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Clio-Guide: Jüdische Geschichte im deutschsprachigen Raum

Miriam Rürup, Clio-Guide: Jüdische Geschichte im deutschsprachigen Raum, in: Clio Guide – Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften, hrsg. von Silvia Daniel, Wilfried Enderle, Rüdiger Hohls, Thomas Meyer, Jens Prellwitz, Claudia Prinz, Annette Schuhmann, Silke Schwandt, 3. erw. und aktualisierte Aufl., Berlin 2023–2024, https://doi.org/10.60693/rab6-wx13

1. Forschungskontexte deutsch-jüdischer Geschichte

1.1 Einführung und Forschungsstand

Die Geschichte der Juden ist immer auch die Geschichte des Ortes, an dem diese gelebt haben.[1] So eingängig diese scheinbar simple Feststellung klingen mag, so wenig selbstverständlich ist sie doch in der deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Denn die Jahre der nationalsozialistischen Verfolgung und der dazugehörenden Zerstörung von Synagogen, jüdischen Friedhöfen und der Plünderungen jüdischen Eigentums waren auch an den Zeugnissen jüdischen Lebens nicht spurlos vorübergegangen.

Nur wenige Jüdinnen und Juden waren nach Kriegsende an die Orte ihres früheren Zuhauses zurückgekehrt, Relikte jüdischen Lebens waren gleichwohl in unterschiedlichem Umfang vorhanden. Und ihr Erbe – seien es schriftliche Dokumente oder dingliche Relikte wie Bücher, Zeremonialobjekte oder auch schlichte Alltagsgegenstände und ihre baulichen Überreste wie etwa Synagogen- oder jüdische Stiftsgebäude – waren teils in Deutschland verblieben und hier den nationalsozialistischen Plünderungen zum Opfer gefallen oder von Nachbarn, die sich am Eigentum der Emigranten und Deportierten bereicherten, geraubt worden. Wer frühzeitig emigrieren konnte, bemühte sich, so viel seines Hab und Guts wie möglich mit in die Emigration zu nehmen. Nach 1945 bot sich damit ein besonderes Bild, dessen Nachwirkungen unsere Recherchen im Bereich der deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung bis heute bestimmen und prägen: das deutsch-jüdische Kulturerbe befand sich längst nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern war auf die Länder der Emigration verstreut, und das Kulturerbe, das sich auf deutschsprachigem Raum befand, hatte keine Erben mehr, sondern lag teils in Archiven, Bibliotheken und Museen oder befand sich in Privatbesitz. Wer also konnte und sollte sich als „Erbe“ dieser Spuren jüdischen Lebens annehmen? Und welche Geschichte konnte und, am zentralsten in diesen ersten Nachkriegsjahren: von wem und wem sollte sie erzählt werden – und wo sollte und konnte sie erforscht werden? Wer in den ersten Nachkriegsjahrzehnten deutsch-jüdische Geschichte schreiben wollte, musste mithin auch weit jenseits der deutschen Grenzen blicken. Dies hat sich zwar nicht geändert, wohl aber sind dank digitaler Angebote neue Wege eröffnet, das verstreute deutsch-jüdische Erbe von einem Ort aus auszuwerten.

Als universitäre Disziplin ist das Fach Jüdische Geschichte noch vergleichsweise jung und konnte sich im deutschsprachigen Raum erst in der Nachkriegszeit etablieren. Während vor 1933 die Forschungseinrichtungen basierend auf den Impulsen aus der Wissenschaft des Judentums weitestgehend außerhalb der eigentlichen universitären Strukturen entstanden und zwischen 1933 bis 1945 staatlich gelenkte und der NS-Ideologie verpflichtete Institute zur jüdischen Geschichte arbeiteten, waren es erst die Neugründungen nach 1945, die die jüdische Geschichte im universitären Kanon verankerten. Besonders in den letzten Jahrzehnten ließ sich eine Auffächerung sowohl hinsichtlich der Themen als auch der Methoden beobachten, die in einer Ausdifferenzierung des Angebots mündete, so dass es heute ebenso Lehrstühle zur Jüdischen Geschichte gibt wie zur Judaistik oder Angebote der Jüdischen Studien.

Jüdische Geschichtsforschung ist mithin von einer inhaltlichen Breite geprägt, die neben kulturgeschichtlichen auch migrationsgeschichtliche, erinnerungskulturelle oder Gender-Fragen abdeckt und so die Heterogenität der jüdischen Geschichte aufzeigt.

Einen Überblick zu digitalen und institutionellen Infrastrukturen im Fach jüdische Geschichte zu geben, ist ein ebenso wichtiges wie schwieriges Vorhaben. Denn jüdische Geschichte lässt sich kaum isoliert von der „allgemeinen“ Geschichte betrachten und erforschen. Dies bedeutet für die Recherche von Literatur und Quellen, dass es oftmals keinen spezifischen Zugang für die jüdische Geschichte gibt. Je nach Thema können sich wichtige Anhaltspunkte auch in den anderen, epochal, regional oder thematisch zugeschnittenen Kapiteln des Clio Guide - Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaft finden. Neben der Frage, wer bzw. was als „jüdisch“ zu erachten ist und damit zum Untersuchungsgegenstand der jüdischen Geschichtsschreibung wird, stellt sich auch die Frage nach dem Untersuchungsraum. Im Mittelpunkt steht hier der deutschsprachige Raum; der transnationale Charakter der jüdischen Geschichte macht es aber unabdingbar, den Blick auch immer wieder darüber hinaus schweifen zu lassen. Lagern zahlreiche Archivalien aufgrund von Migration und Vertreibung doch gerade nicht (mehr) an den ursprünglichen Herkunftsorten deutschsprachiger Juden.

Die Zahl der Digitalisierungsvorhaben und Onlineangebote im Fach Jüdische Geschichte nimmt beständig zu. Das Angebot reicht dabei von traditionellen Bestandsdigitalisierungen einzelner Archive, über die Erfassung von Big Data in Verbundprojekten bis hin zu didaktischen Angeboten für den Einsatz in der Schule oder mobilen Apps, die das jüdische Erbe im Stadtraum lokalisieren. Auch Medien der Wissenschaftskommunikation könnten in einen solchen Überblick Eingang finden, sind doch Mailinglisten, Social Media oder auch Podcast-Angebote längst Teil der Vermittlung von Forschungsergebnissen oder Diskussionsforen etwa in der wissenschaftlichen Begleitung gesellschaftlicher Zustände. So hat die Mailingliste H-Soz-Kult ein eigenes Ressort für jüdische Geschichte und weitere Angebote des H-Nets widmen sich diesem Themengebiet. Die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg betreibt mit „Mekka und Jerusalem“ ebenso einen Podcast, wie etwa das Institut für die Geschichte der deutschen Juden gemeinsam mit dem Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien „Jüdische Geschichte Kompakt“ einen Podcastkanal anbietet und auch das Selma Stern-Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg sowie die Abteilung für jüdische Geschichte der Ludwig Maximilian Universität München stellen regelmäßig Podcastgespräche zu Themen der jüdischen Geschichte bereit. Auch im Bereich der Gaming-Angebote sind Themen der jüdischen Geschichte regelmäßig anzutreffen.[5]

Digitale Medien werden also längst auch im Bereich der jüdischen Geschichte wie selbstverständlich genutzt. Digitale Werkzeuge wiederum werden ebenfalls in verschiedensten Forschungsprojekten auch zur jüdischen Geschichte verwendet. In einigen Aspekten ist gar erkennbar, dass gerade für Forschungen über die jüdische Minderheit digitale Werkzeuge etwa der mehrsprachigen und mehrschriftlichen Schrifterkennung Türöffner für ganz neue Forschungsmöglichkeiten. Etwa, wenn es um die gemeinsame Erfassung von Quellen in verschiedenen Sprachen der jüdischen Minderheit geht – die obendrein in lateinischen und hebräischen Schrifttypen verfasst, aber dennoch aus derselben Region oder Stadt stammen können. Neue Möglichkeiten der OCR-Erkennung sind hier rasch weit mehr als lediglich eine Arbeitserleichterung. Ebenso digitale Analysewerkzeuge wie DICTA, das sogar eine Suchfunktion in unterschiedlichen Schreibweisen erlaubt, oder einer automatisierten Vokalisierungsfunktion für hebräische Texte.

Die Verständigung über die Auswirkungen der Digitalisierung, über Vor- und Nachteile bei der Arbeit mit (genuin) digitalen Quellen und Werkzeugen steht hingegen noch am Anfang – oder, anders formuliert: noch befindet sich die wissenschaftliche Erschließung digitaler Methoden und Angebote im Stadium der Faszination mit diesen noch immer neuen und sich beständig wandelnden Möglichkeiten. Und doch beginnt derzeit bereits eine quellenkritische Selbstbefragung ebendieser Faszination und erste Ansätze zu „Critical DH-Studies“ halten auch in den jüdischen Studien Einzug.[7]

Als Folge der von Vertreibungen und Migrationsbewegungen geprägten jüdischen Geschichte, ist das Quellenmaterial zur jüdischen Geschichte im deutschsprachigen Raum international verteilt. Gerade angesichts dieses Verstreutseins der Dokumentationen jüdischen Lebens in der deutschen Vergangenheit erweist sich Möglichkeit der virtuellen Zusammenführung ursprünglich zusammengehörender Quellenbestände für die Forschung ebenso wie die Bewahrung des Erbes als großer Gewinn. Eine besondere (auch technische) Herausforderung stellt dabei die Vielsprachigkeit und -schriftlichkeit des Quellenmaterials dar. Die historischen Flucht- und Migrationsbewegungen erfordern gewissermaßen eine internationale wie interdisziplinäre Zusammenarbeit beim Aufspüren, Bewahren und Nutzbarmachen des Erbes deutschsprachiger Juden. Die Mehrsprachigkeit, die den jüdischen Studien inhärent ist, geht obendrein mit einer Mehrschriftlichkeit einher. Dies birgt neue Herausforderungen, denen erste Initiativen sich zuwenden und versuchen, mithilfe digitaler Werkzeuge etwa in Thesauren und für Bibliotheks- und Archivkataloge verschiedene Schriften gleichzeitig les- und durchsuchbar zu machen.[8]

Im Folgenden sollen die Rahmenbedingungen vorgestellt werden, aus denen die digitalen Ressourcen hervorgehen bzw. in denen sie entstehen und gepflegt werden. Denn letztlich ist das DH-basierte Forschen heute ein zentraler Bestandteil des wissenschaftlichen Arbeitens, so dass jede Forschungseinrichtung entweder eigene Projekte entwickelt oder sich doch zumindest in Kooperationen mit anderen buchstäblich digital vernetzt.

