder Marion Gräfin Dönhoff, haben die großen Archive Nachlässe gesichert. Leider bieten auch die großen Zeitungen und Nachrichtenmagazine (wie unter anderem Der Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung) selbst analog kaum Zugang zu ihren Redaktionsarchiven. Eine Ausnahme bildet etwa das Unternehmensarchiv der Axel Springer SE, allerdings ebenfalls ohne digitale Angebote.

3.2 Fotos und private Filme

Fotos sind ein wichtiger Teil der hier behandelten Printmedien. Zugleich haben sie darüber hinaus eine eigene Überlieferungsgeschichte. Das Internet hat zweifelsohne auch den Zugang zu Fotoquellen revolutioniert. Während früher Recherchen bei großen Bildagenturen oder Verlagen nötig waren, scheint heute der digitale Bilderschatz von Agenturen, Profi-Fotograf:innen und privaten Fotos auf Portalen wie Flickr unendlich groß. Für gezielte medienhistorische Recherchen mit eingegrenzten Suchbegriffen bietet es sich zunächst an, mit den digital verfügbaren Beständen der traditionsreichen Bildagenturen zu arbeiten. In internationaler Perspektive ist etwa das Bettmann-Archiv zu empfehlen, das Corbis aufgekauft hat, gettyimages, das Portal der dpa-Bildagentur picture alliance oder Alamy.[71]

Oft erhält man einen besseren Zugang, wenn man sich bei den Portalen angemeldet hat. In Deutschland ermöglicht besonders der Bestand von Ullstein Bild eine umfangreiche Suche nach Epochen, Themen und Namen ab dem späten 19. Jahrhundert. Auch die Bestände der Nachrichtenagentur dpa, picture alliance, weisen online eine Rubrik „Deutsche Geschichte“ auf, die nach Anmeldung verwendet werden kann. Die professionelle Gestaltung der Websites ermöglicht, dass die Bildnachweise recht detailliert und zuverlässig sind. Weiterhin lohnt es aber, überwiegend analog überlieferte große Bildillustrierte wie die Berliner Illustrierte Zeitung oder den Stern auszuwerten, wenn man visuelle Entwicklungen untersucht.[74] Denn erst so werden Kontexte und parallele visuelle Muster deutlich.

Neben kommerziellen Anbietern machen auch staatliche Einrichtungen historische Bilder zugänglich. Das Bundesarchiv, das bislang ca. 11 Millionen Fotos zur deutschen Geschichte archivierte, hat immerhin rund 245.000 Bilder (Stand 2022) aus unterschiedlichen Epochen über das Digitale Bildarchiv online freigeschaltet, die über eine Suchmaske oder auch mit Hilfe einer Themensuche recht präzise ermittelt werden können, insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus und der DDR. Immerhin rund zwei Millionen Bilder hat das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte - Bildarchiv Foto Marburg gesammelt, wobei der Schwerpunkt hier auf Kunst und Architektur liegt. Der in Kooperation mit Archiven aus anderen Ländern erstellte Bildindex präsentiert rund zwei Millionen Fotos online. Das Fotoarchiv der Illustrierten Stern, mit 15 Millionen Bildern eines der bedeutendsten der Bundesrepublik, ist als stern Fotoarchiv von der Bayerischen Staatsbibliothek digital zugänglich gemacht worden. Hier zeichnet sich eine wegweisende Kooperation zwischen kommerziellen und staatlichen Einrichtungen ab, zumal die Zeitschriften selbst kaum in der Lage sind, ihre gewaltigen Bestände angemessen digital zu erfassen und zu überliefern. Urheberrechtsprobleme können so leichter gemeistert werden.

Stärker noch als bei der Analyse der Presse hat sich zur historischen Erforschung von Fotografien eine methodische Debatte etabliert. Einführende kurze Essays zu Methoden und Debatten, aber auch zu einzelnen Fotograf:innen und Themen bietet die Seite Visual History. Besonders hilfreich sind auch die dortigen Hinweise zur Bildethik sowie zu rechtlichen Fragen. Kaum überschaubar sind die Websites und Portale, die sich mittlerweile zu spezifischen Motiven gebildet haben. Sie reichen von Arbeitstiere Online – Bildquellen zur Tierarbeit bis hin zu Graffiti digital. Das Informationssystem Graffiti in Deutschland[81]. Angesichts der Ausdifferenzierung sind Metadatenbanken für Bildüberlieferungen vonnöten.

