Auf den ersten Blick ist die Geschichte des 19. Jahrhunderts im Netz nur schwach repräsentiert: Es gibt keine zentralen Portale, die den Zugang erleichtern oder einen Überblick über relevante Themen und wichtige Informationsressourcen ermöglichen.[1] Auf der anderen Seite spricht vieles dafür, dass das 19. Jahrhundert aktuell vermutlich die digital am besten erschlossene Epoche der Weltgeschichte überhaupt darstellt. Dieser widersprüchliche Befund erklärt sich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Kennzeichnung des 19. Jahrhunderts als „Epoche“ in der westeuropäischen Geschichtswissenschaft zwar kaum mehr umstritten ist, diese Periodisierungskonvention sich jedoch nur selten in eigenen Lehrstühlen und noch seltener in eigenen Forschungsinstituten niederschlägt. So wird die Debatte über die durchaus kontrovers zu verhandelnden genauen Eckdaten des mehrheitlich als „lang“ wahrgenommenen Zeitabschnitts zwischen 1789 und 1917/18 bzw. seiner „kürzeren“ Alternativen und Binnenperiodisierungen, ebenso wie die Auseinandersetzung über zentrale Probleme, die den Epochenbegriff rechtfertigen (oder eben nicht), in der Regel im deutschsprachigen Raum unter dem Etikett der „Neueren und Neuesten Geschichte“ geführt. In globalgeschichtlicher Perspektive erhöht sich die Komplexität möglicher Periodisierungsansätze zudem noch einmal erheblich.[2]
Forschung zum 19. Jahrhundert organisiert sich im Netz ebenso wie in der nicht-digitalen Welt eher methodisch spezialisiert (zum Beispiel als Sozialgeschichte oder Verfassungsgeschichte) und themenbezogen, was sich in einer ganzen Reihe von hervorragenden Themenportalen zu einzelnen historischen Prozessen (wie zum Beispiel Industrialisierung oder Parlamentarismus) oder politisch-sozialen Bewegungen (Arbeiterbewegung, Frauenbewegung und anderen) widerspiegelt. Viele dieser Angebote sind nach wie vor Projekte in nationalem Rahmen oder gehen auf die Initiative einzelner Wissenschaftler:innen bzw. Institute mit ihren jeweiligen Forschungsschwerpunkten zurück.
Bereits sehr viel einheitlicher und internationaler kommt das 19. Jahrhundert demgegenüber daher, wenn man das digitale Angebot auf die Bereitstellung von Quellen hin befragt: Wichtige Retrodigitalisierungsprojekte, wie zum Beispiel Gallica von der Bibliothèque nationale de France (BnF), haben die vorhandenen Bestände ab 1789 bis zum Ersten Weltkrieg zugänglich gemacht. Besonders Zeitungssammlungen, immer mehr aber auch Bild-, Museums- und andere Bestände stehen entsprechend bereits in digitalisierter Form, häufig sogar kostenfrei oder zumindest in den Universitätsbibliotheken über lizensierte Zugänge, zur Verfügung. Da anders als für die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts Sammlungen für die Epoche des 19. Jahrhunderts tendenziell eher als abgeschlossen gelten dürfen, kann für einige Themen- und Fragestellungen tatsächlich auf weitgehend vollständig digitalisierte Quellenbestände zurückgegriffen werden.
Das Autor:innenteam[4] behandelt seinen Interessen und Kompetenzen entsprechend das „Lange 19. Jahrhundert“ im Folgenden erstens in den von Eric Hobsbawm eingeführten Grenzen, von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges[5], zweitens in möglichst europäisch vergleichender, teilweise auch globalgeschichtlicher Perspektive und drittens in einer Methodenvielfalt, die auch Berührungspunkte mit anderen Disziplinen ermöglicht. Aufgrund sprachlicher Schranken können dabei nicht alle existierenden Angebote gleichermaßen Berücksichtigung finden. Ein Schwerpunkt wird auf der Geschichte Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens und hier auf den digitalen Angeboten von Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen aus diesen Ländern liegen; darüber hinaus finden auch einige weitere europäische Länder und die Vereinigten Staaten von Amerika Beachtung. Der Beitrag versteht sich als Orientierungshilfe für alle, die sich mit der Geschichte des 19. Jahrhunderts beschäftigen und dabei auf digitale Ressourcen zurückgreifen möchten.[6]
Recherche und Kommunikation im Internet gehören für Historiker:innen und Studierende, die über das 19. Jahrhundert arbeiten, längst zum Alltag. Die Angebote staatlicher und kommerzieller Anbieter steigen ebenso wie solche sozialer Netzwerke oder einzelner Privatpersonen mit rasanter Geschwindigkeit an. Bislang existiert jedoch neben Clio-Online keine Webseite, die angesichts dieser Fülle von Rechercheoptionen und Informationsangeboten epochenspezifische Orientierung bietet. Selbstverständlich kann ein Zugriff über Suchmaschinen wie Google oder Bing usw. durchaus zu einer Reihe von seriösen Treffern führen; gerade für Anfänger:innen ist es jedoch schwer, die Qualität der Seiten einzuschätzen, und längst nicht alles ist wissenschaftlich empfehlenswert. Im Anschluss an einige einleitende Bemerkungen zu institutionellen Infrastrukturen und herausragenden Webseiten bzw. Online-Publikationen soll daher mit diesem Guide der Versuch unternommen werden, gegenwärtig zugängliche Informationsressourcen systematisch geordnet vorzustellen, in Anlehnung an einzelne Schritte (Recherchieren, Kommunizieren, Publizieren, Diskutieren) und Gegenstände (Quellen und Literatur) im Prozess des geschichtswissenschaftlichen Arbeitens selbst.
Die sehr weit fortgeschrittene digitale Erschließung besonders von Texten aus dem 19. Jahrhundert ist kein Zufall. Sie erklärt sich vor dem Hintergrund, dass hier die Interessen von Bibliotheken und Forschung eng miteinander vernetzt waren. Das 19. Jahrhundert war Zeuge einer Medienrevolution, die sich unter anderem in einer Vervielfältigung von Presseerzeugnissen niedergeschlagen hat. Angesichts des drohenden Papierzerfalls wurden gerade diese Quellengruppen schon sehr früh beliebte Objekte einer Digitalisierung im Zuge von Bibliotheks- und anderen Förderprogrammen zum sogenannten „Bestandsschutz“. In Deutschland förderte beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) verschiedene Projekte zur „Erhaltung schriftlichen Kulturguts“; vergleichbare Projekte gibt es auch für alle anderen in diesem Guide behandelten Länder. Zur anschließenden Bereitstellung der Ergebnisse für die Forschung war es vergleichsweise nur ein kleiner Schritt, da keine urheberrechtlichen Probleme bestanden.
Zentrale Akteure in diesem Prozess waren häufig die Nationalbibliotheken, die entsprechend auch im Folgenden, sowohl bei Hinweisen zu Recherchemöglichkeiten im Internet als auch im Bereich der digitalen Medien selbst, eine große Rolle spielen werden. Für Deutschland sind als zentrale Institutionen besonders das Münchner Digitalisierungszentrum der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) sowie das Göttinger Digitalisierungszentrum der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek zu erwähnen, die auch über den Bereich des Zeitungswesens hinaus weitreichende Programme zur Digitalisierung von Literatur aus dem 19. Jahrhundert durchgeführt haben. Gleichzeitig bemühen sich Projekte der Retrokatalogisierung um eine bessere Erschließung der vorhandenen Bestände, so dass auch ältere Literatur für Studierende und Fachwissenschaftler:innen leichter auffindbar ist als dies früher der Fall war. Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Sammlung Deutscher Drucke haben für Publikationen des 19. Jahrhunderts nationalbibliothekarische Funktionen übernommen: Die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main (für die Erscheinungsjahre 1801–1870) sowie die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (für die Erscheinungsjahre 1871–1912).