Doch der Versuch, die Infrastrukturen und damit die Forschungslandschaft in Deutschland, Österreich und der (deutschsprachigen) Schweiz zu umreißen, bleibt notwendigerweise eine Annäherung. So verstehen sich sowohl dieser Artikel sowie die Vorstellung der digitalen Angebote im zweiten Teil höchstens als erster Wegweiser durch ein beständig wachsendes und dazulernendes Feld. Die hier vorgestellten Einrichtungen sind teils Bewahrer von Archivgut und Sammlungen, teils entwickeln sie Projekte mit digitalisierten Quellen oder arbeiten gar mit DH-Werkzeugen und Methoden. In einem zweiten Teil werden die konkreten digitalen Angebote beschrieben und vorgestellt. Dabei kann insbesondere der zweite Teil nicht mehr als eine (digitale) Momentaufnahme sein, die in diesem vorangestellten Artikel mit einem Überblick zum (beständigeren) institutionellen Fundament ergänzt werden soll.

1.2 Wo? Der Ort deutsch-jüdischer Geschichte nach der Katastrophe - Institutionen

Zur jüdischen Geschichte wurde und wird in der Bundesrepublik seit 1959 an Institutionen innerhalb wie außerhalb der Universitäten geforscht, erste judaistische Lehrstühle entstanden ab den 1960er- Jahren in Berlin, Köln und Frankfurt am Main. Auf dem Gebiet der DDR waren jüdische Studien nicht Teil der universitären Ausbildung, wohl aber Israel-Studien sowie eine „Hebraistik“-Abteilung an der Humboldt-Universität Berlin.[9] Dies änderte sich nach der Wende 1989/90 massiv und inzwischen gibt es an zahlreichen Wissenschaftsstandorten in West- wie Ostdeutschland Möglichkeiten, in verschiedenen Fächern einen Schwerpunkt auf jüdische Studien zu legen. Einige Universitäten richteten eigene Studiengänge ein, und neben expliziten Forschungseinrichtungen existieren darüber hinaus Zusammenschlüsse und Verbundprojekte, die eine personelle und institutionelle Bündelung versuchen. Wichtige Anlaufstellen für die deutsch-jüdische Geschichte sind darüber hinaus Gedenkstätten und Museen, die in vielen Fällen gar Vorreiter bei Digitalisierungsprojekten sind – etwa, wenn es um Oral-History-Interviews geht oder um digital vernetzte Provenienzforschungsprojekte.

1.2.1 Forschungsstrukturen zu Nationalsozialismus und Antisemitismus

Neben universitären Forschungseinrichtungen wie etwa dem Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin oder dem Institut für Zeitgeschichte in München sind es vor allem die Gedenkstätten, in denen bedeutende Sammlungen und teilweise auch Archive zur deutsch-jüdischen Verfolgungsgeschichte im Nationalsozialismus bewahrt sind.[10] Innerhalb der Berliner Stiftung Topographie des Terrors wurde im Interesse des gegenseitigen Austauschs ein Gedenkstättenreferat eingerichtet, das zudem über das Gedenkstättenforum eine interaktive Übersichtskarte aller Gedenkstätten bietet. Ohnehin sind digitale Formate insbesondere in der Vermittlungsarbeit der Gedenkstätten nicht mehr wegzudenken, was sie vielfach zu einem Vorreiter in diesem Feld macht. So etwa in der Einbindung von Plattformen wie TikTok oder CrowdSourcing-Programmen in die Gedenkstättenarbeit. Ein wichtiger Akteur im Feld der digital Vermittlungs- und Vertiefungsangebote zur jüdischen Geschichte allgemein wie auch zur jüdischen NS-Geschichte im Besonderen ist die Bundeszentrale für politische Bildung, die beispielsweise eine App mit rund 450 Einträgen zu Erinnerungsorten für die Opfer des Nationalsozialismus verfügbar macht.

Am seit 2011 von Stefanie Schüler-Springorum geleiteten Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) wird seit 1982 interdisziplinär zu Geschichte und Formen des Antisemitismus geforscht. Die Forschungsperspektive ist dabei weit gefasst und beinhaltet zugleich allgemeinere Fragen zu Rassismus und Gewalt sowie zur Geschichte von Minderheiten.

Weitere Forschungszentren zur NS-Forschung im deutschsprachigen Raum finden sich in Frankfurt, München und Wien. Das 1995 gegründete Fritz-Bauer-Institut ist als interdisziplinär ausgerichtete Forschungs-, Dokumentations- und Bildungseinrichtung seit Herbst 2000 sogar An-Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ein zentrales Standbein ist von Beginn an die Vermittlung von Wissen über den NS und die Entwicklung pädagogischer Angebote. Innerhalb des Münchner Instituts für Zeitgeschichte entstand 2013 das von Frank Bajohr geleitete Zentrum für Holocauststudien. Dieses ist zugleich deutscher Partner von EHRI (European Holocaust Research Infrastructure), jener Plattform, die anstrebt, europäische Forschungs- und Archivressourcen zur Geschichte des Holocaust dauerhaft zu vernetzen. Ebenfalls zu nennen wäre hier das 2008, nach dem Tod von Simon Wiesenthal gegründete Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI). Neben Teilen des Archivs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien bilden der Nachlass Simon Wiesenthals sowie eine eigene Bibliothek die Kernstücke der Sammlungen.

1.3 Wer? Netzwerke und Institutionen

1.3.1 Forschungsnetzwerke zu jüdischen Themen

Eine der frühen Zusammenschlüsse derer, die zu jüdischen Themen forschen und arbeiten, war die Arbeitsgemeinschaft Jüdische Sammlungen, die sich 1976 in Köln gründete. Sie ist ein loser Zusammenschluss jüdischer Museen und anderer Einrichtungen wie ehemaliger Synagogen, Gedenkstätten, Bibliotheken, Archive und Forschungsinstitute. Auch in diesem Bereich tätige Einzelpersonen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind Teil der AG. Zu diesem frühen Verbund aus dem außeruniversitären Bereich gesellte sich 1989 die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft des Leo-Baeck-Instituts. Sie ist ein Zusammenschluss deutscher Historiker:innen, die sich mit der deutsch-jüdischen Geschichte befassen. Sie ist eine Einrichtung des 1955 gegründeten Internationalen Leo-Baeck-Instituts (LBI), das – mit Arbeitszentren in Jerusalem, London und New York – von aus Deutschland vertriebenen Juden gegründet worden war.

Zusätzlich zu wissenschaftlichen Tagungen und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch regelmäßige Doktoranden- und Postdoktorandenprogramme werden die Forschungsergebnisse der beteiligten Historiker:innen in umfassenden Gesamtdarstellungen veröffentlicht wie etwa in der von Stefanie Schüler und Rainer Liedtke herausgegebenen Reihe Perspektiven auf die deutsch-jüdische Geschichte. Eine weitere Säule der Aktivitäten der WAG war die eingangs erwähnte Erfassung von Archivinventaren zur Geschichte der Juden in Deutschland in den neuen Bundesländern. An diese schlossen sich Inventare von Beständen ehemals deutscher Archive in Polen an. Auf diese Weise wurden seit 1992 304 Inventare von insgesamt 616 erfassten Archiven für die Forschung zugänglich gemacht.

Im Herbst 1991 entwickelte sich aus einer Konferenz der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts und des Leo Baeck Institut New Yorks heraus ein neues Forschungsvorhaben, das zwar einerseits noch ganz klassisch in eine Buchpublikation mündete[22], parallel dazu setzte eine Arbeitsgruppe im Auftrag der WAG und der Historischen Kommission zu Berlin aber bereits eine Datenbank auf, für die Manfred Jehle verantwortlich zeichnete. Thema der Zusammenkunft, aus der diese Publikationen entstanden, waren die „Probleme und Fragen der jüdischen Archive und Geschichtsschreibung in den fünf neuen Bundesländern“ und als Ergebnis des sich daran anschließenden Projektes entstand eine Datenbank mit jüdischen Quellenbeständen in Archiven der Länder der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) mit dem Ziel, den Zugang zu diesen verstreuten Sammlungen zu verbessern und damit möglichst auch neue Forschungen anzuregen.

Zusätzlich zu diesen frühen Diskussionen in den jüdischen Studien gab es ähnliche Schritte auch im Bereich der Gedenkstättenarbeit. So arbeitete in den 1990er Jahren eine Gruppe um Manfred Thaller und Thomas Grotum mit der MS-DOS-basierten Software Kleio an einer Möglichkeit, die Quellenbestände der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau digital zu erfassen und durch hochauflösende Scans auch die Lesbarkeit von dem bloßen Auge verborgener Schrift zu verbessern.[23]

Beide hier exemplarisch genannten Projekte verband eine Besonderheit: sie waren im akademischen, aber außeruniversitären Umfeld entstanden. Was sie auszeichnete und was sich in den Jahren ab 2000 verstärkte, war die Stärkung des Netzwerkcharakters solcher Projekte. Insbesondere im vergangenen Jahrzehnt gehören regelmäßige Netzwerktreffen und Workshops zum Alltag der DH-interessierten Jewish-Studies Community. Auf Tagungen in Hamburg am Institut für die Geschichte der deutschen Juden im Jahr 2013 folgten weitere Treffen, etwa am Center for Contemporary and Digital History (C²DH) an der University of Luxembourg und im Herbst 2022 ein erster Hackathon zu Jüdischem Kulturerbe am Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam.[24] Längst sind Arbeitsgruppen zu DH-Fragen in den Jüdischen Studien in den großen Verbänden selbstverständlich – so etwa im Historikerverband oder auch in der European Association of Jewish Studies.