Noch mehr als bei den Presseartikeln besteht bei den Bilddatenbanken die Gefahr, dass die Bilder ohne ihren Kontext behandelt werden, da sie selten in der Umgebung digital zugänglich sind, in der sie einst erschienen. Da die Kontextualisierung von Quellen zum Kerngeschäft der Geschichtswissenschaft gehört, müssen Hinweise zu ihren Urheber:innen, ihrer Auswahl und Nutzung weiterhin oft in analogen Archiven und Beständen geklärt werden. Nötig wären zudem digitale Archive, die nicht-öffentliche Amateurfotos sammeln wie beispielsweise private Fotoalben, die erst durch ihre Anordnung, Titel und Angaben zu den Besitzer:innen als visuelles Tagebuch interpretierbar werden. Denn obgleich mittlerweile zahlreiche Projekte die private Fotografie analysieren, fehlt ein Ort für eine analoge Aufbewahrung dieser wichtigen Zeugnisse.[82]

Neben den privaten Fotos entstanden ab den 1920er Jahren vermehrt private Schmalfilmaufnahmen. Auch diese „Home Movies“ wurden in der Forschung bislang selten analysiert.[83] Eine wegweisende, zugleich tief erschlossene Sammlung von Schmalfilmen zur DDR bietet die Open Memory Box: Über 400 Stunden privater Schmalfilme von 1949 bis 1989 werden hier mit Schlagworten durchsuchbar präsentiert. Zudem kommentieren einige der Filmproduzent:innen die Aufnahmen, womit die Erinnerungen der Akteure mit den Aufnahmen konfrontiert werden. Welches Potential derartige private Medienquellen für die Forschung haben, verdeutlicht ein flankierendes Portal, Die DDR im Schmalfilm, mit Fachartikeln dazu.

3.3 Film, Fernsehen und Radio

Vielleicht noch stärker als bei den Pressequellen liegt Deutschland hinter dem westlichen Ausland zurück bei der digitalen Zugänglichkeit von Quellen zum Fernsehen, Film und Radio. So existiert etwa in Frankreich mit dem Institut national de l’audiovisuel (INA) ein Film- und Rundfunk-Archiv mit einem umfassenden Online-Zugang zu audiovisuellen Quellen der letzten Jahrzehnte. Auch zeithistorische Nachrichtenbeiträge können hier eingesehen werden. In den USA sammeln große Bibliotheken wie die Library of Congress systematisch Film- und Audioquellen, von denen über 70.000 online frei zugänglich sind. In Großbritannien gewähren die BBC Archives auch online einen breiten thematischen Zugang zu historischen Radio- und Fernsehbeiträgen sowie einzelnen Dokumenten. Einen breiten und gut erschlossenen Überblick über das europäische audiovisuelle Erbe bietet das in enger Kooperation mit Rundfunkarchiven erstellte Portal EU Screen, das neben ausgewählten Videos Verlinkungen zu Archivbeständen bietet.

Vergleichbares sucht man auf den Seiten von ARD und ZDF oder der Deutschen Nationalbibliothek vergebens – und entsprechend selten sind deutsche Sendungen bei internationalen Portalen wie EU Screen vertreten. In Deutschland zwang das restriktive wettbewerbliche Recht sogar, Sendungen der Tagesschau der letzten Jahre aus den Mediatheken der Sender zu entfernen. Damit findet die wichtigste deutsche Nachrichtensendung in fast keiner zeithistorischen Studie Berücksichtigung. Eine bedeutende Ausnahme ist der Online-Bestand des Politik-Magazins Panorama, der für zahllose Themen zeitgenössische Beiträge seit dem Jahr 1961 bietet. Das bislang spärliche Medienangebot hat dazu beigetragen, dass historische Studien zu Deutschland bislang selten Fernsehquellen einbezogen haben, obgleich dies als das wichtigste Medium zwischen den 1960er und 2010er Jahren gelten kann. Gut erforscht sind lediglich die Programme und der Wandel der Organisationsstrukturen.[92]