Trotz der guten Dokumentation des 19. Jahrhunderts in ihren Beständen hat es sich jedoch kaum eine Bibliothek zur Aufgabe gemacht, diese Epoche auch durch gezielte thematische Angebote aufzubereiten. In diesen Bereich sind eher private Anbieter wie die US-amerikanische Verlagsgruppe Gale vorgedrungen, die kostenpflichtige Angebote produzieren, die in Deutschland über DFG-finanzierte Nationallizenzen zugänglich sind. So bietet beispielsweise die Datenbank The Making of the Modern World: Economics, Politics, and Industry eine umfassende zweiteilige Sammlung schwerpunktmäßig ökonomischer Literatur des 19. Jahrhunderts, die als Grundlage zur Erforschung von wirtschafts-, sozial- aber auch politikgeschichtlichen Fragestellungen dienen kann.
Die wenigen digitalen bzw. digitalisierten Veröffentlichungen, Blogs und thematischen Internetseiten, die das 19. Jahrhundert prominent im Titel tragen, stammen hauptsächlich aus Frankreich. Besonders die Revue d’histoire du XIXe siècle, die von der Société d’histoire de la révolution de 1848 et des révolutions du XIXe siècle herausgegeben wird, veröffentlicht halbjährlich Beiträge zum Thema in seiner gesamten Breite, Rezensionen zu neuen Publikationen, Hinweise auf abgeschlossene Dissertationen und thematische Bibliografien. Lag anfangs ein besonderer Fokus auf Themen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, so greifen jüngere Jahrgänge auch kulturgeschichtliche Fragestellungen auf. Die Ausgaben der Zeitschrift ab 1985 sind online; einzelne Beiträge der neuesten Jahrgänge sind über das Portal Cairn kostenpflichtig zugänglich.
Institutionen, die ihre Forschungsschwerpunkte zum 19. Jahrhundert auch im Internet präsentieren, sind unter anderem das an der Sorbonne angesiedelte Centre d’histoire du XIXe siècle sowie die Nineteenth Century Studies Association. Ersteres bietet auf seiner Webseite Informationen zu Forschungsvorhaben und Publikationen des Zentrums, Zugriff auf eine Datenbank zu illustrierten Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg sowie eine kleine virtuelle Bibliothek; letztere koordiniert und fördert Forschungen im US-amerikanischen Raum zu Themen des 19. Jahrhunderts.
Clio-Online versteht sich seit 2001 als digitales Einstiegsportal für die Geschichtswissenschaften im deutschsprachigen Raum; es bietet Fachinformationen und Kommunikationsdienste. Fachwissenschaftliche Informationen werden mit Möglichkeiten zur Interaktion verknüpft, bereits existierende Angebote – nur unter anderem auch zum 19. Jahrhundert – von Hochschulen, Bibliotheken und anderen Forschungseinrichtungen werden hier vernetzt und daneben weitere Angebote in Kooperation mit diesen Institutionen entwickelt. H-Soz-Kult dient innerhalb von Clio-Online als Plattform für die historische Fachkommunikation, deren Zentralredaktion an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelt ist. Über die Webseite oder per E-Mail können sich Besucher:innen bzw. Abonnent:innen über Tagungsankündigungen, Tagungsberichte und Zeitschrifteninhaltsverzeichnisse ebenso informieren wie über Stipendien- und Stellenausschreibungen, neue Studiengänge, Wohnungsangebote, Ausstellungsangebote und weitere fachspezifische Termine und Neuigkeiten. Eine eigene Rubrik „19. Jahrhundert“ gibt es nicht, sodass der/die Benutzer:in die Angebote zur Neueren und Neuesten Geschichte selbst auf seine/ihre Interessen hin durchsehen muss. Der Zugriff auf Rezensionen zu neuer Fachliteratur über das 19. Jahrhundert erfolgt zunächst über die Rubrik „Neuere Geschichte“, kann dann aber nochmals auf kürzere Zeiträume bzw. thematisch eingeschränkt werden.
Der an der Bayerischen Staatsbibliothek München angesiedelte Fachinformationsdienst (FID) Geschichtswissenschaft historicum.net baut im Dialog mit Historiker:innen ein digitales Informationsangebot zum gesamten Spektrum der Geschichtswissenschaft auf. Die Seite fächert seit dem umfassenden Relaunch zahlreiche Dienste auf und dient als Ausgangspunkt für weitere Recherchetools wie zum Beispiel historicumSEARCH, worüber Fachliteratur nach Schlagwortsuche gefunden werden kann. Daneben bietet der FID Wissenschaftler:innen Angebote zum elektronischen Publizieren.
Auch einige Universitätsbibliotheken, wie zum Beispiel die Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, betreiben eigene Fachportale zur Einführung in besondere Epochen oder geografische Räume. Dabei wird das 19. Jahrhundert als eigene Epoche gewürdigt: Wissenschaftliche Portale und Fachbibliotheken werden hier ebenso aufgelistet wie bibliografische Datenbanken, Zugänge zu digitalisierten Quellenbeständen oder zu Nachschlagewerken. Das Freiburger Fachportal erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versteht sich als ein didaktisches Hilfsmittel für Studierende, auf deren Bedürfnisse die Angebote klar zugeschnitten sind.
Die Literaturrecherche zur Geschichte des 19. Jahrhunderts erfolgt in der Regel über die allgemeinen fachwissenschaftlichen bzw. teilweise auch fächerübergreifenden Bibliografien. Einen zentralen Einstieg auf verschiedene historische Bibliografien ermöglicht die noch von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften betriebene Webseite European Historical Bibliographies. Hier sind unter anderem auch die Jahresberichte für Deutsche Geschichte verlinkt, die, auch wenn sie seit 2016 nicht mehr fortgeführt werden, nach wie vor die umfassendste Fachbibliografie ihrer Art zu Themen der deutschen Geschichte darstellen. Es werden deutsch- und fremdsprachige Monografien, Sammelbände und Beiträge, Zeitschriftenaufsätze, Quelleneditionen, Nachschlagewerke und Bibliografien erfasst und nach Möglichkeit auch Literatur außerhalb des Verlagsbuchhandels mit aufgenommen. Die Suche erfolgt in der Regel nach Schlagworten, kann aber zum Beispiel auch auf die „Deutsche Staatenwelt“ oder das „Kaiserreich“ eingegrenzt werden. Als Nachfolgerin fungiert die Deutsche Historische Bibliographie des Fachinformationsdienstes Geschichte, deren Erschließungsqualität aber nicht mit den Jahresberichten vergleichbar ist. Von 1990 bis 2013 dokumentiert die Historische Bibliographie Online die von der deutschen Geschichtswissenschaft aktuell publizierte historische Fachliteratur, ergänzt um eine Auswahl ausländischer Titel. Das Angebot ist frei über das Internet verfügbar, wird aber nicht weiter fortgeschrieben. Ebenso nützlich ist die von mehreren Bibliotheken erstellte Aufsatz- und Rezensionsdatenbank Online Contents – OLC Geschichte. Sie erschließt Inhaltsverzeichnisse von rund 1.000 historisch relevanten Zeitschriften ab dem Erscheinungsjahr 1993 und eignet sich insbesondere für das Bibliografieren von Rezensionen. Die Aufsätze sind nicht verschlagwortet, gesucht wird nach Titelstichworten oder Autor.