Der jüngste Zusammenschluss in Form einer in diesem Fall institutionellen Vernetzung ist das Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien, Berlin-Brandenburg. 2012 wurde dies als Kooperationsprojekt der Humboldt-Universität zu Berlin, der Freien Universität Berlin, der Technischen Universität Berlin, der Universität Potsdam, des Abraham Geiger Kollegs (seit 2022 ruhend) und des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien gegründet. Es wurde zunächst über zehn Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert und dient insbesondere der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie der Forschungsvernetzung und des interdisziplinären Zusammenschlusses von Geschichte, Philosophie, Judaistik, Theologie, Literatur- und Musikwissenschaften, Kunstgeschichte und Altertumswissenschaft. Die Geschäftsstelle ist an der FU Berlin angebunden. Zusätzlich zu den persönlichen und institutionellen Zusammenschlüssen hat auch die European Association of Jewish Studies (EAJS) als europäische Dachvereinigung aller Institutionen, die sich den jüdischen Studien widmen, Netzwerkcharakter. Sie wurde 1981 als akademischer Zusammenschluss gegründet, organisiert regelmäßige Verbandskonferenzen und publiziert die Halbjahreszeitschrift European Journal of Jewish Studies (EJJS).

Auch in Österreich besteht seit 2008 ein solch informeller Zusammenschluss der österreichischen universitären und außeruniversitären Institutionen, die sich mit jüdischer Geschichte und Kultur beschäftigen, die Arbeitsgemeinschaft für Jüdische Studien in Österreich (AGJÖ), und die halbjährlich zum Austausch zusammenkommt. Mitglieder der AGJÖ sind das Centrum Jüdische Studien Graz, das Institut für Judaistik der Universität Wien, das Institut für jüdische Geschichte Österreichs und das Zentrum für jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg (ZJK).

1.3.2 Institutionen

Frühe Initiativen, sich mit der jüdischen Geschichte und Kultur auseinanderzusetzen, entstanden vor allem im außeruniversitären Umfeld. Ein erstes Beispiel hierfür war der Verein Germania Judaica, der 1959 von einer Kölner Bürgerinitiative gegründet wurde und sich zur Aufgabe setzte, dem Antisemitismus in Deutschland mit Wissen über die jüdische Geschichte etwas entgegenzusetzen. Eine öffentlich zugängliche Bibliothek wie die Germania Judaica sollte dabei aufklärerisch tätig sein und zusammen mit Veranstaltungen helfen, aus Unkenntnis resultierende Vorurteile abzubauen. Auch das 1966 gegründete, von der Stadt Hamburg getragene und seit 2021 von Kim Wünschmann geleitete Institut für die Geschichte der deutschen Juden fällt in diese frühen Aushandlungsprozesse dessen, wie eine wissenschaftliche Antwort auf die nationalsozialistische Vergangenheit aussehen könnte. Hamburg zeichnet sich durch seine einzigartige Quellensituation zur 400-jährigen Geschichte der Hamburger Juden aus. Die Aktenbestände der Hamburger Jüdischen Gemeinden überdauerten als Depositum im Staatsarchiv der Hansestadt die Zeit des Nationalsozialismus unbeschadet. Seine Bibliothek ist die größte Spezialsammlung zur deutsch-jüdischen Geschichte im norddeutschen Raum. Gerade im Bereich digitaler Medien sind in den vergangenen Jahren etliche Projekte hinzugekommen, so etwa die von 2013 an unter Leitung von Miriam Rürup aufgebaute und nun von Anna Menny fortgeführte Online-Edition Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte.

Eine ganz eigene Hochschule für Jüdische Studien (HfJS) gründete hingegen der Zentralrat der Juden in Deutschland im Jahr 1979. Wenngleich sie jüdischen und nichtjüdischen Studierenden gleichermaßen offensteht, so versteht sie sich doch als Ausbildungsstätte etwa für zukünftige Mitarbeiter:innen im Umfeld jüdischer Gemeinden.

Ein weiteres Forschungsinstitut der „alten Bundesrepublik“ ist das 1986 entstandene Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte, das sich seit 2011 in Essen befindet. Es widmet sich der Geschichte und Kultur der Juden im deutschen Sprachraum von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart und über das Fach „Jüdische Studien“, das früher an der Universität Duisburg-Essen angesiedelt war, wird nun an der Universität Düsseldorf zudem universitäre Lehre betrieben. Schon früh brachten Wissenschaftler des Instituts digitale Projekte auf den Weg – so insbesondere Harald Lordick und Thomas Kollatz etwa mit dem Projekt epidat, das als epigraphische Datenbank Grabsteine und Inschriften jüdischer Friedhöfe in Deutschland verzeichnet, diese inventarisiert, dokumentiert und ediert – und stilgebend für zahlreiche Folgeprojekte war und ist.[37]

Nach der Wende 1989/90 folgte ein Boom in der Neugründung von Forschungszentren zur jüdischen Geschichte, dem Aufbau neuer Studiengänge oder der Einrichtung von Lehrstühlen mit Denominationen aus dem Bereich der jüdischen Studien. So baute der frühere Leiter des Steinheim-Instituts, Julius H. Schoeps, ab 1992 in Potsdam das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ) auf, das heute von Miriam Rürup geleitet wird und als An-Institut der Universität Potsdam ein interdisziplinär arbeitendes wissenschaftliches Forschungszentrum und Teil des Selma Stern Zentrums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg ist. Ein zusätzlicher Fokus liegt dabei auch auf der Erforschung vor allem des gegenwärtigen Antisemitismus und Rechtsextremismus in der 2016 eingerichteten Emil Julius Gumbel Forschungsstelle. Im Jahr 1995 eröffnete das heutige Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow an der Universität Leipzig auf Beschluss des Sächsischen Landtages, das heute von Yfaat Weiss geleitet wird. Ebenfalls in den neuen Bundesländern richtete Giuseppe Veltri das Leopold-Zunz-Zentrum zur Erforschung des europäischen Judentums ein, das 2007 von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg übernommen wurde und Teil des Seminars für Judaistik ist.

Die erste Forschungseinrichtung, die sich auch vormoderner jüdischer Geschichte zuwandte, ist das seit 1996 in Trier ansässige Arye-Maimon-Institut für Geschichte der Juden (AMIGJ). Der dortige Forschungsschwerpunkt liegt in der Geschichte der Juden in Mittel- und Westeuropa mit einem Fokus auf das Mittelalter und die Frühe Neuzeit. Am Institut ist auch das Langzeitprojekt der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz angesiedelt, das bereits früh auch online konzipiert wurde: Teilkorpora von Medieval Ashkenaz. Corpus der Quellen zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen Reich sind bereits online einsehbar.

In der Schweiz sind es vor allem Archive und Lehrstühle mit spezialisierten Studiengängen, an denen Forschungen zur jüdischen Geschichte stattfinden, in Österreich gibt es zusätzlich zu den erwähnten Netzwerken ein 1988 auf privates Engagement hin eingerichtetes Institut für jüdische Geschichte Österreichs (INJOEST), das im ehemaligen jüdischen Gemeindehaus in St. Pölten untergebracht und seit 2011 an das Institut für österreichische Geschichtsforschung (IÖG an der Universität Wien) angebunden ist, sowie das 2000 eingerichtete Centrum für Jüdische Studien (CJS), das seit 2006 als überfakultäres Forschungszentrum der Universität Graz unter der Leitung von Gerald Lamprecht arbeitet.

Bibliotheken

Alle aufgeführten Forschungsinstitutionen pflegen eigene Spezialsammlungen. Doch auch die Nationalbibliothek Deutschland, Österreichs und der Schweiz haben signifikante Bestände zur jüdischen Geschichte, ebenso wie die Staats- und Landesbibliotheken. Auch Sammlungen von kleineren Forschungseinrichtungen, Gedenkstätten, Museen und Professuren an den verschiedenen Universitäten sollten in die Bibliotheksrecherchen einbezogen werden. Im Bereich der jüdischen Studien spielt eine Sondersammlung eine besondere Rolle: Der Fachinformationsdienst (FID) Jüdische Studien an der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main bietet eine übergreifende Portalsuche an. Der FID baut auf den früheren DFG-Sondersammelgebieten Wissenschaft vom Judentum und Israel auf und beinhaltet unter anderem die Freimann-Sammlung und Compact Memory. Diese Datenbank ist eine unermesslich wertvolle Online-Ressource, über die u.a. jüdische Zeitschriften von 1768 – 1938 digital zum Abruf bereitgestellt werden. Ebenso spielen einzelne Judaica- und Hebraica-Sammlungen an den verschiedenen Universitätsbibliotheken eine zentrale Rolle für Forschungsarbeiten in dem Bereich.[46] Außerdem sind kleinere Privat- und Gemeindebibliotheken zu nennen, wie die Bibliothek in der jüdischen Volkshochschule der Gemeinde zu Berlin[48] oder die Jüdische Bibliothek Hannover.

Eine der größten Spezialsammlungen zum deutschsprachigen Judentum ist mit ihren mittlerweile über 90.000 Bänden sicher die Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums e.V. der 1959 gegründeten Germania Judaica. In Hamburg findet sich zusätzlich zur bereits erwähnten umfassenden Bibliothek des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) mit seinen rund 70.000 Bänden die jiddischsprachige Salomo Birnbaum Bibliothek zur jiddischen Geschichte und Kultur, die mit fast 5.000 jiddischsprachigen Bänden eine außergewöhnliche Ressource in Deutschland ist.

In Österreich ist die größte Fachbibliothek mit rund 45.000 Bänden zum Thema Judentum im Jüdischen Museum Wien zu finden. Und auch in der Schweiz ist die größte Bibliothek zum deutschsprachigen Judentum nicht an einer Universität, sondern mit etwa 60.000 Bänden in der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) untergebracht. Dieser Bibliothek ist zudem mit einer NS-bedingten Migrationsgeschichte verbunden: ihr größter zusammenhängender Bestand stammt aus der Übernahme der aufgelösten Bibliothek des Breslauer Rabbinerseminars aus dem Jahr 1938.