Im Jahr 2020 startete das voll durchsuchbare Archivportal ARD retro mit einigen tausend Filmen seit den 1950er Jahren. In den kommenden Jahren sollen 40.000 ältere Fernsehbeiträge hinzukommen. ARD-retro ermöglicht eine vielversprechende Suche, die für künftige Studien hilfreich sein kann. Frei wählbare Begriffe wie „Gastarbeiter“ oder „Hausfrau“ verweisen auf zahlreiche Filmausschnitte, die einen hohen zeithistorischen Wert haben und für künftige Geschichtsstudien wichtig sind. Sehr nützlich sind auch die dort verfügbaren Fernbeiträge in retro DDR special, die besonders aus der Aktuellen Kamera und dem Magazin Prisma stammen. All diese Kurzfilme können jedoch nur der Ausgangspunkt für den Weg in die Rundfunkarchive sein, der aufwändig ist.

Bei der Recherche deutscher Radio- und Fernsehbeiträge ist das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) wegweisend. Während die Bestände zur DDR recht kompakt am DRA-Standort Potsdam/Babelsberg überliefert sind, bietet seine Frankfurter Dependance vor allem eine große Sammlung von Tonaufnahmen, auch zur Frühgeschichte des Radios bis 1945. Das DRA ist damit kein eigentliches Fernseh- und Radioarchiv für die Bundesrepublik, sondern eher ein Portal für die Recherche der Bestände in den Archiven der einzelnen Landesrundfunkarchive, wo die Recherche vor Ort fortgesetzt werden muss. Auch die Homepage bietet kaum Online-Bestände an. Da sich die Archive der Landesrundfunkanstalten als „Produktionsarchive“ verstehen, die primär den Journalist:innen im eigenen Haus zuarbeiten, ist der Zugang vor Ort oft kostspielig und mühsam. Ähnliches gilt für das Archiv des ZDF in Mainz, wenngleich sich die Archivar:innen auch hier um eine professionelle Betreuung bemühen. Eine recht vollständige Überlieferung des öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms haben wir hingegen für die letzten Jahrzehnte, nicht aber für die schriftlichen Redaktionsquellen. Doch gerade diese sind wiederum für die Kontextualisierung des Materials zentral.

Deutlich schlechter ist die Überlieferung und Zugänglichkeit bei den privaten Radio- und Fernsehsendern, die seit 1984 ihr Programm öffentlich ausstrahlen und nunmehr auch Gegenstand zeithistorischer Forschung werden. Die Programme der 1980er-Jahre sind kaum erschlossen und oft noch nicht einmal überliefert zudem gibt es weniger schriftliche Produktionsquellen, die für die Forschung genutzt werden könnten. Bei RTL in Luxemburg liegen zumindest einige entsprechende Quellen, aus denen erste Studien entstanden.[96]

Unverständlicherweise fehlt es bis heute an einer kompletten Online-Übersicht über die in Deutschland ausgestrahlten Fernseh- und Radioprogramme. Wer systematisch zur Rundfunkgeschichte forschen will, muss daher einerseits mit den Datenbanken des DRA bzw. des ZDF-Archivs vor Ort arbeiten, andererseits Fernsehzeitschriften wie die Hörzu auswerten, um an die gewünschten Informationen zu gelangen. Die derzeit nicht mehr fortgeführte Webseite TV Programm von gestern und vorgestern bietet nur erste, sehr unvollständige Einblicke in die Fernsehgeschichte, aber immerhin erste Anhaltspunkte. Daten zu Einschaltquoten sind ebenfalls nur vereinzelt online zugänglich, etwa von der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung zur Bundesrepublik oder aber über die Homepage des Deutschen Rundfunkarchivs zur Zuschauerforschung in der DDR.