Als wichtige Informationsressource haben sich daneben besonders die Historical Abstracts (HA) etabliert, die Zeitschriftenartikel, Aufsätze aus Sammelwerken, Monografien und Dissertationen zur Geschichte aller Länder (außer Nordamerika) ab 1450 bis zur Gegenwart verzeichnen. Vorteil dieser Datenbank: Alle Einträge sind mit Kurzzusammenfassungen versehen, die einen ersten inhaltlichen Einblick ermöglichen. Auch eine Volltextsuche über die Abstracts der Aufsätze ist möglich. Die Titelauswahl ist international, wobei der Schwerpunkt deutlich auf Literatur in europäischen Sprachen (vor allem Englisch und Französisch) liegt. Der Bereich Nordamerika wird von der Datenbank America: History and Life (AHL) abgedeckt; HA und AHL zusammen bilden eine „globale“ Auswahlbibliografie zur Geschichte der Neuzeit. Die ebenfalls kostenpflichtige Internationale Bibliographie der Zeitschriftenliteratur Online (IBZ) erfasst derzeit über 4,8 Millionen Zeitschriftenaufsätze aus 11.500 Zeitschriften der Jahre 1983ff. aus über 40 Ländern in mehr als 40 Sprachen. Sie macht die Aufsätze über ein Schlagwortsystem unter Berücksichtigung der Gemeinsamen Normdatei (GND) in Deutsch und Englisch zugänglich. Jährlich kommen 132.000 Aufsätze hinzu. Das Themenspektrum der erfassten Zeitschriften ist epochen- und fachübergreifend. Der Zugang wird in der Regel über Lizenzen der Universitätsbibliotheken ermöglicht, ebenso wie derjenige zur Internationalen Bibliographie der Rezensionen Online, die seit 1985 publizierte Rezensionen verzeichnet.
Spezialisierte Archive zum 19. Jahrhundert gibt es nicht: Interessierte werden den Zugang zu dieser Epoche entsprechend über die national und regional je nach Landestradition mehr oder weniger ausdifferenzierten Archive der einzelnen europäischen Staaten suchen. Unter Federführung des Landesarchivs Baden-Württemberg und als Teilprojekt der Deutschen Digitalen Bibliothek wurde das Archivportal-D entwickelt, das Informationen zu Archiven und Erschließungsinformationen, aber auch digitalisiertes Archivgut aus ganz Deutschland im Internet zur kostenlosen Nutzung bereitgestellt. Soweit vorhanden, kann von dort aus in den Findmitteln der teilnehmenden Archive recherchiert und können Suchergebnisse und digitalisierte Archivalien aus Archiven unterschiedlicher Träger angezeigt werden.[31] Das Bundesarchiv bietet einen Zugang nach chronologisch aufeinanderfolgenden politischen Regimen an. Mit invenio steht ein neues Rechercheinstrument zur Verfügung, das Zugriff auf sämtliche frei zugängliche Erschließungsinformationen und Digitalisaten des Bundesarchivs ermöglicht. Im digitalen Bildarchiv des Bundesarchivs finden sich zudem über 245.000 digitalisierte Fotos, darunter auch viele aus dem 19. Jahrhundert. Zur Nutzung der Angebote des Bundesarchivs ist eine Registrierung erforderlich.
Noch systematischer, da stärker zentralisiert, sind Informationen zum 19. Jahrhundert in den Nationalarchiven Frankreichs, Großbritanniens und der USA online abrufbar: Die Archives nationales de France machen ihre Findbücher (inventaires) über den Webauftritt weitgehend, jedoch noch nicht vollständig zugänglich. Originaldokumente findet man hier zwar nur ausgewählt zu bestimmten Themen, darunter jedoch mehrere ausdrücklich zum „langen“ 19. Jahrhundert (Französische Revolution, Second Empire, Gravures/Photographies/Cartes). Die britischen National Archives hingegen präsentieren sich nicht nur mit einem differenzierten Webauftritt (Volltextsuche über Kurzzusammenfassungen möglich), sondern erschließen auch einen größeren Teil ihrer Bestände in digitalisierter Form. Ähnlich lassen sich im neuen Katalog der US-amerikanischen National Archives and Records Administration nicht nur Signaturen inklusive Beschreibungen finden, sondern vielfach bereits digitalisierte Quellen (PDF, OCR). Sowohl die Einträge als auch das Angebot an digitalisierten Inhalten werden stetig erweitert. Über Hispana, ein Portal der spanischen Nationalbibliothek, werden digitalisierte Sammlungen aus Archiven, Bibliotheken und Museen in ganz Spanien, auch auf regionaler und lokaler Ebene zugänglich gemacht. Eine besonders gut bestückte Sammlung zur katalanischen Geschichte bietet die Memòria Digital de Catalunya. Eine vergleichbare Sammlung wird in den Niederlanden von der Webseite Het Geheugen van Nederland bereitgestellt.
Viele Museen stellen inzwischen ihre Objektdatenbanken zur freien Online-Recherche zur Verfügung; darauf wird im Abschnitte zu „Digitalen Medien/Bildquellen“ noch näher eingegangen. An dieser Stelle sei als internationales Projekt besonders die europäische digitale Bibliothek Europeana hervorgehoben, über die auch zahlreiche Quellen zum langen 19. Jahrhundert recherchierbar sind. Es handelt sich um eine virtuelle Bibliothek, die einer breiten Öffentlichkeit das wissenschaftliche und kulturelle Erbe Europas bis in die Gegenwart in Form von Bild-, Text-, Ton- und Video-Dateien zugänglich machen soll. Der/die Nutzer:in erhält Zugang zu verschiedenen Inhaltstypen, die von Museen, Archiven, Bibliotheken und anderen beteiligten Institutionen zur Verfügung gestellt werden. Europeana sammelt lediglich Metadaten zu den verfügbaren Objekten, die vom Nutzer zentral durchsucht werden können. Anschließend ist über einen Link die Weiterleitung zu den Seiten der Originalobjekte möglich.
Neben Kommunikationsplattformen wie H-Soz-Kult oder Clio-Online haben sich inzwischen auch Wissenschaftsblogs und andere Kommunikationsdienste als Medien des Austauschs über Forschungsthemen des 19. Jahrhunderts etabliert. Die bereits oben erwähnte Société d’histoire de la révolution de 1848 et des révolutions du XIXe siècle, Herausgeberin der epochenspezifischen Revue d’histoire du XIXe siècle, betreibt einen Blog Actualité du XIXe siècle auf der Plattform hypotheses.org, mit dem Anspruch, aktuelle Publikationen, Ausstellungen, Filme und andere Veranstaltungen zum 19. Jahrhundert zu kommentieren; auch Hinweise auf Quellen und Archive sind hier zu finden. Darüber hinaus existiert unter dem Titel Das 19. Jahrhundert in Perspektive ein weiterer Blog in deutscher Sprache, der institutionell am Deutschen Historischen Institut Paris angesiedelt ist. Dieser berichtet nicht nur aus den laufenden Forschungen des Instituts, sondern dient auch der Vernetzung zwischen deutschen und französischen Historiker:innen, die über das 19. Jahrhundert arbeiten und gibt Veranstaltungshinweise.
Weitere Wissenschaftsblogs zum 19. Jahrhundert finden sich im Katalog der Blogplattform hypotheses.org, dessen deutscher Ableger de.hypotheses.org seit 2012 am Start ist.
Intensiver als im deutschsprachigen Bereich werden zum Beispiel in Frankreich darüber hinaus soziale Medien wie Twitter und Facebook zur Wissenschaftskommunikation genutzt. Um sich über Veranstaltungen, Calls for papers und Jobangebote auf dem Laufenden zu halten, kann man den französischen Kalender der Geisteswissenschaften Calenda konsultieren. Hier ist, anders als bei Clio-Online und H-Soz-Kult, auch ein Abonnement von ausschließlich auf das 19. Jahrhundert bezogenen Anzeigen per RSS-Feed möglich. Weitere, zunehmend wichtiger werdende kommerzielle Kommunikationsplattformen sind academia.net und researchgate.net, die aber keinen spezifischen Bezug zum 19. Jahrhundert aufweisen.