Archive

Ein unverändert zentraler Ort historischer Forschung sind Archive. Gerade im Bereich der jüdischen Geschichte und ungleich stärker noch in der deutsch-jüdischen Geschichte führt auch eine Recherche zur Synagoge beispielsweise im südwestdeutschen Freudenthal unweigerlich in verschiedene, die deutschen Grenzen überschreitende Archivstandorte. Und so spiegeln die Standorte von Quellenbeständen zur jüdischen Geschichte gewissermaßen die jüdischen Migrationsbewegungen. Recherchen, die über die nationalen Archive – und im Fall der deutsch-jüdischen Geschichte über die deutschen Sprachgrenzen – hinausgehen, sind damit unabdingbar. Digitale Vernetzung von Archivbeständen ist dabei inzwischen so weit gediehen, dass etwa über eine Plattform wie Yerusha Bestände zur jüdischen Geschichte auch in kommunalen und staatlichen Archiven europaweit in einer Metasuche auffindbar sind – dies gilt auch für deutsche Archive im norddeutschen Raum, die hierin bereits erfasst sind. Besonders wertvoll im Bereich der Quellenvernetzung zur jüdischen Geschichte ist das das Portal DigiBaeck. Erstellt zunächst mit den Sammlungen des Archivs des New Yorker Leo Baeck Instituts umfasst es inzwischen auch Bestände aus den Leo Baeck Instituten in Jerusalem und London. Die Bestände sind online abrufbar und bieten einen umfangreichen Einblick in die deutschjüdische Geschichte der Moderne – neben digibaeck sind über https://search.cjh.org/ auch das Archiv des Institute for Jewish Research und früheren Yidisher Vissenshaftlikher Institut (YIVO) und weitere Bestände durchsuchbar. Doch auch weiterhin bleibt ein Besuch in Archiven selbst empfehlenswert – so ist das Archiv des Jüdischen Museums Berlin (JMB), welches Alltagsgegenstände, Kunstwerke, Fotografien und religiöse Gebrauchsobjekte umfasst, beinhaltet auch 1.700 Konvolute – meist aus privaten Schenkungen – sowie die historischen Bestände der Bibliothek. Zwar fokussiert das Archiv auf Materialien aus dem Berlin des 19. und 20. Jahrhundert, doch dadurch können jüdische Lebenswelten in einer der größten jüdischen Gemeinschaften der Vorkriegszeit konzentriert betrachtet werden. Auch Forschungseinrichtungen zur Geschichte des Nationalsozialismus, die immer auch die jüdische Geschichte mitbetrachten, sollten bei zeitgeschichtlichen jüdischen Themen in die Recherchen einbezogen finden.[59]

Hierzu gehören etwa Archive wie der Arolsen Archives (bis 2019: International Tracing Service; Bad Arolsen), die verschiedenen Gedenkstätten des NS-Terrors, das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek oder die Werkstatt der Erinnerung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg, die außergewöhnliche Bestände bereithalten.

Ein sehr aussagekräftiger Fall für die Aushandlungsprozesse rund um jüdisches Archivgut nach 1945 lässt sich am Hamburger Beispiel des Archivs der jüdischen Gemeinde in Hamburg aufzeigen.[64] Die Geschichte der Juden in Hamburg vom 17. Jahrhundert bis in die NS-Zeit war auch über den Krieg hinaus anhand einer reichhaltigen Quellenüberlieferung nachvollziehbar geblieben. Die Bestände der meisten anderen jüdischen Großstadtgemeinden wurden 1939 durch die Gestapo beschlagnahmt und fielen im weiteren Verlauf größtenteils der Kriegszerstörung zum Opfer. Anders in Hamburg: Dieses Archiv wurde wenige Tage vor dem Novemberpogrom 1938 in das Hamburger Staatsarchiv transferiert und überdauerte den Zweiten Weltkrieg ohne Schäden. In den 1950er Jahren erhoben die Jewish Historical General Archives – die späteren Central Archives for the History of the Jewish People (Jerusalem) – die Forderung, die Quellenüberlieferungen der Jüdischen Gemeinden müssten nach Israel überführt werden. Mit dieser Mission waren israelische Archivvertreter in ganz Deutschland unterwegs, um Archivreste einzusammeln und nach Israel zu bringen. Hamburg war also kein Einzel-, sondern nur ein aussagekräftiger Beispielfall. Die Stadt Hamburg weigerte sich zunächst, ebenso wie die neu gegründete jüdische Gemeinde Hamburgs, die ihr archivalisches Erbe in Hamburg bewahren wollte. Die Hansestadt war also kurz davor, in einen Rechtsstreit über die 4 Jahrhunderte jüdisches Gemeindematerial und Erbe einzutreten. Dieser Streit wurde schließlich mit einem Vergleich beigelegt, der von den technischen Fortschritten der 1950er Jahre profitierte: das Archivgut sollte zwischen den Central Archives und dem Staatsarchiv der Hansestadt geteilt werden. Dabei wurde der jeweils fehlende Teil durch Mikrofilm oder Kopien ersetzt und dem anderen Archiv übergeben, so dass sie seither in Original oder Mikrofilm in Hamburg und Jerusalem in Gänze recherchierbar sind. Seit einigen Jahren nun ist das heutige CAHJP, inzwischen als Teil der National Library of Israel dabei, diese Bestände, jeweils in Partnerschaft mit den Archiven vor Ort in Deutschland – neben Hamburg erfolgt dies etwa auch in München und Berlin – zu digitalisieren. Perspektivisch werden so die auseinandergerissenen Archivbestände digital wieder zusammengeführt. Eine Online-Bestandsübersicht[65] ist bereits jetzt einsehbar.

Zunächst war alternativ ein Vorschlag diskutiert wurden, in Hamburg ein Archiv des Zentralrates der Juden in Deutschland zu errichten. Dieser Vorschlag setzte sich bekanntlich nicht durch – erst Jahrzehnte später wurde schließlich in Heidelberg ein solches Archiv eingerichtet als Teil der ebenfalls vom Zentralrat etablierten Jüdischen Hochschule.

Das 1987 vom Zentralrat der Juden in Deutschland gegründete Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland greift die Ideen des Gesamtarchivs der deutschen Juden auf, das von 1905 bis 1938 in Berlin bestanden hatte. Im Zentrum der Sammlung des Zentralarchivs stehen die Materialien und Objekte der jüdischen Gemeinden, Verbände, Organisationen und Personen. Ausgewählte Dokumente sind bereits als Digitalisate zugänglich und umfassen unter anderem Grabsteine, Briefe, Antisemitica sowie Kennkarten aus dem Jahre 1939. Das Historische Archiv der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum besteht in seinem Kern wiederum aus den in Deutschland erhaltenen historischen Beständen des ehemaligen Gesamtarchivs der deutschen Juden. Es enthält die Überlieferung von rund 400 jüdischen Gemeinden, daneben Gemeindeverbänden und jüdischen Organisationen und kann damit als das bedeutendste Archiv zur Geschichte des deutschen Judentums in der Bundesrepublik Deutschland gelten.

Weitere Archive

Schon jetzt dürfte deutlich geworden sein: zusätzlich zu den Archiven in den deutschsprachigen Ländern ist es immer geboten, auch internationale Sammlungsstandorte mit in den Blick zu nehmen, an denen teils eine durchaus überraschende Vielzahl wichtiger Dokumente und Materialien zur jüdischen Geschichte liegt. So wird auch deutsch-jüdische Geschichte unversehens zu einer transnationalen Rechercheanstrengung. Der Fokus liegt dabei zunächst auf den Emigrationsländern deutschsprachiger Jüdinnen und Juden, wie etwa Israel, England oder die USA, doch sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch andere nationale oder lokale Archive, so zum Beispiel in Transitländern oder anderen temporären Aufenthaltsorten, wichtig sein können.

Ein Beispiel für einen solch internationalen Archivstandort, der eine erste archivalische Anlaufstelle für Forschungen zur deutsch-jüdischen Geschichte sein kann, ist das Sonderarchiv Moskau. Während des Kriegsverlaufs im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmte die Rote Armee zahlreiche Archive. Diese waren seither als eigene Bestände im Sonderarchiv Moskau zu finden. Teile des Sonderarchivs wurden im Verlaufe der Jahrzehnte in verschiedenen Tranchen teils an ihre Vorkriegseigentümer zurückgegeben oder nach der Wende 1989/90 etwa vom United States Holocaust Memorial Museum Washington D.C. mikroverfilmt. Teile des Archivs wurden obendrein in mehreren Tranchen an die Central Archives for the History of the Jewish People (Jerusalem) abgegeben oder als Mikrofilme in die Yad Vashem Archives.

In Israel sind es vor allem zunächst vorstaatliche Archive der zionistischen Organisationen, die heute als staatliche Einrichtungen die Sammlungstätigkeit fortführen und auch für deutsch-jüdische Geschichte relevant sind – ja, in ihren Anfängen teils von deutsch-jüdischen Emigranten aufgebaut wurden. Besonders wichtig zu nennen sind hier zwei Jerusalemer Archive: Die Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem (CAHJP) wurden 1939 gegründet und sind einer der wichtigsten Orte der Bewahrung und Dokumentation von jüdischen Gemeindearchiven weltweit, sowie von einzelnen internationalen jüdischen Organisationen und Nachlässen. Die Materialien umfassen dabei die Zeit vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Ein weiteres ähnlich bedeutsames Archiv sind die Central Zionist Archives sowie die National Library of Israel in Jerusalem, welche in ihren Sammlungen deutsch-jüdische Geschichte mit dokumentieren. Neben genealogischen Datenbanken ist das CZA der Ort, um die Entwicklung und Bedeutung des Zionismus weltweit und so auch im deutschsprachigen Raum nachzuvollziehen. Ein Archiv soll hier hervorgehoben werden, weil es keine Sammlungsstrategie über Organisationen und etablierte Strukturen verfolgt, sondern als ein zunächst privates Archiv gegründet wurde, das Einwandererfamilien aus Deutschland dazu aufrief, ihre Dokumente in seine Obhut zu übergeben. Das German-Speaking Jewry Heritage Museum hat seine Anfänge in Naharya, wo es 1968 gegründet wurde. 2004/2005 baute der gebürtige Berliner Israel Shiloni es in Zusammenarbeit mit der Hitachdut Olej Merkaz Europa zu einem Museum auf, das im Industriepark Tefen im Galil von dem Industriellen Steff Wertheimer betrieben wurde. Nach dessen Tod war der Verbleib des Archivs zunächst ungewiss. Doch inzwischen ist es von der Universität Haifa übernommen worden, die es derzeit mit einer eigenen Abteilung innerhalb des HCGES in Zusammenarbeit mit der National Library of Israel zu einem auch digital zugänglichen Archiv ausbaut. Das früher in Tefen existierende Yecke-Archiv wird nun in Haifa digital aufbereitet und zukünftig neu verfügbar gemacht und wurde umbenannt in: Archive for the History and Heritage of the German-speaking Jewry in Israel (AGSJI) at the Haifa Center for German and European Studies. Ein Aspekt verbindet dabei das Yeckes-Archiv mit anderen Einwandererarchiven, wie etwa das American Jewish Archive in Cincinnati in den USA: beide entstanden in Emigrationsländern und bewahrten nicht nur vornehmlich das deutsch-jüdische Erbe des Herkunftslandes, sondern dokumentieren obendrein – und zunehmend stärker – die Geschichte der Einwanderung und Integration deutscher Jüdinnen und Juden in Israel bzw. den USA.