Größere Sammlungen von Fernsehfilmen lassen sich für Forschungszwecke kostenfrei in den Mediatheken der Universitäten, Museen und anderer Forschungseinrichtungen einsehen. Eine auch thematisch sortierte Übersicht über viele, aber längst nicht alle derartigen Einrichtungen gewährt das Netzwerk Mediatheken. Besonders umfangreich sind die Bestände der Mediatheken etwa an großen medienwissenschaftlichen Instituten wie Bochum, Siegen, Marburg oder der Freien Universität Berlin. Hier finden sich am ehesten auch Mitschnitte von kommerziellen Fernsehprogrammen. Eine umfangreiche Sammlung von Fernsehfilmen und -dokumentationen zu historischen Themen bietet die Mediathek der Fachjournalistik Geschichte an der Universität Gießen. Da sich diese Mediatheken jedoch in einer rechtlichen Grauzone bewegen, sind ihre Kataloge häufig versteckt und die Einsicht oft nur vor Ort und nur für Universitätsangehörige mit einem konkreten Forschungsbezug möglich.

Sehr gute Möglichkeiten hingegen bestehen bei der Online-Recherche über Spielfilme. Die Analyse bekannter Spielfilme ist vor allem in medienwissenschaftlichen Studien etabliert, ebenso in historischen Arbeiten zur Erinnerungskultur. Seit der kulturgeschichtlichen Wende berücksichtigten Historiker:innen Filme häufiger als Quellen. Neben bekannten internationalen Portalen wie der Internet Movie Database, die grundlegende Informationen zu Filmen bietet, bildet für deutsche Recherchen die Seite Filmportal.de einen sehr guten Einstieg mit kurzen Informationen, mitunter Quellen und Besprechungen zu 150.000 Filmen und 240.000 Personen (Stand 12/2022). Bei der Recherche zu Filmen ist generell das Bundesarchiv/Abteilung Filmarchiv in Berlin der erste Anlaufpunkt mit rund einer Million Filmen, die seit den 1950er-Jahren gesammelt werden. Darüber hinaus sind hier Filmplakate, Drehbücher und Zensurunterlagen einsehbar, freilich im Unterschied zu anderen Ländern kaum online. Wer ältere (deutsche) Filme online sucht, wird am einfachsten bei weit verbreiteten kommerziellen Portalen wie YouTube fündig und weniger bei wissenschaftlichen Einrichtungen. Seit 2015 hat sogar die Nachrichtenagentur ap ihre Filmbestände unter AP Archive bei YouTube eingestellt. Die Überlieferung und Online-Dokumentation der Vorläufer der Nachrichtenjournale, der Wochenschauen, sind ebenfalls gut verfügbar. Vor allem, das Archiv der deutschen Wochenschauen des Bundesarchivs/Filmarchivs Berlin bietet Zugang zu über 6000 Sendungen.

3.4 Online-Medien

Die zeithistorische Forschung schreitet mittlerweile, den üblichen Abstand von 30 Jahren wahrend, in die 1990er Jahre voran. Damit erreicht sie die Zeit, in der Online-Medien aufkamen und die vorher etablierte digitale Kommunikation öffentlicher wurde. Erste Arbeiten zur Erinnerungskultur untersuchen diese bereits für Online-Medien.[107] Ebenso wird reflektiert, wie sich historische Erzählformen mit dem Internet verändert haben.[108] Selbst führende Archive, wie das Bundesarchiv, haben allerdings noch keine Umsetzung dafür gefunden, wie genuin digitale Quellen archiviert und verfügbar gemacht werden sollen.