Im Bereich der Nachschlagewerke waren auch für das 19. Jahrhundert lange Zeit die großen Nationalenzyklopädien von besonderer Relevanz. 2015 wurde jedoch die Brockhaus Enzyklopädie online endgültig eingestellt, während zum Beispiel auf die Britannica Online weiterhin zugegriffen werden kann. In der täglichen Arbeit spielen inzwischen freie Online-Lexika, allen voran die Online-Enzyklopädie Wikipedia, sicherlich die wichtigste Rolle. Wikipedia verlinkt auch Hinweise auf Quellen und Literatur zu den behandelten Themen. Das offene Konzept erschließt sowohl thematisch als auch biografisch oder chronologisch ein weites Spektrum, das auch neuere Forschungsergebnisse kurzfristig berücksichtigen kann. Die wissenschaftliche Qualität der Beiträge ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, da es kein externes Evaluationsverfahren für die veröffentlichten Inhalte gibt. Fachspezifische Unternehmen wie Docupedia-Zeitgeschichte haben zwar einen stark zeitgeschichtlichen Fokus, können aber für das 19. Jahrhundert zumindest im Hinblick auf Theorie- und Methodendebatten relevant sein.
Ähnlich wie im Bereich der Enzyklopädien werden auch gedruckte biografischen Nachschlagewerke immer stärker durch frei zugängliche Internetangebote verdrängt. Seit 2010 ist unter dem Namen Deutsche Biographie ein gemeinsames Angebot der Historischen Kommission und der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) online gegangen, das ein strukturiertes lexikalisches Expertenwissen mit Informationen zu mehr als 730.000 Persönlichkeiten des deutschsprachigen Kulturraums bietet. Neben den Volltexten der Artikel der älteren Allgemeinen Deutschen Biographie (1875–1912) sowie der Neuen Deutschen Biographie (1953ff.) werden durch Verlinkungen zertifizierte Angebote zu diesen Personen, Artikel aus weiteren biografischen Lexika, Quellen, sowie Objekte, Werke und Porträts bzw. deren Nachweise erschlossen. Das Biographie-Portal vernetzt das Projekt darüber hinaus unter anderem mit dem Österreichischen Biographischen Lexikon 1815–1900 und dem Historischen Lexikon der Schweiz. Weiteren Kooperationsvereinbarungen zufolge sollen zukünftig zusätzliche nationale und regionale biografische Nachschlagewerke in das Portal aufgenommen werden. Über eine Nationallizenz ist darüber hinaus auch das World Biographical Information System Online (WBIS Online) zugänglich, welches mehrere Millionen Kurzbiografien aus zahlreichen Nachschlagewerken aus verschiedenen Kulturräumen vom 16. bis 21. Jahrhundert erfasst. Hingegen ist das kostenpflichtige Oxford Dictionary of National Biography nur über lokale Universitätslizenzen nutzbar.
Es gibt kaum Portale, die sich auf den Aufbau einer digitalen Quellensammlung allgemein zum 19. Jahrhundert spezialisiert haben. Eine Ausnahme stellen die Angebote des Deutschen Historischen Instituts Washington (DHIW) und des britischen Institute of Historical Research dar. So ermöglicht das DHIW mit der von ausgewiesenen Expert:innen erarbeiteten German History in Documents and Images fundierte Einblicke in das 19. Jahrhundert; Themen der Politik-, Sozial- und Kulturgeschichte werden gleichermaßen berücksichtigt. Neben Textdokumenten finden sich hier zu verschiedenen Unterkapiteln auch Bilder und Landkarten sowie ausführliche, kontextualisierende Einleitungen. Im Vergleich dazu ist die Sammlung des Institute of Historical Research weniger umfangreich, da der Abschnitt zum 19. Jahrhundert auf British History Online letztlich eine verschlagwortete Datenbank darstellt, deren Inhalte dem 19. Jahrhundert zugeordnet werden. Der Zugriff auf digitale Quellen zur eigenen Geschichte, unter anderem auch des langen 19. Jahrhunderts, kann in vielen westeuropäischen Ländern zunächst zentral über die Portale der Nationalbibliotheken oder über einzelne im Bereich der Digitalisierung spezialisierte Landes- bzw. Universitätsbibliotheken erfolgen. Abgesehen von der bereits erwähnten digitalen Bibliothek Gallica der Bibliothèque nationale de France existieren entsprechende zentrale Angebote auch für Spanien, die Biblioteca Digital Hispánica, und Italien, das Internet Culturale. Die beiden ersten Zentren für Retrodigitalisierung von Quellen in Deutschland wurden an der Bayerische Staatsbibliothek mit dem Münchner Digitalisierungszentrum sowie an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen mit dem Göttinger Digitalisierungszentrum aufgebaut. Frei verfügbare Quellen, die im 19. Jahrhundert entstanden sind bzw. erstmals veröffentlicht wurden, können inzwischen in beträchtlicher Zahl auch über Wikisource erschlossen werden, ein weiteres Projekt der Wikimedia Foundation. Der Zugriff auf Quellen sollte beim wissenschaftlichen Arbeiten jedoch in der Regel über einen konkreten thematischen Zusammenhang erfolgen, so dass im Folgenden ein Überblick über verschiedene Quellengattungen gegeben wird.
Eine große und wachsende Zahl europäischer Tages- und Wochenzeitungen aus dem 19. Jahrhundert steht inzwischen in digitalisierter Form zur Verfügung; die Bestände bieten damit eine hervorragende Grundlage für die Quellenarbeit mit Zeitungen in Forschung und Lehre. Diese Möglichkeiten werden häufig nicht genutzt, da gute und laufend aktualisierte Übersichten über die verfügbaren Titel fehlen. Das von der Europäischen Union initiierte Projekt Europeana bietet erstmals die Möglichkeit, von einer zentralen Seite in historischen Zeitungen aus 23 europäischen Ländern zu recherchieren. Die Übersicht über die bereits umfangreichen Bestände funktioniert gut, sie lassen sich nach Ländern und Herkunftsinstitutionen anzeigen. Die Bestände bilden derzeit zwar noch kein repräsentatives Sample der europäischen Presse, die European Library könnte sich in der nächsten Zeit jedoch zu einem zentralen Recherchetool für Historiker:innen des 19. Jahrhunderts entwickeln, das es etwa ermöglicht, auf sehr schnellem Weg Presseberichte aus verschiedenen europäischen Ländern zu einem Ereignis zu recherchieren. Recherchefunktionen und ihre Erläuterung könnten allerdings noch differenzierter sein.
Trotz erster europäischer Projekte sind Sammlungen digitaler Zeitungen des 19. Jahrhunderts im Internet in der Regel weiterhin nationsspezifisch. Die Digitalisierung französischer Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert lag zentralisiert in der Hand der Bibliothèque nationale de France. Vorteil dieser Zentralisierung ist, dass die genannte Datenbank Gallica unter der Rubrik Presse et revues einen großen Bestand französischer Tages- und Wochenzeitungen übersichtlich aufbereitet, die überwiegend seit Gründungsdatum der jeweiligen Zeitung verfügbar sind; nicht alle Jahrgänge dieser Zeitungen sind dabei bisher durchsuchbar.