Museen

Eine jüdische Museumskultur ist in Nachkriegsdeutschland erst sehr spät entstanden. Die Entwicklung hin zu jüdischen Museen bzw. zur Frage, wie jüdische Geschichte in Museen repräsentiert werden kann und soll, vollzog sich in verschiedenen Phasen. In einer ersten Phase in den 1960er Jahren waren es erste Ausstellungen mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit, die auf die reichhaltigen – und weitgehend zerstörten – jüdischen Lebenswelten aufmerksam machten: die Austellung „Synagoga“ in Recklinghausen und Frankfurt am Main, die „Monumenta Judaica“ in Köln, die Historia Hebraica in Berlin sowie 1971 „Leistung und Schicksal“, ebenfalls in Berlin.[79] Erste jüdische Museen entstanden ab den 1970er Jahren, dies jedoch weniger aus eigenen Sammlungen heraus, sondern eher in einer Würdigung der lokal vorhandenen Relikte wie etwa Synagogen, Mikwen und derlei Überreste. Oft waren es also gerade in den Anfangsjahren lokale, zivilgesellschaftliche Initiativen, die erste Anstöße für die Gründung jüdischer Museen gaben. Ihr Engagement und der Wille der Kommunen und Städte führten so oft zu frühen Errichtungen von Museen in alten Synagogen oder anderen Orten jüdischen Lebens. Mit der Gründung der bis heute aktiven Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Sammlungen begann schon fast die nächste Phase, die ab den 1980er Jahren jüdische Geschichte in Museen zunehmend mit erinnerungskulturellen Fragen verband, so dass jüdische Geschichte in den Musealisierungsbemühungen der 1980er Jahre häufig Gedenkstättencharakter bekam – wie etwa beim Börneplatz und dem Museum Judengasse in Frankfurt am Main oder beim Jüdischen Museum in Rendsburg ebenso wie bei der Gründung der Stiftung Centrum Judaicum in Ostberlin. In den späten 1970er-Jahren rückte mithin die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und die Etablierung eines neuen Vergangenheitsbezugs ins Zentrum der Initiativen für jüdische Museen. Erst nach der Wende gab es Neubauten jüdischer Museen an nicht authentischen jüdischen Orten, wie etwa die Jüdischen Museen in Berlin und München.

Ab den 1990er-Jahren traten die Ideen des Vermittelns und des aktuellen Bezugs in den Vordergrund und führten zu einer Ausdifferenzierung der Museumslandschaft. Neben den größeren und kleineren jüdischen Museen, wie zum Beispiel dem Jüdischen Museum Franken (Fürth), dem Jüdischen Museum Würzburg „Shalom Europa“, dem Jüdischen Kulturmuseum Augsburg & Schwaben, dem Jüdischen Museum Rendsburg, dem Jüdischen Museum Halberstadt, dem Jüdischen Museum im Raschi-Haus Worms, der Alten Synagoge Essen oder dem Jüdischen Museum Westfalen (Dorsten), sind es auch die Gedenk- und Bildungsstätten zur NS-Herrschaft, wie die Stiftung Topographie des Terrors (Berlin), das Haus der Wannsee-Konferenz (Berlin), die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Berlin) oder das NS-Dokumentationszentrum München, die die Museumslandschaft mit bestimmen. Aus Platzgründen kann hier nur auf wenige Museen näher eingegangen werden.

Das Jüdische Museum Berlin wurde 2001 aus dem ehemaligen Berlin-Museum ausgegliedert und als eigenständiges jüdisches Museum mit einem Neubau von Daniel Liebeskind eröffnet. Der Bau verband Gedenkräume mit Ausstellungsräumen zur Geschichte und Kultur der Juden und Raum für Wechselausstellungen, die sich über viele Jahre zu Orten auch für Gegenwartsdebatten entwickelten. Zusammen mit der W. Michael Blumenthal Akademie ist das Jüdische Museum zugleich auch ein Ort des Lernens und des Austauschs. Ein besonderer Fokus liegt auf der Bildungsarbeit mit einem breiten pädagogischen Angebot. 2022 wurde zudem mit dem Anoha auch ein Kinder- und Jugendmuseum eröffnet, das Kinder über die Geschichte der Arche Noah in die Besonderheiten des Judentums einführen soll. Die epochenübergreifende Dauerausstellung sowie die zusätzlichen Sonderausstellungen des Museums nutzen die Objekte der angewandten Kunst, des religiösen Gebrauchs und der Alltagskultur sowie die Kunstwerke, Fotografien und Konvolute des Archivs.

In den Überresten der Neuen Synagoge zu Berlin, die 1866 feierlich eingeweiht worden war, wurde 1987 das Centrum Judaicum eröffnet, das sich seit 1995 als Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum in Dauer- und Wechselausstellungen vor allem der Geschichte des jüdischen Lebens in Berlin widmet. Das Jüdische Museum München begann als Privatinitiative in den 1980er Jahren. Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern übernahm es schließlich im neu errichteten Jüdischen Zentrum am St. Jakobs Platz in München, neben Gemeindehaus, Synagoge und Schule.

In Frankfurt am Main befinden sich gleich zwei jüdische Museumsstandorte: Das Jüdische Museum Frankfurt und das Museum Judengasse am Börneplatz. Gemeinsam erzählen sie die Geschichte jüdischer Lebenswelten vom Mittelalter bis in die Gegenwart – das Museum Judengasse zeigt am authentischen Ort u.a. die mittelalterlichen Überreste des Judenghettos und dokumentiert jüdisches Alltagsleben in der Vormoderne. Demgegenüber wird seit einer umfangreichen Renovierung mitsamt neuem Anbau die Zeit nach 1800 im Palais Rothschild museal präsentiert und so eine fast einzigartige Kontinuität jüdischen Lebens in einer deutschen Metropole sichtbar gemacht. Die historischen Sammlungen des Frankfurter Jüdischen Museums sind mehrheitlich Dokumente und Objekte aus dem 19. und 20. Jahrhundert und lassen unterschiedliche Aspekte einer urbanen Minderheit zwischen Verfolgung und Integration, zwischen politisch-sozialer Mitgestaltung und Ausgrenzung deutlich werden.

Als ein Beispiel für die vielen kleineren jüdischen Museen an Orten jüdischen Lebens und Wirkens kann das Museum SchPIRA in Speyer gelten. Neben den archäologischen Exponaten der Synagoge, des Ritualbades und des Friedhofs sind es auch die Dauerleihgaben der Judaica Sammlung aus unterschiedlichen Museen, die das Leben der Jüdinnen und Juden in Speyer und Umgebung vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit nachvollziehbar werden lassen. Das Jüdische Museum im archäologischen Quartier (MiQua) in Köln ist die jüngste Musealisierungsinitiative in Deutschland, die zukünftig die zugleich ältesten Überreste jüdischen Lebens auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands zeigen werden. Noch werden am Standort archäologische Grabungen durchgeführt, doch das Museum ist bereits jetzt digital und als Wanderausstellung präsent. Gerade hier zeigt sich beispielhaft die Bedeutung digitaler Medien über den Ort hinaus – über einen Blog werden Besucher:innen über die Entwicklungen rund um das Museums- und Grabungsgeschehen auf dem Laufenden gehalten und über eine App sollen erste „Outreach“-Versuche stattfinden.

Auch die Museumslandschaft Österreichs zur jüdischen Geschichte ist vielfältig. Neben den lokalen jüdischen Museen, die auf die tiefe Verwobenheit jüdischer und österreichischer Geschichte verweisen, wie zum Beispiel das Jüdische Museum Hohenems, das Institut für Jüdische Geschichte Österreichs St. Pölten oder das Österreichische Jüdische Museum Eisenstadt, sind es auch die Institutionen, die sich der NS-Herrschaft in Österreich widmen, wie das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (Wien), das Museum Judenplatz, die das breite Themenspektrum der jüdisch-österreichischen Geschichte museal abdecken. Das Jüdische Museum Wien (JMW) wurde erstmals 1893 gegründet, unter nationalsozialistischer Herrschaft allerdings geschlossen. Erst 1988 eröffnete es neu und bietet seit 2000 obendrein einen eigenen Standort für die jüdische Geschichte des Mittelalters. Die Idee eines Jüdisches Museum Hohenems wurde seit 1986 aus der Zivilgesellschaft heraus betrieben, 1991 konnte es schließlich eröffnen. Das Museum logiert in einer restaurierten Villa im Zentrum des ehemaligen jüdischen Viertels und versteht sich zugleich als Tagungszentrum.

In der Schweizer Museumslandschaft ist jüdische Geschichte meist integraler Bestandteil der allgemeinen Geschichte und damit Teil verschiedener Präsentationen lokaler Museen. Dabei bildet das Jüdische Museum der Schweiz in Basel eine Ausnahme. Es eröffnete 1966 als erstes Museum für jüdische Geschichte im deutschsprachigen Raum seit 1945 überhaupt.

Viele der vorgestellten Museen können geradezu als Vorreiter digitaler Angebote gesehen werden im Feld der deutsch-jüdischen Geschichte. Kaum ein Museum, das nicht auch Online-Angebote hat – Objekte im digitalen Display, digitale Gästebücher oder Sammlungskataloge in Gänze oder in Auszügen.

Eine hybride Form musealer Projekte sind Online-Ausstellungen. Diese werden zunehmend auch nicht nur von Museen angeboten, sondern so bietet etwa das Institut für die Geschichte der deutschen Juden im Rahmen seiner Online-Edition der Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte regelmäßig neue Online-Ausstellungen an, mit denen digital vorhandenes Quellenmaterial neu kontextualisiert und vertiefend dargeboten werden kann.[106]

1.4 Wie? Lehrangebote im Bereich jüdische Studien

An den Universitäten hielt die Thematik der jüdischen Geschichte ebenso wie die Judaistik nur zögerlich Einzug in den Lehrkanon. Die ersten Dozenten, die sich in ihrer Lehre diesen Feldern widmeten, waren meist aus dem Exil zurückgekehrte Remigranten. Seit 1952 gab der Germanist Adolf Leschnitzer Lehrveranstaltungen zu Themen der deutsch-jüdischen Geschichte an der Freien Universität in Berlin. Nach drei Jahren auf verschiedenen Gastprofessuren wurde er 1955 zum Honorarprofessor für „Geschichte des deutschen Judentums“ ernannt. 1966 erhielt Jacob Taubes, der wie Leschnitzer in New York unterrichtet hatte, an der Freien Universität Berlin einen Ruf auf den ersten Lehrstuhl für Judaistik in Deutschland. Ebenfalls 1966 entstand das Martin-Buber-Institut für Judaistik in Köln, 1969 ein Lehrstuhl in Frankfurt am Main und 1979 die vom Zentralrat der Juden in Deutschland getragene Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg. Inzwischen gibt es auch eigene Institutionen zur Rabbinerausbildung in Deutschland: So werden liberale Jüdinnen und Juden am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam, konservative Jüdinnen und Juden (Masorti) am Zacharias Frankel College in Potsdam, und orthodoxe Juden am Rabbinerseminar der Ronald S. Lauder Foundation in Berlin ausgebildet. Ein Blick in das Lehrangebot der deutschsprachigen Universitäten zeigt, dass inzwischen an vielen Universitäten Lehre zur jüdischen Geschichte und Kultur sowie zur Judaistik angeboten wird. In Deutschland sind dies unter anderem das Arye Maimon-Institut für die Geschichte der Juden an der Universität Trier, die Interkulturellen Jüdischen Studien an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf, das Institutum Judaicum Delitzschianum an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster sowie die meist an den theologischen Fakultäten angesiedelten Professuren, Seminare und Institute zur Judaistik an den Universitäten FU Berlin, Erfurt, Frankfurt am Main, Freiburg, Göttingen, Halle-Wittenberg, Hamburg, Köln und Tübingen. Eigenständige Institute, die Lehre an ihren jeweiligen Universitätsstandorten anbieten, sind das Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg, das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow an der Universität Leipzig, das Moses Mendelssohn Zentrum als An-Institut der Universität Potsdam mit einer gemeinsamen Berufung (Potsdam) und das Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte. Neben dieser Einbettung in das allgemeine Lehrangebot, gibt es zudem eine Vielzahl von Sonderformaten wie Sommerschulen, die Studierenden und Promovierenden Einblicke in die deutsch-jüdische Geschichte ermöglichen, so etwa die Europäische Sommeruniversität für jüdische Studien Hohenems, das deutsch-israelische Archivaustauschseminar für Doktorand:innen, das das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden alle zwei Jahre ausrichtet.[116] An einigen Universitäten ist zudem die jüdische Geschichte Teil spezialisierter Studiengänge.

Abteilungen für Jüdische Studien oder Judaistik sowie eigene Professuren mit Denominationen in diesen Bereichen gab es mit Gründungsjahr 1966 recht früh in Köln mit dem Martin-Buber-Institut für Judaistik. Der dortige Schwerpunkt liegt in der Erforschung des antiken und rabbinischen Judentums. Die Professur wurde jüngst neu ausgeschrieben und so bleibt abzuwarten, wie sich das Institut zukünftig ausrichten wird.

An der Ludwig Maximilians Universität (LMU) München wurde 1997 ein Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur mit einem neuzeitlichen Schwerpunkt eingerichtet, den Michael Brenner übernahm. Zwölf Jahre später folgte die Einrichtung eines weiteren Lehrstuhls mit einem Schwerpunkt auf der mittelalterlichen jüdischen Geschichte, den Eva Haverkamp seit 2009 innehat. Hinzu kommen zwei Sprachlektorate für Neu-Hebräisch und Jiddisch. Seit 2003 wird außerdem regelmäßig eine Allianz-Gastprofessur für Jüdische und Islamische Studien mit internationalen Wissenschaftler:innen besetzt.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau stiftete im Jahr 1989 die Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie in Frankfurt am Main, die seit 2005 vom Land Hessen dauerhaft fortgeführt wird. Aufgabe ist es, Studierenden aller Fachbereiche, gleichwohl mit einem Schwerpunkt auf Studierenden der Theologie und Philosophie, Einblicke in die jüdische Geschichte und Religion zu vermitteln. Der derzeitige Lehrstuhlinhaber ist Christian Wiese, der im Jahr 2021 zudem das Buber-Rosenzweig-Institut gründete.

An der Universität Potsdam sind gleich drei akademische Einrichtungen mit jüdischen Studien und Ausbildungsangeboten ansässig: am Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft, am 2011 ganz neu und bundesweit erstmals eingerichteten Institut für Jüdische Theologie und in den Rabbinerkollegs Abraham Geiger (Liberal) und Zacharias Frankel (Masorti). Zudem trägt das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien mit einer gemeinsamen Berufung auf eine Professur für europäisch-jüdische Studien zur Lehre an der Universität Potsdam bei.

In Österreich findet Forschung und Lehre zur jüdischen Geschichte vor allem an drei Orten statt: In Wien sind bereits für 1945 mit Kurt Schubert Anfänge der judaistischen Forschung zu verzeichnen, das 1966 gegründete Institut für Judaistik der Universität Wien baute darauf auf. Das seit 2000 bestehende Centrum für Jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität Graz (CJS) beschäftigt sich mit deutsch-jüdischer Geschichte, Literatur und Kultur seit der Aufklärung. Die Forschungen orientieren sich an kulturwissenschaftlichen und interdisziplinären Zugängen. Alle zwei Semester wird eine Kurt-David-Brühl-Gastprofessur für Jüdische Studien ausgeschrieben, die Lehrveranstaltungen sind Bestandteil des Joint-Degree-Masterstudiums „Jüdische Studien – Geschichte jüdischer Kulturen“. In Salzburg existiert seit 2004 eine interdisziplinäre Einrichtung, das Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte, Salzburg. Es beschäftigt sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive mit jüdischer Geschichte, Kultur, Literatur und Religion. Wichtige Forschungsgebiete sind unter anderem die rabbinische Literatur, die jiddische Literatur sowie das Thema der Erinnerungspolitik.

In der Schweiz bieten mit Basel, Bern und Luzern vor allem drei Universitäten Lehre im Bereich der jüdischen Studien an, haben jedoch keine eigenen Bibliotheken, sondern sind Teil der universitären Infrastruktur. Das Institut für Jüdisch-Christliche Forschung (IJCF), Luzern besteht als Teil der theologischen Fakultät seit 1981 und lädt zum Studium der Judaistik ein. Zugleich gehört zum Profil des Instituts die Förderung des jüdisch-christlichen Dialogs. Darunter fallen unter anderem auch Stipendien für Studien- und Sprachaufenthalte in Israel sowie Einladungen für Gastprofessuren. Luzern war die erste Universität, die in der Schweiz bereits 1971 das Fach Judaistik einrichtete und es zehn Jahre später in ein Institut überführte. Das Institut für Jüdische Studien wurde 1998 gegründet und ist eine interfakultäre und interdisziplinäre Einrichtung der Universität Basel. Es wird von der Philosophisch-Historischen Fakultät und der Theologischen Fakultät getragen und seit Mai 2000 wird das Fach „Jüdische Studien“ offiziell von der Universität anerkannt. In Bern liegt der Fokus des 2008 gegründeten Institut für Judaistik auf der Erforschung und Lehre zum Judentum in Antike und Mittelalter.

1.5 Was? Projekte und Publikationen

Tatsächlich reichen Versuche, neue Technologien für die Forschungspraxis in der Judaistik sinnvoll einzubinden, mindestens bis 1969 zurück, als Henry Ekstein während des Fünften Weltkongresses für Judaistik in Jerusalem ein Papier vorstellte, in dem er eine Vision für eine Datenbank skizzierte, die seiner Ansicht nach viele der Probleme der Informationsspeicherung und -abfrage auf dem Gebiet der Judaistik lösen würde.[123] Ihm schwebte eine umfassende Datenbank vor, die nicht nur alle Daten im Feld der jüdischen Studien zusammenführen, sondern auch alle relevanten Forschungszentren vernetzen könnte. Tatsächlich existieren heute einige Projekte, die sich auf diesen Weg begeben haben. So bündelt die Judaica Europeana als übergeordnetes Portal über 3,7 Millionen Datensätze von 30 Einrichtungen aus Europa, Israel und den USA, macht diese zentral durchsuchbar und zugänglich. Neben den Digitalisaten, die Dokumente ebenso umfassen wie Postkarten oder Tonaufnahmen, werden umfassend beschreibende Metadaten (Urheber, Entstehungsdatum, Rechtehinweise, Klassifikationen etc.) mit dem Ziel bereitgestellt, die Normdaten für den Bereich der jüdischen Geschichte und Kultur weiterzuentwickeln und anzureichern. 2022 ging schließlich ein Portal online, das sich als Online-Verzeichnis aller Projekte zu Jüdischen Studien versteht, die einen Forschungsansatz oder Methodik aus den digitalen Geisteswissenschaften verfolgen. Die von Gerben Zaagsma am Center for Contemporary and Digital History (C²DH) an der Universität Luxemburg entwickelte Website #DHJewish - Jewish Studies and Digital Humanities ist damit ein optimaler Zugang für einen Überblick zu digitalen Angeboten, Veranstaltungen und Neuigkeiten aus dem Bereich der Jüdischen Studien und den Digital Humanities. Die Seite zeigt zugleich die zunehmende internationale und auch persönliche Vernetzung der Akteure in dem Feld. Das Portal allein macht bereits deutlich, dass hier kein erschöpfender Überblick über die digitalen Angebote im Bereich der jüdischen Studien gegeben werden kann. Doch zu drei Wegen der wissenschaftlichen Zugänge zur jüdischen Geschichte sollen hier einige Projekte beispielhaft skizziert werden.

Mündliche Quellen – Oral History

Schon lange ist Oral History eine anerkannte Methode der Fachwissenschaft. Gerade im Gedenkstättenumfeld sind über viele Jahrzehnte hinweg Interviewprojekte mit Zeitzeug:innen umgesetzt worden – auf den jeweils technisch modernsten Medien. Seit vom Ende der Zeitzeugenschaft gesprochen wird und mit der Möglichkeit, Interviews zu digitalisieren, ist eine nachhaltige Nutzung dieser teils beinahe versteckten mündlichen Archive in neuer Form möglich geworden. Selbst ganz frühe – und noch längst nicht als solche bezeichnete – Oral History Projekte wie die Sammlung von Tonbandaufnahmen von David P. Boder mit Überlebenden der Konzentrationslager sind seitdem zugänglich. Und doch erscheint der öffentliche Umgang mit Zeitzeugen widersprüchlich. Auch hier werden immer neue Technologien eingesetzt, so etwa, um Gespräche mit älteren Holocaust-Überlebenden nach deren Tod zu simulieren, teils als Hologramm, mit der Fiktion einer dreidimensionalen Präsenz.[127] Doch vor lauter Faszination der neuen technischen Möglichkeiten scheint das distanziertere Hinterfragen zuweilen auf der Strecke zu bleiben.

Die demgegenüber fast schon klassischen Oral History Sammlungen sind inzwischen vielfach zugänglich.

Das ZfA neben der FU Berlin, dem IfZ in München und der Frankfurter Goethe Universität gehört zu den Orten in Deutschland, an denen die Interviews des Visual History Archive der Spielberg Shoah Foundation eingesehen werden können.[129] Dieses ist neben anderen, wie zum Beispiel dem Voice/Vision Holocaust Survivor Oral History Archive an der University of Michigan (Dearborn) und dem Fortunoff-Archive an der University of Yale eines der größten Archive für Oral History Interviews. Bei der Hamburger Werkstatt der Erinnerung handelt es sich um ein seit 1990 aufgebautes Oral-History-Archiv, das mittlerweile über eine Sammlung von etwa 2200 lebensgeschichtlichen Erinnerungen verfügt. Ähnlich ist auch das Forschungsprojekt „Archiv der Erinnerung: Interviews mit Überlebenden der Shoah” des Moses Mendelssohn Zentrums entstanden. Dieses bietet in Kooperation mit dem Fortunoff Video Archive für Holocaust Testimonies an der Yale-University lebensgeschichtliche Interviews mit Überlebenden der Shoah, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR – zumeist in der Region Berlin-Brandenburg – lebten.[132] Aufbauend auf diesen zahlreichen Einzelprojekten entsteht derzeit an der Freien Universität Berlin – gemeinsam mit zahlreichen in dem Feld erfahrene Kooperationspartnern – eine Oral History Plattform, die all diese Vorhaben gemeinsam zugänglich machen möchte.

Editionen

Gerade für Editionsvorhaben bietet die Digitalisierung mehr als nur größere Sichtbarkeit. Die Hypertextualität ermöglicht es, lokal vorhandene Quellen als Digitalisate über gute Auszeichnungen und offene Schnittstellen mit anderen Angeboten weltweit zu verknüpfen und gewissermaßen miteinander ins Gespräch zu bringen. So können etwa auch etwaige Mammut-Werke einzelner Personen in größere Kontexte eingebunden und die editorischen Angebote von anderen Projekten nachgenutzt werden. Ein Beispiel hierfür ist das auf 24 Jahre angelegte Projekt der Mainzer Akademie der Wissenschaften Buber-Korrespondenzen Digital, das sich zum Ziel gesetzt hat, 40.000 Briefe aus der mehrsprachigen Korrespondenz von Martin Buber mit seinen Zeitgenossen zu kommentieren und digital zugänglich zu machen. Transkripte und Übersetzungen aus dem Hebräischen gehören dabei wie selbstverständlich dazu.

Die von 2013 an unter Leitung von Miriam Rürup aufgebaute und nun von Anna Menny fortgeführte Online-Edition Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte verfolgt einen anderen Ansatz. Hier werden exemplarische Quellen gleichsam als Türöffner für größere Themen der jüdischen Geschichte ins Zentrum gestellt. Am Beispiel ausgewählter Quellen, die sowohl gezeigt wie auch kontextualisiert werden, entsteht so nicht nur eine Quellenedition, sondern eine Art digitale Einführung in die deutsch-jüdische Geschichte am Hamburger Beispiel.[134] An diese Vorarbeiten wird nun mit einem neuen Projekt des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, in Zusammenarbeit mit dem IGdJ, angeknüpft und im Herbst 2023 ein Portal zu Jüdische Geschichte Online bereitgestellt.[135] In diesem werden diverse historisch fundierte Online-Editionen und andere datenbankbasierte Online-Angebote modular Eingang finden und zugleich hypertextuell (etwa über übergeordnete Suchfunktionen) verbunden werden. Das Vorhaben möchte damit nicht nur eine Verknüpfung der weitverzweigten und vereinzelten inhaltlichen und editorischen Online-Projekte zur deutsch-jüdischen Geschichte ermöglichen, sondern versteht sich auch als Angebot etwa für abgeschlossene, drittmittelfinanziere Datenbankprojekte, die auf dieser Plattform inhaltlich eingebunden werden können und dabei auch über enge Projektlaufzeiten hinaus Sichtbarkeit erhalten – und dabei doch eigenständig bestehen bleiben. Das Vorhaben ist somit in gewisser Weise eine themenfokussierte, kuratierte Forschungsdateninfrastruktur historischer digitaler Angebote zur jüdischen Geschichte. Über die Metasuche ermöglicht sie zugleich die inhaltliche Verbindung sonst eigenständiger und unabhängiger Projekte.

Open Access bei Zeitschriften und Retro-Digitalisierungen

Zahlreiche der hier vorgestellten Institute publizieren ihre Forschungsergebnisse sowohl in Monographien und Sammelbänden als Konferenzergebnisse. Einige bieten obendrein eigene Zeitschriften an – so veröffentlicht die Abteilung für Jüdische Geschichte der LMU zweimal jährlich die Münchner Beiträge, die Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien publiziert Zeitschriften wie Mussaf, ein Hochschulmagazin und Trumah, das Moses Mendelssohn Zentrum die Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte (ZRGG)[139] sowie die Zeitschrift Aschkenas[140], das Leibniz-Institut Simon Dubnow obendrein ein zweisprachiges Jahrbuch/Yearbook[141] und ein Magazin und das österreichische Institut InJoest veröffentlicht die Zeitschrift Juden in Mitteleuropa und die Vereinigung für Jüdische Studien e.V. publiziert seit 2004 PaRDeS, deren Ausgaben als PDF angesehen werden können. Das bislang einzige rein digitale Zeitschriftenangebot im Bereich der jüdischen Studien liefert Medaon. Dieses „Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung“ erscheint bereits seit 2007 und bietet wissenschaftliche Artikel aus verschiedenen Fachredaktionen, darunter auch einer zu „Digitalem“. Ohnehin ist – wie bei allen Angeboten der Wissenschaftsvermittlung – auch im Bereich der hier nur vereinzelt genannten Zeitschriftenangebote festzustellen, dass die Bemühungen zunehmend in die Richtung digitaler Angebote gehen. So sind etwa die bei de Gruyter publizierten Zeitschriften digital verfügbar und als Lizenzangebote innerhalb größerer Bibliotheken oft auch sofort kostenfrei, andere Publikationen stehen mit einer „Moving Wall“ von ein bis zwei Jahren meist ebenfalls online zur Verfügung. Das Moses Mendelssohn Zentrum erarbeitet gerade eine Option, alle gemeinfrei und Open Access zur Verfügung stehenden Publikationen mit einer Metasuche als Jewgle Books durchsuchbar zu machen und so miteinander zu verbinden.

2. Fazit

Gerade im Feld der jüdischen Geschichte, in der verschiedenste Flucht- und Migrationsbewegungen zu einer nahezu diasporischen Existenz sowohl der archivalischen Materialien wie auch der Forschungen zur deutsch-jüdischen Geschichte überhaupt führten, bieten digitale Angebote ganz neue Formen der nachträglichen Verknüpfung, vielleicht gar der erneuten Zusammenführung dieses oft gewaltsam verstreuten und seither vereinzelten historischen Erbes.

Dies betrifft insbesondere Archivalien, die – selbst für die Erforschung kleinster Lokalbeispiele – an verschiedenen Orten verstreut liegen. Indem Materialien inzwischen häufig sogar auf Aktenebene digitalisiert verfügbar gemacht und online gestellt wurden, ist gewissermaßen eine virtuelle Wiedervereinigung zerstörter Archivbestände möglich. Zugleich können sie digital sowohl an ihren Herkunftsorten ebenso wie an den Orten ihrer Bewahrung präsentiert werden und veranschaulichen damit im gleichen Zug die von Migrationsbewegungen geprägte jüdische Geschichte.

Aber nicht nur im archivalischen Bereich wird deutsch-jüdische Geschichte schon lange grenzüberschreitend betrieben – nach dem Zweiten Weltkrieg waren es gar gerade die aus Deutschland emigrierten Forschenden, die sich der deutsch-jüdischen Geschichte zuwandten. Auch im Bereich des digitalen, methodischen Austauschs ist die persönliche Vernetzung ohnehin das Gebot der Stunde. Lange waren es vor allem Big Data Projekte, die mit den neuen Möglichkeiten möglichst umfangreiche und zusammenhängende Mengen an Material zur Verfügung stellen wollten. Ebenso entstanden zahlreiche digitale Einzelprojekte, die oft auf ehrenamtlicher Basis und zum Teil gar als „Ein-Mensch“-Projekte zu Aspekten der jüdischen Geschichte verdienstvolle digitale Angebote entwickelten (es sei hier nur auf die Alemannia Judaica verwiesen). Und im Kontext vieler drittmittelgeförderter individueller Forschungsprojekte entstanden wertvolle datenbankgestützte Materialsammlungen. Diese verweisen sogleich auf die sich bei allen digitalen Projekten stellende neue Herausforderung, namentlich: diese Forschungsdaten nachhaltig zu bewahren und adäquat, sprich: nachnutzbar in die Zukunft zu bringen. Ansätze wie die Nationale Forschungsdateninfrastruktur versuchen hierauf eine Antwort zu geben – doch für die jüdische Geschichte greifen sogar sie noch zu kurz. Hier setzen neue Projekte in dem Bereich an, die versuchen, eine Vernetzung zwischen Projekten zur (deutsch-)jüdischen Geschichte in verschiedenen Ländern herzustellen und zu fördern. Dafür Modelle zu entwickeln, wird derzeit diskutiert und soll – nach der allgemeinen Faszination darüber, was mittels digitaler Werkzeuge alles umgesetzt werden kann – , in einer nächsten Phase die Verknüpfung verschiedener Forschungsdaten und -projekte internationaler Provenienz angesichts der notwendigen Mehrsprachigkeit und Mehrschriftlichkeit der jüdischen Geschichte in den Blick nehmen.

Literaturhinweise

Die hier angeführte Literatur bietet nur eine kleine Zusammenfassung zur Forschungsliteratur im Bereich der deutsch-jüdischen Geschichte. Ein ausdifferenzierter Überblick über die jeweiligen lokal- bzw. national-orientierten Forschungen würde den hier angelegten Rahmen sprengen.

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Richarz, Monika, German Jews and the University, 1678–1848, Rochester, NY et.al. 2022.
Rürup, Miriam, Alltag und Gesellschaft, Paderborn 2017 (= Perspektiven deutsch-jüdischer Geschichte).
Schüler-Springorum, Stefanie, Geschlecht und Differenz, Paderborn 2014 (= Perspektiven deutsch-jüdischer Geschichte).
Sinn, Andrea; Heusler, Andreas (Hrsg.), German Jews and Migration to the United States, 1933–1945, Lanham 2022 (= Lexington Studies in Modern Jewish History, Historiography, and Memory).
Volkov, Shulamit, Rewriting German History. Jewish Experience as a Corrective, New York, NY et.al. 2022 (= The Leo Baeck Memorial Lecture; 63).
Zaagsma, Gerben u.a (Hrsg.), Jewish Studies in the Digital Age, Oldenburg 2022 (= Studies in Digital History and Hermeneutics, 5).

Fußnoten

  1. [1] Dieser Guide stellt eine komplett neu überarbeitete und um neue Schwerpunkte erweiterte Ausgabe einer vorherigen Version eines Guides zur Jüdischen Geschichte im deutschsprachigen Raum dar, den Anna Menny, Björn Siegel und ich gemeinsam verfasst haben. Ich danke Anna Menny und Björn Siegel (beide Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg) für hilfreiche Anmerkungen zu dieser neuen Ausarbeitung sowie Daniel Burckhardt (Moses Mendelssohn Zentrum für Europäisch-Jüdische Studien, Potsdam) für kritische Lektüre und Ergänzungen und Katharina Tauschwitz für die Unterstützung bei der Erstellung des Verzeichnisses.
  2. [5] Zur Bedeutung historischen Wissens in und der Vermittlungsmöglichkeiten von digitalen Spielen hat etwa Nico Nolden einige Überlegungen vorgelegt, siehe seine Dissertation Geschichte und Erinnerung in Computerspielen. Erinnerungskulturelle Wissenssysteme, Berlin 2019.
  3. [7] Gerben Zaagsma, “#DHJewish – Jewish Studies in the Digital Age,”in: Medaon 12 (2018), S. 1–11.
  4. [8] Vgl. hierzu auch den Guide von Till Grallert zu digitalen Ressourcen des Globalen Südens, der dezidiert und ausführlich auf das Problem mehrsprachiger Quellen und deren lateinischer Transkription sowie Auffindbarkeit in den Katalogen des Globalen Nordens eingeht.
  5. [9] Joanna Dyduch, Marcela Menachem Zoufalá & Olaf Glöckner (2023): Israel Studies in Poland, Czech Republic, and Germany: paths of development, dynamics, and directions of changes, Journal of Israeli History, https://doi.org/10.1080/13531042.2023.2212891.
  6. [10] Siehe hierzu auch den Clio-Guide von Oliver Gaida und Laura Busse zu Nationalsozialismus und Holocaust, https://guides.clio-online.de/guides/epochen/nationalsozialismus-und-holocaust/2018 (31.07.2023).
  7. [22] Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer, hrsg. von Steffi Jersch-Wenzel und Reinhard Rürup, 6 Bände, München u.a.: K.G. Saur, 1996ff. Die von Dr. Manfred Jehle erstellte Datenbank-Grundlage der Recherchen ist erhalten, derzeit noch nicht wieder nutzbar, soll jedoch überarbeitet und wieder verfügbar gemacht werden.
  8. [23] Vgl. Kleio. Ein Datenbanksystem. St. Katharinen 1989 and later editions (= Halbgraue Reihe zur Historischen Fachinformatik. B 1).
  9. [24] Siehe Gerben Zaagsma, Tagungsbericht Jüdische Geschichte digital. 13.06.2013–14.06.2013, Hamburg, in: H-Soz-u-Kult 10.09.2013, https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-123635 und https://www.uni-potsdam.de/de/digital-humanities/aktivitaeten/henriette-herz-hackathons/dhjewish-hackathon (15.05.2023).
  10. [37] Juedische Friedhöfe Uni Potsdam, https://www.uni-potsdam.de/de/juedische-friedhoefe/index (31.07.2023) und IGDJ Friedhofsdatenbank, https://www.igdj-hh.de/digitales/friedhofsdatenbank (31.07.2023).
  11. [46] Vgl. Dohrn, Verena; Heuberger, Rachel, Judaica in deutschen Bibliotheken – Bestandsaufnahmen und Perspektiven. Themenheft der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 53 (2006) H. 3–4, S. 123–195), https://zs.thulb.uni-jena.de/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00001866/j06-h5-6-auf-1.pdf (31.07.2023).
  12. [48] Alternativ auch http://www.jg-berlin.org (31.07.2023).
  13. [59] Einen ersten Überblick bieten die folgenden Datenbanken: Erinnerungsorte der Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/themen/6NLRC8,0,Erinnerungsorte_.html (31.07.2023) oder Orte der Erinnerung 1933 – 1945 – Gedenkstätten, Dokumentationszentren und Museen zur Geschichte der nationalsozialistischen Diktatur in Berlin und Brandenburg, http://www.orte-der-erinnerung.de (31.07.2023).
  14. [64] Vgl. zur Gründungsgeschichte des IGdJ ausführlicher: Björn Siegel: Verworrene Wege. Die Gründungsphase des IGdJ. In: Miriam Rürup (Hrsg.): 50 Jahre, 50 Quellen. Festschrift zum Jubiläum des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg 2016, S. 26–53 und Miriam Rürup: Wem gehört die jüdische Geschichte? Zur Institutionalisierung jüdischer Zeitgeschichte in der Bundesrepublik, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 72 (2021), 7/8, S. 365–384.
  15. [65] Siehe Staatsarchiv Hamburg, https://recherche.staatsarchiv.hamburg.de/ScopeQuery5.2/archivplansuche.aspx (31.07.2023).
  16. [79] Vgl. Inka Bertz, Jüdische Museen in der Bundesrepublik, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 72 (2021), 7/8, S. 431–449.
  17. [106] Siehe etwa Institut für die Geschichte der deutschen Juden, https://schluesseldokumente.net/ausstellung (31.07.2023).
  18. [116] Siehe Institut für die Geschichte der deutschen Juden, https://www.igdj-hh.de/igdj/nachwuchsfoerderung (31.07.2023).
  19. [123] Henry C. Ekstein, “How to Increase Effectiveness of Research in Jewish Studies,” in: Proceedings of the World Congress of Jewish Studies (1969), S. 3–7.
  20. [127] Siehe hierzu Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, https://www.filmuniversitaet.de/forschung-transfer/forschung/projekte/projektseite/detail/volumetrisches-zeitzeugnis-von-holocaustueberlebenden (31.07.2023).
  21. [129] Auch erreichbar unter https://vhaonline.usc.edu/login.
  22. [132] Die vollständige und ungeschnittene Sammlung des „Archiv der Erinnerung“ kann in der Bibliothek des Moses Mendelssohn Zentrums in Gänze angesehen werden sowie an der Yale University recherchiert und nach einer Registrierung auch online eingesehen werden: https://fortunoff.aviaryplatform.com/collections/1468 (31.07.2023). Auch die Bibliothek der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz bietet einen Zugang zum Fortunoff-Archiv an.
  23. [134] Siehe Institut für die Geschichte der deutschen Juden, https://schluesseldokumente.juedische-geschichte-online.net/ (31.07.2023).
  24. [135] Siehe Jüdische Geschichte online, https://juedische-geschichte-online.net/projekt/portal/ (31.07.2023); Das Vorhaben wird von Miriam Rürup (MMZ) geleitet, von Anna Menny (IGdJ) und Nina Zellerhoff (MMZ) koordiniert und von Daniel Burckhardt (MMZ) technisch umgesetzt.
  25. [139] Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte (ZRGG), 1948–.
  26. [140] Aschkenas, 1992–.
  27. [141] Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts (JSDI), 2002–.

Prof. Dr. Miriam Rürup ist Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien und Professorin an der Universität Potsdam.

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