Die Internetseiten, die seit den 1990er Jahren entstanden, sind wichtige Quellen für die Zukunft, aber oft nicht mehr zugänglich. Einen ersten Zugang bietet das Internet Archive, das bereits gelöschte und überschriebene Versionen von Webseiten seit 1996 speichert. Allerdings umfasst diese gemeinnützige „Wayback-Machine“ vornehmlich englischsprachige Seiten. Mittlerweile gibt es erste Initiativen von deutschen Bibliotheken, das kulturelle Erbe im Internet zu sammeln. Das Webarchiv der Deutschen Nationalbibliothek ist hier aktiv geworden, allerdings auf die deutschen Seiten mit .de-Domain beschränkt, wie bei Nationalbibliotheken üblich, zudem mit Schwerpunkt auf der deutschen Staats- und Hochkultur. Auch die Bayerische Staatsbibliothek bemühte sich bis 2016 in einem Pilotprojekt um eine Webarchivierung und hat dazu einen Pilotbericht entworfen, der besonders die Probleme der Qualitätskontrolle bei der Speicherung betont.[112] Wie bei anderen Medienquellen erschwert das strenge deutsche Urheberrecht den Zugang. So darf der Katalog des Webarchivs der Deutschen Nationalbibliothek nur in deren Räumen in Frankfurt/Main und Leipzig eingesehen werden. Zudem gibt es bereits einzelne Einrichtungen, die für ihr spezifisches Themeninteresse eigenständig Webseiten archivieren – etwa das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (apabiz) Seiten mit rechtsextremen Inhalten oder das SOMERA-Projekt des Archivs der Jugendkulturen e.V. Berlin Social Media und Webseiten zur Jugendkultur. Ältere Beiträge der Social Media sind oft archiviert, allerdings verlangt etwa der Kurznachrichtendienst Twitter recht hohe Summen für einen „Academic Research Track“, der ältere, nicht mehr online sichtbare Tweets bereitstellt. Analog zu Tagebucharchiven wären staatlich geförderte Einrichtungen wünschenswert, die auch Festplatten mit der digitalen Kommunikation von Privatpersonen sammeln. Derartiges würde Grundlagen für die Zukunft der Geschichte der digitalen Kommunikation legen.

4. Fazit

Die online verfügbaren Archiv-Ressourcen im Feld der Mediengeschichte sind zweifelsohne gewaltig und haben die Methoden und Themen in diesem Feld stark verändert. Vor allem ermöglichen sie die Analyse von großen Text-, Bild- und Filmkorpora und eine ergebnisoffenere Forschung. Zugleich wurde aber deutlich, dass in Deutschland durch das strenge Urheberrecht wesentlich weniger Forschungsressourcen online bestehen als in anderen westlichen Ländern. Insbesondere Fernseh- und Radioquellen, aber auch Digital- und Printmedien gelten in Deutschland offensichtlich in geringerem Maße als ein Kulturgut, das man der Forschung, Bildung und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Mediengeschichtliche Forschungen von Historiker:innen werden jedoch auch weiterhin nicht allein auf Online-Ressourcen aufbauen können. Maßgebliche Quellen zur Funktionsweise von Medien, ihrer gesellschaftlichen Bedeutung oder auch ihrer politischen Rolle finden sich immer noch analog in den klassischen Archiven.