Der Bestand an digitalisierten britischen Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert ist inzwischen hervorragend und in stetigem Wachstum begriffen. Während die französischen Publikationen über Gallica stets frei und damit kostenlos zugänglich sind, setzen die meisten britischen Anbieter auf kostenpflichtige Abonnements für Bibliotheken bzw. Privatpersonen. Dank DFG-geförderter Nationallizenzen sind fast alle Zeitungen jedoch inzwischen auch von deutschen Bibliotheken aus gut erreichbar; eine Übersicht bietet die Seite nationallizenzen.de. Das gilt etwa für die Sammlung ProQuest Historical Newspapers (1791‒1900), die neben zentralen US-amerikanischen Zeitungen den britischen Guardian und Observer umfasst, und ebenfalls für die Sammlung 19th Century British Library Newspapers (Gale Cengage Learning). In dieser Sammlung finden sich 48 Zeitungen, die von der British Library als repräsentativ für das 19. Jahrhundert ausgewählt wurden; sie decken ein breites geografisches Spektrum und verschiedene politische Bewegungen des 19. Jahrhunderts ab. Alle Zeitungen, das ist besonders erfreulich, sind im Volltext durchsuchbar. Das Times Digital Archive, das lange Zeit eine ebenfalls von einer Nationallizenz abgedeckte, hervorragend aufbereitete Datenbank zu Verfügung stellte, ist seit 2021 über die Bibliothek der Universität Göttingen für Interessierte in Deutschland verfügbar, seither aber leider deutlich schwerer zu bedienen und nicht mehr systematisch durchsuchbar. Über einige Bibliotheken, wie zum Beispiel die Bayerische Staatsbibliothek München, ist dieses Archiv aber über Gale für alle registrierten Nutzerinnen und Nutzer der Staatsbibliothek abrufbar.[73]
Unter anderem die österreichische, finnische, niederländische, belgische und spanische Nationalbibliothek haben vor Jahren mit umfassenden, inzwischen weit fortgeschrittenen Digitalisierungsprojekten historischer Zeitungen begonnen, die meist freien Zugang zu umfassenden Zeitungsbeständen des 19. Jahrhunderts bieten. Die Biblioteca Digitală der Stadt Bukarest ist mit einem umfangreich digitalisierten Bestand rumänischer Zeitungen ein Beispiel für auch in Osteuropa voranschreitende Digitalisierungsprojekte, wobei diese Webseite aber leider immer wieder mit Serverproblemen zu kämpfen hat. Die US-amerikanische Library of Congress verfolgt das National Digital Newspaper Program; über Chronicling America bietet sie Suchoptionen, dazu kurze chronologisch-thematische Einführungen, führt entsprechende Schlagwörter auf und verzeichnet einschlägige Zeitungsartikel, was einen äußerst hilfreichen Rechercheeinstieg darstellt. Der Schwerpunkt liegt allerdings deutlich auf der Zeit ab 1850.
In Deutschland erschweren viele kleinere dezentrale Digitalisierungsprojekte den Überblick über den Bestand historischer Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert. Gegenüber Ländern wie Großbritannien und Frankreich hat die Digitalisierung deutscher Zeitungen mit einer gewissen Verzögerung eingesetzt. Die Frakturschrift gilt als Erschwernis für die automatische Texterkennung. Mit dem Deutschen Zeitungsportal der Deutschen Digitalen Bibliothek ging 2022 allerdings eine neue Datenbank online, die durchsuchbare Digitalisate von zahlreichen deutschen Zeitungen des 19. Jahrhunderts zur Verfügung stellt. Zudem bieten die amerikanische Seite EuroDocs Historic German Newspapers Online und das Zeitungsinformationssystem ZEFYS der Staatsbibliothek zu Berlin eine gute Übersicht über weitere digitalisierte Bestände. Eine Reihe bayerischer Zeitungen ist vom Digitalisierungszentrum an der Bayerischen Staatsbibliothek erschlossen worden und auf dem Zeitungsportal digiPress zugänglich. Darüber hinaus gibt es für das späte 19. Jahrhundert zahlreiche Zeitungen aus allen deutschen Regionen inzwischen auch in digitalisierter Form; sowohl regionale als auch Zeitungen überregionaler Bedeutung aus dem Kaiserreich sind jedoch häufig nur für begrenzte Zeiträume verfügbar. Ausnahmen wie die Freiburger Zeitung, die von 1784 bis 1932 digitalisiert ist, sind selten und darüber hinaus meist nicht durchsuchbar. Selbst überregional bedeutsame Zeitungen wie die Neue Preußische Zeitung (Kreuz-Zeitung) sind bisher nur für kleinere Zeiträume verfügbar. Für andere wichtige europäische Tageszeitungen, besonders des späten 19. Jahrhunderts, existieren teilweise eigene digitale Archive; in der Regel erfolgt der Zugriff aber über die oben genannten Nationalbibliotheken. Einige Literaturzeitschriften und Feuilletons mit frei zugänglichen Onlineressourcen bietet die Liste Literaturzeitschriften, Feuilletons und andere Rezensionsorgane im mittleren und späten 19. Jahrhundert von Katja Mellmann. Die sozialdemokratische Presselandschaft des 19. Jahrhunderts hat bis Ende 2019 durch die Friedrich-Ebert-Stiftung einen umfassenden Zuwachs erfahren. Über Historische Presse der deutschen Sozialdemokratie online sind der Vorwärts seit Ende 2017 bis 1933 digitalisiert sowie weitere Titel wie Freiheit, Der Sozialdemokrat, Berliner Volksblatt und Die Gleichheit und können systematisch und über Volltextsuchen recherchiert werden.
Auch die digitale Verfügbarkeit von Parlamentsdebatten ist für das 19. Jahrhundert noch uneinheitlich, insgesamt jedoch gut. Positiv heraus sticht erneut Großbritannien: Die Datenbank House of Commons Parliamentary Papers, 1688‒2004 (HCPP), zugänglich über eine Nationallizenz für ProQuest U.K. Parliamentary Papers enthält die kompletten Ober- und Unterhausdebatten seit 1803; diese stehen daneben auch auf der vom Parlament selbst verantworteten Seite Hansard 1803–2005 frei zur Verfügung. Weit darüber hinaus jedoch bietet die Datenbank HCPP, die von amerikanischen Host ProQuest betrieben wird, nach eigener Aussage „jedes offiziell publizierte Dokument des Britischen Parlaments“ seit 1688: insgesamt rund 11 Millionen Seiten Gesetzestexte, Berichte, Korrespondenz von Parlamentariern und Botschaftern, Memoranden usw.
Französische Parlamentsdebatten des 19. Jahrhunderts sind in digitalisierter Form in Gallica eingebunden; unhandlich sind allerdings deren Recherchefunktionen. Für die Epoche von 1787 bis 1860 gibt es Digitalisate der zahlreichen Bände der Archives parlementaires de 1787 à 1860, die freilich noch nicht den gesamten Berichtszeitraum abdecken. Seit der Dritten Republik sind sowohl Parlamentsdebatten als auch Gesetze und Dekrete abgedruckt im Journal Officiel de la République Française, dessen Digitalisierung für die Dritte Republik (1871–1940) weit fortgeschritten ist. Debatten des Senats ebenso wie der Chambre des Députés finden sich über Gallica für die Zeit ab 1881 bzw. 1884. Die Links zum Journal Officiel und den jeweiligen Parlamentsdebatten lassen sich jedoch über Google oder über den Katalog der BnF besser finden als über Gallica selbst; der Verbundkatalog Sudoc gibt leider keinen Hinweis auf vorhandene Digitalisate. Für Spanien liegen auf der Homepage des Boletín Oficial del Estado sämtliche Veröffentlichungen der staatlichen Gesetzgebung zwischen 1661 und 1959 digital vor, die sich chronologisch, thematisch und institutionell durchsuchen lassen. Darin enthalten sind auch die Debatten der jeweiligen Kammern der Cortes für die verschiedenen Regime des 19. Jahrhunderts. Auch die Protokolle und Akten verschiedener anderer nationaler Parlamente, wie des österreichisch-ungarischen Reichsrats oder der niederländischen Staten-Generaal sind online zugänglich.
In Deutschland ist die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) derzeit auch führend in der Retrodigitalisierung von Parlamentsdebatten aus dem 19. Jahrhundert. So finden sich auf der Seite des Münchner Digitalisierungszentrums die Protokolle des ersten deutschen Parlaments, der Frankfurter Nationalversammlung. Ebenfalls von der BSB betreut wurde die Digitalisierung der Reichstagsdebatten von 1871 bis 1942, der Protokolle des Norddeutschen Bundes 1867–1870 und des Zollparlaments 1868–1870; sie sind gesammelt in der Datenbank Verhandlungen des deutschen Reichstags. Gleichfalls durchsuchbar sind dort für den Zeitraum von 1867 bis 1938 die Reichstagshandbücher, die Gesetzestexte, Geschäftsordnungen und Kurzbiografien von Abgeordneten enthalten. Die eingebundene Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten bietet ausgefeilte Recherchefunktionen für Abgeordnetenbiografien, unter anderem nach Parteizugehörigkeit oder Ort des politischen Wirkens. Die 1922–1927 publizierte Quellenedition zur Außenpolitik des Kaiserreiches, die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871‒1914, ist über das amerikanische Internet Archive in Form einer durchsuchbaren PDF-Datei zugänglich.
Neben Quellen der staatlichen Organe auf Reichsebene sind zweifellos auch die Debatten in den Parlamenten der deutschen Einzelstaaten vor 1871 beziehungsweise der Länder (nach 1871) von großem Interesse für die historische Forschung. Für Preußen hat die Berlin- Brandenburgische Akademie der Wissenschaften die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums Acta Borussica von 1810/17 bis 1934/8 wissenschaftlich ediert; die Bände dieser Edition sind nun als durchsuchbare PDFs – allerdings ohne spezielle Recherchemöglichkeiten ‒ auch im Internet zugänglich. Noch im Prozess der Digitalisierung befinden sich die Stenografischen Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten.
Flugschriften und Pamphlete
Ähnlich wie für Zeitungen, Regierungs- und Parlamentsakten gilt auch für andere Quellengattungen: Eine Recherche auf gesamteuropäischer Ebene ist bislang kaum möglich, entsprechende Zugriffsmöglichkeiten sind jedoch im Aufbau begriffen. Die nationalen Angebote sind unterschiedlich ausgeprägt; insgesamt ist die Zahl der Datenbanken, die gleichzeitig gattungsspezifisch sammeln und repräsentative Mengen digitalisierten Materials frei verfügbar machen, sehr überschaubar. Am ehesten noch gelingt dies für Flugschriften und Pamphlete. Für Großbritannien existiert die umfassende Sammlung 19th Century Pamphlets Online, die den digitalisierten Pamphlet-Bestand von gut zwei Dutzend britischen Bibliotheken enthält (über 200.000 Flugblätter). Die Österreichische Nationalbibliothek stellt ebenfalls eine Auswahl an digitalisierten Flugblättern, Kalendern, Einblattdrucken und Amtsdruckschriften des 16. bis 19. Jahrhunderts online bereit. Vergleichbares gibt es in Deutschland und Frankreich nicht. Hier sind Flugblätter jedoch über übergreifende Datenbanken wie Gallica und die Deutsche Digitale Bibliothek auffindbar.
Weitere Bestände von Textquellen sind oft sehr themenspezifisch, so beispielsweise die Broadside Ballads Online der Bodleian Library in Oxford, die Balladen und Musikblätter vom 16. bis zum 20. Jahrhundert beinhalten; die alphabetisch aufgelistete Sammlung digitalisierter Bücher zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit einem Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert, die an der Universität Köln vom Seminar für Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte bereitgestellt werden; sowie das Victorian Women Writers Project der University of Indiana, welches Textmaterial zu unbekannteren britischen viktorianischen Schriftstellerinnen sammelt, unabhängig von der Textsorte.
Bilder und Fotografien
Für die Suche nach historischem Bildmaterial und Überrest-Quellen zum langen 19. Jahrhundert stehen unterschiedliche Optionen zur Verfügung, die von der konkreten Quellengattung abhängen. So lassen sich Gemälde meist über große Museen und Gemäldegalerien recherchieren, während Fotografien oft in spezifischen Fotodatenbanken auffindbar sind. Es gibt jedoch vielfach Überschneidungen, und über kommerziell ausgerichtete Angebote wie das Archiv für Kunst und Geschichte akg-images und die Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, bpk-Bildagentur lässt sich beides parallel und vor allem nationsübergreifend einsehen.
Große Museen, die gut aufbereitete Datenbanken mit Abbildungen ihrer Bestände anbieten, sind beispielsweise der Pariser Louvre und die Londoner National Portrait Gallery. Das Gleiche gilt für das British Museum und das Deutsche Historische Museum (DHM), die aufgrund ihrer Sammlung neben Gemälden, Zeichnungen und ähnlichem noch eine Reihe weiterer Quellentypen aufführen. Die Collection Online des British Museum bietet eine hervorragende und oftmals ausführliche wissenschaftliche Kommentierung der Objekte, was bei der Datenbank LeMO – Lebendiges Museum Online des DHM, die im Jahr 1815 einsetzt, nicht immer der Fall ist; die umfangreichere Objektdatenbank des DHM ist leider unvollständig, beschränkt sich ganz auf Basisinformationen und ist aktuell nur über die Deutsche Digitale Bibliothek zugänglich. Für Großbritannien lohnt sich ein Blick auf die Angebote der British Library (BL), insbesondere auf die Sammlung an Photographs, die auch ab ca. 1850 das 19. Jahrhundert über Fotografien erschließen.[118] Einen ähnlichen Ansatz verfolgen in Frankreich das zeitlich breiter aufgestellte Projekt L’histoire par l’image sowie der Verbundkatalog der Museen Joconde.
Für systematische Recherchen bietet der Katalog Explore Archives and Manuscripts der BL die Option der Einschränkung der Suche auf Fotografien. Dazu gibt es noch den älteren Catalogue of Photographically Illustrated Books. Unter Victorian Britain sind die Bestände der BL zur viktorianischen Zeit gesammelt, die unterschiedlichste Quellen umfassen. Eine sinnvolle Ergänzung dazu ist die Sammlung der Library of Congress in Washington, die Cartoon Prints, British von 1780 bis 1830, und vor allem das British Cartoon Archive der University of Kent mit über 170.000 Digitalisaten. Auch werden inzwischen immer mehr Satire- und Karikaturzeitschriften online verfügbar gemacht. Für den französischen Raum wäre hier auf die von der Universitätsbibliothek Heidelberg bereitgestellte Sammlung Französische Kunst- und Satirezeitschriften und Karikaturen hinzuweisen, während für Großbritannien beispielsweise die Zeitschrift Punch mehrfach digitalisiert vorliegt[128], in Deutschland Kladderadatsch und Simplicissimus ebenso wie die Fliegenden Blätter (1844–1944) digitalisiert worden sind. Auch die Satire-Zeitschriften Jugend (1896–1940) und Der Wahre Jacob (1879–1933) sind digital erschlossen und durchsuchbar.
Über die bereits erwähnten Recherchemöglichkeiten hinaus existieren allein für Deutschland noch zahlreiche weitere mit jeweils umfassendem Angebot. Herauszustellen sind in jedem Fall das Digitale Bildarchiv des Bundesarchivs (Bilder, Luftbilder, Plakate), die Deutsche Fotothek der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden mit dem Archiv deutscher Fotografen und das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte (Bildarchiv Foto Marburg), welches keinen nationalen Schwerpunkt hat, sondern auf europäische Kunst und Architektur ausgerichtet ist. Alle drei ermöglichen differenzierte Recherchen in einem sehr großen Bestand. Schließlich wäre noch das Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek zu nennen, das jedoch für das 19. Jahrhundert nur von begrenztem Interesse sein dürfte, da sich die Bestände eher auf das 20. Jahrhundert konzentrieren.
Karten
Digitalisierte Karten sind in Großbritannien und Frankreich wiederum über die Digital Collections der BL und die Sammlung Cartes von Gallica einsehbar. Eine umfassende Sammlung findet sich außerdem über die Seite Maps and Atlases der Universitätsbibliothek Utrecht. Old Maps Online ist eine Suchmaschine, die für jeden auf einer Weltkarte auswählbaren Ort historische Karten auflistet. Auch in Deutschland sind große Bestände digitalisiert worden, was durch einzelne Bibliotheken vor allem über DFG-Projekte realisiert wurde. So umfasst die IKAR-Altkartendatenbank für Altkartendrucke (bis 1850) die Bestände der drei größten Kartensammlungen in deutschen Bibliotheken, der Bayerischen Staatsbibliothek München, der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und der Staatsbibliothek zu Berlin und weiterer Bibliotheken. Ebenso nützlich für historische Fragestellungen ist das DFG-Projekt Kartenforum der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek, in welchem die Karten nicht nur digitalisiert vorliegen, sondern anhand einer Timeline auch zeitlich präzise eingrenzbar sind, wie auch die Hauptorte jeder Karte georeferenziert sind. Gerade für die Lehre gut einsetzbar ist sind die IEG-Maps, der Server für historische digitale Karten des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz.
Chronologischer Zugriff: Politische Regime und Ereignisse
Chronologisch spezialisierte Online-Angebote zur europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts existieren gerade für die erste Jahrhunderthälfte in eher überschaubarer Zahl. Zur Französischen Revolution ist in erster Linie das French Revolution Digital Archive zu empfehlen, das einen umfangreichen Bestand von 14.000 Druckgrafiken sowie die Archives parlementaires zur Verfügung stellt. Die EuroDocs-Seite France: 1789–1817 der Brigham Young University erschließt vor allem spezialisierte Datenbanken und Portale, die den Zugriff auf weiteres Quellenmaterial ermöglichen.
Einen thematisch breiten Zugang zur napoleonischen Zeit (wie auch zum Second Empire) bietet die Fondation Napoléon. Hier sind sowohl thematische Dossiers wie eine umfangreiche Sammlung digitalisierter archivalischer und gedruckter Quellen, einschließlich Bildermaterial, versammelt. Nützlich sind zudem die umfangreichen thematisch geordneten Bibliografien. Die University of Washington hat mit der Napoleonic Period Collection ihrerseits französische und britische Karikaturen samt Erläuterungen digitalisiert, die gerade Studienanfänger:innen einen guten Einstieg in die Analyse von Bildquellen bieten. Noch am Anfang steht ein Quellenblog Napoleon auf der Spur mit Erläuterungen zur napoleonischen Zeit in Deutschland.
Ein größeres Angebot an digitalisierten Quellen existiert für die Revolution von 1848. Für den Deutschen Bund bieten die Sammlung Friedländer der Universitätsbibliothek Lodz und der Zentral- und Landesbibliothek Berlin sowie 1848 – Flugschriften im Netz der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main Zugriff auf mehrere Tausend Flugschriften; die Österreichische Nationalbibliothek deckt mit ihrem Online-Angebot ÖNB Digital die Habsburgermonarchie einschließlich ihrer italienischen Gebiete ab. Für Frankreich hält die University of Chicago im ARTFL Project eine umfangreiche Sammlung Pamphlets and Periodicals of the French Revolution of 1848 zum Revolutionszeitraum einschließlich der II. Republik bereit. Das Marxists Internet Archive konzentriert sich mit The Revolution of 1848 vor allem auf die radikale Linke und bietet Zugang zu französischem Quellenmaterial in englischer Übersetzung. Eine deutsche Plattform zur Geschichte des Vormärz auf Basis der Ausstellung im Hambacher Schloss bietet demokratiegeschichte.eu. Für die Römische Republik von 1849 existiert mit La Repubblica Romana del 1849 eine außerordentlich reich mit Druck- (Zeitungen, Flugblätter, offizielle Bekanntmachungen) und Archivquellen bestückte Webseite des italienischen Kulturministeriums mit verschiedenen Suchmöglichkeiten.
Zur Geschichte der italienischen Einigungsbewegung bietet The Garibaldi and the Risorgimento Archive der Brown University einen hervorragenden Einstieg. Insbesondere die Darstellung Giuseppe Garibaldis in den Medien und der Populärkultur (Pamphlete, Druckgrafik, Musik) ist sowohl in italienischer als auch in englischer Sprache reichhaltig dokumentiert. Ergänzend dazu existiert seit 2003 ein von Werner Daum verantwortetes deutschsprachiges Portal zum Risorgimento mit hilfreichen Einführungstexten samt Forschungsüberblicken, Quellen und Bibliografien, das kontinuierlich weiter ausgebaut wird.
Die online verfügbaren Ressourcen zum Amerikanischen Bürgerkrieg sind kaum überschaubar. Mit den digitalisierten und durchsuchbaren Official Records of the Union and Confederate Armies in the War of the Rebellion ist ein zentraler Quellenbestand gut zugänglich. Die Library of Congress bietet zudem online eine Sammlung von über 2.300 Civil War Maps an, die um eine allgemeine Einführung sowie einen Überblick zum kartografiegeschichtlichen Kontext ergänzt wird. Weitere digitalisierte Ressourcen der Library of Congress finden sich zum Beispiel in der Civil War Collection, die über 19.000 Objekte der Prints and Photographs Division enthält. Frei zugängliche digitalisierte Egodokumente finden sich beispielsweise im Bestand der Louis Round Wilson Library an der University of North Carolina at Chapel Hill, die über eine Spezialsammlung zum US-amerikanischen „Süden“, eine Southern Historical Collection, verfügt.
Für den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und vor allem die Pariser Kommune haben in den letzten Jahren zahlreiche private Initiativen Webseiten vor allem zu den Aktivitäten der politischen Linken in Frankreich mit Überblickstexten und Quellenmaterial erstellt. So gibt es Les Amies et Amis de la Commune de Paris 1871, die Commune de Paris 1871 oder die History of the Paris Commune. Insbesondere Fotografien, Karikaturen und Lieder sind hier wie auch in universitären Sammlungen, wie zum Beispiel The Siege and Commune of Paris, 1870–1871 der Northwestern University Libraries reichhaltig online dokumentiert, zum Teil mit Kommentaren und Suchfunktionen. In Ergänzung dazu bieten deutsche Universitätsbibliotheken Zugriff auf Satirezeitschriften und Karikaturen, die Universitätsbibliothek Heidelberg neben den bereits erwähnten Kunst- und Satirezeitschriften auch eine Collection des caricatures, sowie die Universitäts- und Landesbibliothek Bonn Kriegsbriefe, unter anderem auch zum Feldzug von 1870/71.
Die Online-Angebote zum Ersten Weltkrieg dürften in den nächsten Jahren noch eine erhebliche Erweiterung erfahren. Einschlägige Einstiege sind neben dem Themenportal Erster Weltkrieg von Clio-Online über die Europeana Collections 1914–1918 mit 400.000 digitalisierten Objekten (Bücher, Zeitungen, Tagebücher, Karten, Noten, Fotografien, Flugschriften, Filme usw.) aus verschiedenen überwiegend westeuropäischen Nationalbibliotheken möglich. Die 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War bietet als internationales wissenschaftliches Kooperationsprojekt einen multiperspektivischen und transnationalen Zugriff auf Themen, Räume und Akteure des Krieges. Zu erwähnen sind darüber hinaus ein Dokumentations-Portal Kriegssammlungen 1914–1918 in Deutschland zu über 200 Weltkriegssammlungen deutscher Archive, Bibliotheken und Museen mit weiterführenden Links und Suchfunktionen sowie ein Kooperationsprojekt europäischer Filmarchive, EFG1914, das etwa 3.000 digitalisierte Filme zu unterschiedlichen Aspekten des Krieges, insbesondere auch Propaganda, Kriegsverletzungen und Kriegstechnik, bereitstellt. Unter den zahlreichen Informationsportalen für ein breites Publikum – von unterschiedlicher wissenschaftlicher Qualität – erweist sich firstworldwar.com insbesondere für Detailinformationen zu Kriegsverlauf und Kriegsschauplätzen, einschließlich Personenübersichten, Karten, Fotos, Plakaten und englischsprachiger Egodokumente, als nützlich.
Spezielle Forschungsthemen
Auch über den ereignisgeschichtlichen, chronologischen Zugriff hinaus gibt es zu vielen klassischen Forschungsthemen aus der Geschichte des 19. Jahrhunderts spezielle Angebote. Das gilt beispielsweise für die Geschichte der Industrialisierung. Zu einem beträchtlichen Teil handelt es sich dabei um regionsspezifische Webseiten, wie im Fall der inhaltsreichen Themenseite Revolutionary Players, die die Industriegeschichte der West Midlands präsentiert. Einen umfassenden Überblick über das industrielle Erbe Europas bietet die European Route of Industrial Heritage, deren Webseite auch biografische und wirtschaftshistorische Informationen aufbereitet. Im Bereich der Sozialgeschichte der Epoche ist insbesondere auf das breite Angebot über soziale Bewegungen hinzuweisen. Für den deutschen Raum bilden die Angebote der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung einen hervorragenden Ausgangspunkt, während das vom International Institute of Social History (IISH) in Amsterdam betreute Social History Portal einen breiteren geografischen Raum in den Blick nimmt. Zur Geschichte der Frauenbewegung – und der Geschlechtergeschichte insgesamt – bildet die von demselben Institut aufbereitete Sammlung mit dem Titel Virtual Library Women’s History einen Einstieg. Für den deutschen Raum ist hier auf das Angebot der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel hinzuweisen. Besondere Aufmerksamkeit – auch im Internet – hat die Geschichte der britischen Suffragettes nach sich gezogen, wobei die vom Museum of London bereitgestellte Bildsammlung The Suffragettes hervorzuheben ist. Zur Geschichte der Demokratisierung allgemein bietet für den deutschen Raum die vom Institut für Geschichtliche Landeskunde der Universität Mainz betreute Seite demokratiegeschichte.eu gesammelte Informationen.
Ein weiterer Kernbereich der Forschung bezieht sich auf die beschleunigte Globalisierung, insbesondere unter dem Aspekt des europäischen Imperialismus. Exemplarisch können hier zwei in Privatarbeit betreute Webseiten, beide mit dem Titel The British Empire, von Stephen Luscombe und Jane Samson, genannt werden, die eine Fülle an Materialien und weiterführende Links bereitstellen. Ihren Gegenpart zur französischen Kolonialgeschichte bilden die von der French Colonial Historical Society sowie den Archives nationales d’outre mer bereitgestellten Online-Angebote. Eine besonders reichhaltige Quellensammlung zu diesem Thema bietet Empire Online; diese ist im deutschen Raum über eine DFG-geförderte Nationallizenz zugänglich.
Auch zur Rechts- und Verfassungsgeschichte der Epoche gibt es ein überaus reiches Angebot. Zunächst ist eine Fülle an Quellenmaterial zur Verfassungsgeschichte verschiedener Länder online verfügbar. Zum Einstieg bietet sich die vom Berner Rechtsphilosophen Axel Tschentscher betreute Webseite Verfassungsgeschichte an. Für den US-amerikanischen Raum ist neben dem frei verfügbaren Avalon Project: 19th Century Documents der Yale Law School die unter dem Titel The Making of Modern Law von Gale Digital Collections angebotene, über eine Nationallizenz zugängliche, Quellensammlung unverzichtbar, während das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main eine große Sammlung von Literaturquellen zum deutschsprachigen Privat- und Zivilprozessrecht unter dem Titel Digital Libraries Connected erstellt hat. Für Österreich-Ungarn ist auf das Projekt ALEX Historische Rechts- und Gesetzestexte Online der Österreichischen Nationalbibliothek hinzuweisen, während das Digitalisierungsprojekt Deutsches Territorialrecht von 1801 bis 1900 der Staatsbibliothek zu Berlin Materialien zur Vielfalt der im deutschen Sprachraum wirksamen Partikularrechte bereitstellt. Ein weltweit einzigartiges Angebot im Bereich der Rechtsgeschichte bietet die Webseite Proceedings of the Old Bailey, eine durchsuchbare digitale Datenbank mit den Akten von fast 200.000 Strafgerichtsprozessen, die in der Zeit zwischen 1694 und 1913 in London durchgeführt wurden.
Abschließend lässt sich festhalten, dass sich die Arbeitsbedingungen für Historikerinnen und Historiker des 19. Jahrhunderts fundamental gewandelt haben: Ein Großteil der Fachkommunikation und alltäglichen Recherchetätigkeit erfolgt nicht mehr über gedruckte Bücher und Zeitschriften, sondern hat sich in den virtuellen Raum verlegt. Immer mehr Veröffentlichungen sind inzwischen auch online zugänglich und Publikationsmodelle wie Open Access oder Print-on-Demand verändern die Forschungsinfrastruktur nachhaltig, wie das Directory of Open Access Books, Directory of Open Access Journals oder Social Science Open Access Repository zeigen. Über Mailinglisten, Rezensions- oder Diskussionsportale, durch die Bereitstellung von digitalisierten Quellen und digitaler Literatur, aber auch über den fachübergreifenden Austausch dank der Angebote anderer Disziplinen und außeruniversitärer Expert:innen sind neue Chancen zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Epoche entstanden. Dennoch: Diese Entwicklung betrifft zunächst vor allem fortgeschrittene Studierende und Fachwissenschaftler:innen; der Einstieg in das Studium des 19. Jahrhunderts erfolgt in der Regel nach wie vor über traditionelle Publikationen, wohl wissend, dass gerade Einführungsliteratur sehr schnell veraltet. Sollte sich dies ändern, müssten als Voraussetzung noch bessere Plattformen zur Vernetzung, aber auch zur Kommentierung und Bewertung einzelner Online-Angebote entstehen. Das größte Potenzial zur Erforschung des 19. Jahrhunderts bietet das Internet derzeit für Fachleute über den raschen Zugang zu großen Mengen von Quellen und Literatur, die viele mühselige Zwischenschritte der früheren Recherchearbeit wegfallen lassen. Unübersichtlichkeit und Unvollständigkeit digitalisierter Bestände, wie sie etwa den Bereich deutschsprachiger Zeitungen und parlamentarischer Quellen kennzeichnen, schränken derzeit die Effektivität der Arbeit mit diesen Beständen jedoch noch ein. Die derzeit im Aufbau begriffenen europäischen Vernetzungsprojekte sind daher besonders zu begrüßen. In vielen Fällen wären dabei ausgefeiltere Recherchemöglichkeiten wünschenswert. Und schließlich liefern Portale wie The European Library oder Gallica häufig nur äußerst sparsame Erklärungen ihrer Funktionen, Bestände und Zugriffsmöglichkeiten, wodurch Recherchen nicht selten zu trial-and-error-Expeditionen werden. Wie sich der jetzt schon hohe Nutzwert gerade von Portalen entwickelt, die Zugriff auf derart umfangreiche Bestände bieten, wird also auch davon abhängen, wie sehr die Entwickler:innen die Bedürfnisse von Historiker:innen im Blick haben. Neben der Digitalisierung wird es zukünftig stärker um eine bessere Erschließung der Digitalisate gehen müssen, zum Beispiel durch gute Verschlagwortung, die eine intellektuelle Durchdringung von Forschungsthemen jenseits von Zufallsfunden gewährleisten kann.
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Andreas Eder ist Doktorand an der Professur für Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Prof. Dr. Jörn Leonhard.
Theo Jung ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.Sonja Levsen ist Professorin für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Tübingen.
Sabine Mischner ist Doktorandin an der Professur für Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Prof. Dr. Jörn Leonhard.
Friedemann Pestel ist Vertretungsprofessor für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Tübingen.
Christina Schröer ist Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Frankreichzentrums Centre Ernst Robert Curtius (CERC) an der Universität Bonn.
Moritz Sorg ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Prof. Dr. Jörn Leonhard.