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Fußnoten

  1. [1] Vgl. hierzu ausführlicher bereits: Bösch, Frank, Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck bis zum Computer, 2. erw. Aufl., Frankfurt am Main 2019; Briggs, Asa; Burke, Peter, A Social History of the Media: From Gutenberg to the Internet, 4. Aufl., Cambridge 2020.
  2. [13] McLuhan, Marshall, Die magischen Kanäle. Understanding Media, Düsseldorf 1992 [Originalausgabe 1964], S. 64.
  3. [14] Vgl. als medienwissenschaftliche Einführungen: Schanze, Helmut (Hrsg.), Handbuch der Mediengeschichte, Stuttgart 2001; Hörisch, Jochen, Eine Geschichte der Medien. Von der Oblate zum Internet, Frankfurt am Main 2004.
  4. [25] Vgl. zu den mediengeschichtlichen Ansätzen der Historiker:innen: Bösch, Mediengeschichte; Würgler, Andreas, Medien in der Frühen Neuzeit, München 2009.
  5. [26] Vgl. etwa: Daniel, Ute, Beziehungsgeschichten. Politik und Medien im 20. Jahrhundert, Hamburg 2018.
  6. [27] Vgl. etwa: Barth, Volker, Wa(h)re Fakten. Wissensproduktion globaler Nachrichtenagenturen 1835–1939, Göttingen 2019; Domeier, Norman, Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im "Dritten Reich", Göttingen 2022.
  7. [28] Vgl. Paul, Gerhard, Das Jahrhundert der Bilder, 2 Bde., Göttingen 2008/09; Vowinckel, Annette, Agenten der Bilder. Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert, Göttingen 2016; Visual History. Online-Nachschlagewerk für die historische Bildforschung https://visual-history.de/.
  8. [29] Vgl. Wichum, Ricky; Zetti, Daniela (Hrsg.), Zur Geschichte des digitalen Zeitalters, Wiesbaden 2022; Bösch, Frank (Hrsg.), Wege in die digitale Gesellschaft. Computernutzung in der Bundesrepublik 1955–1990, Göttingen 2018; Computerisierung und Informationsgesellschaft (=Zeithistorische Forschungen, 9 (2) (2012) https://zeithistorische-forschungen.de/2-2012).
  9. [36] Vgl. im internationalen Vergleich: Kramp, Leif, Gedächtnismaschine Fernsehen, Berlin 2011.
  10. [46] Das 20. Jahrhundert in Grundbegriffen. Lexikon zur historischen Semantik in Deutschland: https://www.zfl-berlin.org/projekt/das-20-jahrhundert-in-grundbegriffen.html.
  11. [53] Dagegen ist die Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachter digitalisiert für 1938–1945: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vob
  12. [71] Vgl. dazu: Lambrecht, Nicole; Gottschalk, Michael, Das dpa-Bildarchiv in Frankfurt, in: Visual History, 04.05.2022, https://visual-history.de/2022/05/04/lambrecht_gottschalk_das-dpa-bildarchiv-in-frankfurt/.
  13. [74] Einzelne Jahrgänge der Berliner Illustrierten Zeitungen digitalisierte die Bibliothek La Contemporaine: https://argonnaute.parisnanterre.fr/.
  14. [81] Papenbrock, Martin; Tophinke, Doris, Graffiti digital. Das Informationssystem Graffiti in Deutschland (INGRID), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 15.1 (2018), S. 159–172, URL: https://zeithistorische-forschungen.de/1-2018/5571.
  15. [82] Vgl. zuletzt: Wildt, Michael; Steinbacher, Sybille (Hrsg.), Fotos im Nationalsozialismus, Göttingen 2022.
  16. [83] Vgl. Thalheim, Sebastian, 8 mm DDR. Familienfilme als Alltagspraxis, Konsumgut und Erinnerungsmedium, Berlin 2021; Forster, Ralf, Greif zur Kamera, gib der Freizeit einen Sinn. Amateurfilm in der DDR, München 2018.
  17. [92] Steinmetz, Rüdiger; Viehoff, Reinhold (Hrsg.), Deutsches Fernsehen Ost: eine Programmgeschichte des DDR-Fernsehens, Berlin 2008; Hickethier, Knut, Geschichte des deutschen Fernsehens. Unter Mitarbeit von Peter Hoff, Stuttgart 1998.
  18. [96] Berg, Katja, Grenzenlose Unterhaltung. Radio Luxemburg in der Bundesrepublik 1957–1980, Göttingen 2021.
  19. [107] Hoskins, Andrew (Hrsg.), Digital Memory Studies. Media Pasts in Transition, London 2017; einzelne aktuelle Beispiele zu Twitter und YouTube in: Sebald, Gerd ; Döbler, Marie-Kristin (Hrsg.), (Digitale) Medien und soziale Gedächtnisse, Berlin 2017.
  20. [108] Steinhauer, Jason, History, Disrupted. How social media and the world wide web have changed the past, Cham 2022.
  21. [112] Vgl. Beinert, Tobias, Webarchivierung an der Bayerischen Staatsbibliothek, in: Bibliotheksdienst, 51 (2017), S. 490–499, https://doi.org/10.1515/bd-2017-0052.

Prof. Dr. Frank Bösch ist Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung und Professor für deutsche und europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam.

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Frank Bösch

Frank Bösch

Prof. Dr. Frank Bösch ist Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung und Professor für deutsche und europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam.