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Clio-Guide: Lateinamerika

Silke Hensel / Milagros Pacco / Frederik Schulze, Clio-Guide: Lateinamerika, in: Clio Guide – Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften, hrsg. von Silvia Daniel, Wilfried Enderle, Rüdiger Hohls, Thomas Meyer, Jens Prellwitz, Claudia Prinz, Annette Schuhmann, Silke Schwandt, 3. erw. und aktualisierte Aufl., Berlin 2023–2024, https://doi.org/10.60693/5k6g-sx75

1. Geschichtswissenschaft und digitale Medien zu Lateinamerika

1.1 Allgemeine Lage

Die frühe Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Länder führte zu einer ebenfalls frühen Bildung entsprechender Nationalgeschichtsschreibungen, sodass ein erheblicher Teil der Forschung aus der Region selbst kommt. Aufgrund des politischen Hegemonialanspruchs der USA auf dem amerikanischen Doppelkontinent stand Lateinamerika auch dort schon länger im Fokus. In den 1960er Jahren trugen die interdisziplinär angelegten Area Studies zu einer Ausweitung der akademischen Beschäftigung mit Lateinamerika bei. Auch über den amerikanischen Kontinent hinaus nahm Lateinamerika bis in die 1980er Jahre in der Öffentlichkeit großen Raum ein. Dies hing vor allem mit dem Kalten Krieg und der Kubanischen Revolution von 1959 zusammen. Letztere strahlte weit über den nationalen Kontext der Insel hinaus und inspirierte einerseits linke Bewegungen, während sie andererseits Ängste schürte, der Marxismus würde sich in Lateinamerika ausbreiten. In den folgenden Jahrzehnten sank die Aufmerksamkeit, auch aufgrund der starken anglophonen Konzentration auf die Geschichte des British Empire, Globalgeschichte, asiatische Geschichte und Dekolonisierung. Erst in den letzten Jahren wurden die Entwicklungen auf dem Kontinent wieder stärker international wahrgenommen. Diese Konjunkturen hatten Auswirkungen auf die historische Forschung zu Lateinamerika und die Ausbildung einer Forschungsinfrastruktur auch in Deutschland.

In den letzten fünfzehn Jahren ist ein Anstieg der Bedeutung digitaler Medien für den Bereich festzustellen, der sich gerade auch in Quellendigitalisierungen und Recherchemöglichkeiten in den lateinamerikanischen Ländern widerspiegelt. Bei der Digitalisierung gibt es allerdings starke regionale Unterschiede: Während die großen und reicheren Länder wie Brasilien oder Mexiko bereits umfassende Angebote erstellt haben, wird man zu einigen mittelamerikanischen Ländern oder etwa Bolivien bislang noch wenig finden. Angebote aus den USA bilden einen unverzichtbaren Bestandteil für die digitale Arbeit zur Geschichte Lateinamerikas.

1.2 Institutionelle Infrastrukturen in Deutschland

Das bereits 1930 gegründete Ibero-Amerikanische Institut Preußischer Kulturbesitz (IAI) in Berlin fungiert als wichtiger internationaler Dreh- und Angelpunkt der Forschung zu Lateinamerika und der Iberischen Halbinsel, nicht zuletzt aufgrund seiner großen Spezialbibliothek zur Region. Das Institut verwahrt eine Reihe von Nachlässen, organisiert wissenschaftliche Veranstaltungen und gibt Schriften heraus, darunter die Zeitschrift Iberoamericana, die schwerpunktmäßig auch Geschichte behandelt.

Das starke Interesse an Lateinamerika seit den 1960er Jahren fiel mit dem Hochschulausbau in Deutschland zusammen. In dieser Zeit entstanden einige Institute bzw. zentrale Einrichtungen, die sich im Sinne der Area Studies mit Lateinamerika befassen. Seit 1964 arbeitet etwa das Deutsche Übersee-Institut in Hamburg zu verschiedenen Weltregionen. An das Forschungsinstitut, das heute German Institute of Global and Area Studies (GIGA) heißt, ist das Institut für Lateinamerika-Studien (ILAS) angeschlossen.

Außerdem bestehen in der Geschichtswissenschaft einige Professuren für Lateinamerikanische Geschichte. Von 1960 bis 2020 wurde an der Universität Leipzig zur Geschichte Lateinamerikas geforscht. An der Universität Rostock findet die seit den 1960er Jahren bestehende Forschung zu Lateinamerika zurzeit nur noch durch die Arbeitsgruppe „Politik in Lateinamerika“ statt. Besonders stark vertreten ist die lateinamerikanische Geschichte dagegen an der Universität zu Köln, wo 1961 der erste Lehrstuhl zu diesem historischen Teilgebiet in Deutschland eingerichtet wurde. Heute gibt es drei Professuren an der Abteilung für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte (IHILA). Unter Beteiligung der Abteilung erscheint seit 1964 das Jahrbuch zur Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas (heute Jahrbuch zur Geschichte Lateinamerikas, JbLA), das komplett im open access digital zur Verfügung steht.

Das 1970 gegründete Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität Berlin ist das größte interdisziplinäre Institut zu Lateinamerika an einer deutschen Universität und hat auch eine große Abteilung zur Geschichte. Ebenfalls 1970 entstand an der Universität Hamburg ein Lehrstuhl zur Geschichte Lateinamerikas, der heute zum Arbeitsbereich Globalgeschichte gehört. An der Universität Bielefeld ist die seit 1979 bestehende Professur für Iberoamerikanische Geschichte Teil des Center for InterAmerican Studies und des Center for Advanced Latin American Studies (CALAS). Geschichte ist ebenso die zentrale Disziplin des 1985 gegründeten Zentralinstituts für Lateinamerikastudien (ZILAS) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Während ein entsprechender Lehrstuhl an der Universität Erfurt leider nicht mehr existiert, wurde 2004 die Professur für außereuropäische Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit einer Lateinamerikaspezialistin besetzt und 2022 wieder besetzt. Im selben Jahr kam eine Professur für Neuere und Neueste Geschichte mit Schwerpunkt Lateinamerika an der Universität Bremen hinzu. 2010 folgte die Gründung der Professur für Geschichte Lateinamerikas und der Karibik an der Leibniz Universität Hannover. Seit 2010 gibt es an der Universität Bern eine Professur für Geschichte und Kulturen Lateinamerikas. Aktuell fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit Mecila und CALAS zwei große Verbundprojekte, die sich aus geistes- und sozialwissenschaftlicher Perspektive mit Lateinamerika beschäftigen, ihre Forschung digital zugänglich machen und ihren Hauptsitz in São Paulo (Brasilien) bzw. Guadalajara (Mexiko) haben.

Die deutsche Lateinamerikaforschung ist disziplinenübergreifend in der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerika-Forschung (ADLAF) organisiert. Der 1965 gegründete Verband veranstaltet Tagungen und gibt einen monatlichen Newsletter heraus. Historische Forschung zu Lateinamerika wird auch in anderen europäischen Ländern betrieben. Auf lateinamerikanische Geschichte spezialisiert ist die Vereinigung der europäischen Historiker zu Lateinamerika, die Asociación de Historiadores Latinoamericanistas Europeos (AHILA), die 1978 im polnischen Toruń gegründet wurde. Der Verband macht sich den wissenschaftlichen Austausch zum Ziel und richtet regelmäßige Tagungen aus. In den USA existiert seit 1966 mit der Latin American Studies Association (LASA) der weltweit größte Verband von Forscherinnen und Forschern, die sich mit Lateinamerika beschäftigen. Der interdisziplinäre Dachverband organisiert Jahrestagungen. Ein ähnliches, wenn auch breiteres Format haben die Internationalen Amerikanistenkongresse (International Congress of Americanists, ICA).[20]

Außerdem gibt es eine Reihe von nationalen Historikerverbänden in lateinamerikanischen Ländern. Besonders umfassend organisiert ist die brasilianische Geschichtswissenschaft mit ihrer seit 1961 bestehenden Associação Nacional de História (ANPUH-Brasil). Die Website der Gesellschaft informiert über Tagungen, Publikationen und Stellenausschreibungen. In den spanischsprachigen Ländern gibt es jeweils eine Academia Nacional de Historia, die auf ihren Webseiten über ihre Aktivitäten, Bibliotheken etc. informieren.

1.3 Herausragende thematische Websites und digitale Publikationen

Für Deutschland ist das zentrale Internetangebot für die Geschichte Lateinamerikas der vom Iberoamerikanischen Institut in Berlin betriebene Fachinformationsdienst Lateinamerika, Karibik und Latino Studies (FID), der Bibliothekskataloge und digitale Sammlungen bündelt. International von noch größerer Bedeutung ist das Latin American Network Information Center (LANIC) an der University of Texas at Austin. Hier finden sich über 10.000 Links zu Internetseiten, die nach Regionen, Ländern, Themen und Disziplinen sortiert sind. Im Bereich „History“ finden sich alle relevanten Archive, Bibliotheken, Institutionen und sonstige Informationsseiten. Ein besonderes Angebot von LANIC stellt die Seite lanicetext collection dar, auf der sich Links zu verschiedenen digital zugänglichen Quellensammlungen finden. Auch auf der Seite des Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials (Salalm) wird eine laufend aktualisierte Liste mit frei zugänglichen digitalisierten Quellenbeständen veröffentlicht. Die Datenbank ist nach Ländern und Titeln der Sammlungen durchsuchbar. Weitere Linklisten mit Internetseiten, Quellen, Archiven und Bibliotheken zu Lateinamerika unterhalten das Oberlin College, die New Mexico State University (mit Schwerpunkt auf die US-mexikanische Grenzregion) und für Brasilien die Indiana University.

2. Digitale Informationsressourcen und Medien

2.1 Bibliothekskataloge und Bibliographien

Die größte europäische und weltweit zweitgrößte Bibliothek zu Lateinamerika befindet sich im Ibero-Amerikanischen Institut Preußischer Kulturbesitz (IAI) in Berlin. Der Bestand, der 2022 aus fast 1,2 Mio. Büchern, 3.500 laufenden Zeitschriften sowie 324 Nachlässen besteht, kann über den IAICAT online recherchiert werden. Über das IAI kann zudem in 156 Datenbanken recherchiert werden. Der Katalog listet auch viele Aufsätze aus Sammelbänden und Zeitschriften auf. Das Institut ist an das deutsche Fernleihsystem angeschlossen.

Viele wichtige Bibliotheken zu Lateinamerika befinden sich in den USA. Die entsprechende Sammlung der Library of Congress (LoC) in Washington, D.C., ist über den Hispanic Reading Room zugänglich und wird auf dessen Homepage vorgestellt. Eine Recherche ist über den Online-Katalog der LoC möglich. Daneben steht mit dem Handbook of Latin American Studies online eine fortlaufende und annotierte Online-Bibliographie zur Verfügung. Auch die Spezialbibliotheken der Universitäten Tulane, Stanford, Berkeley, Texas und Vanderbilt bieten Onlinekataloge und Beschreibungen der Sammlungen. Daneben finden sich unzählige thematische Onlinebibliographien.

Die Nationalbibliotheken der lateinamerikanischen Länder bieten auf ihren Internetseiten die Möglichkeit, die Bestände online zu durchsuchen und sich über das jeweilige Angebot zu informieren. Die Biblioteca Nacional de México stellt ihren Katalog digital zur Verfügung und bietet Zugriff auf den Fondo Reservado. Eine der herausragendsten Forschungsinstitutionen auf gesamtlateinamerikanischer Ebene, das Colegio de México, sowie das Instituto Mora haben ebenfalls einen digitalen Katalog ihrer Bibliotheksbestände. Eine der ältesten öffentlichen Bibliotheken Lateinamerikas, die Biblioteca Nacional de Colombia in Bogotá, bietet auf ihrer Internetseite einen Katalog und eine Übersicht ihrer Bestände an. Gleiches trifft auf die Nationalbibliotheken von Ecuador, Peru, Bolivien, Chile, Argentinien und Uruguay zu. Die brasilianische Biblioteca Nacional in Rio de Janeiro, die auf die königliche portugiesische Bibliothek zurückgeht, verfügt über den größten Medienbestand aller lateinamerikanischen Bibliotheken und zählt zu den zehn größten Bibliotheken weltweit. Es stehen Onlinekataloge unter anderem für den Buchbestand, für Zeitschriften, Musik, Karten und Manuskripte zur Verfügung. Für brasilianische Zeitungen und Zeitschriften ist das Arquivo Edgar Leuenroth an der Universidade Estadual de Campinas (UNICAMP) eine wichtige Anlaufstation. Eine umfassende Liste mit Bibliotheken und Archiven findet sich bei H-LatAm.

2.2 Nachschlagewerke

Wichtige Online-Nachschlagewerke zur lateinamerikanischen Geschichte gibt es nur wenige. Das wichtigste Handbuch zur lateinamerikanischen Geschichte, die 11 Bände umfassende Cambridge History of Latin America ist online zu finden. Außerdem bietet die Oxford Research Encyclopedia of Latin American History eine Vielzahl von Artikeln, in denen häufig auch Bezug genommen wird auf digitale Ressourcen, die zu dem jeweils behandelten Thema zu Verfügung stehen. Eine Artikelserie widmet sich ausschließlich „Digital Resources“. Die Political Database of the Americas der Georgetown University bietet relativ umfassende Informationen und statistische Daten zur Politik-, Sozial- und Rechtsgeschichte an. Die Historische Gesellschaft für Zentralamerika (Asociación para el Fomento de los Estudios Históricos en Centroamérica) hat eine Reihe von Kurzbiographien wichtiger Zentralamerikaner ins Netz gestellt.

2.3 Digitale Quellen, Bilder und Forschungsliteratur

Die Digitalisierung von Quellen und Forschungsliteratur zu Lateinamerika ist bereits weit vorangeschritten, nicht nur in den USA; sondern gerade auch in Lateinamerika selbst, wo viele der großen Bibliotheken und Archive umfangreiche Digitalisierungsprojekte durchführen. Vermehrt sind daher Literatur und Quellen im Internet einsehbar, sowohl gescannte PDF-Dateien als auch digitale Texte mit Suchfunktion.

Länderübergreifende Angebote stellen die großen Anbieter wie Googlebooks und HathiTrust Digital Library zur Verfügung, sind jedoch nicht auf Lateinamerika spezialisiert. Daneben gibt es einen reichen digitalen Quellenbestand zur lateinamerikanischen Kolonialgeschichte. Die World Digital Library der Library of Congress bietet circa 1.700 gut erläuterte Quellen zu Lateinamerika und der Karibik, darunter historische Karten und den Codex Florentinus. Die British Library macht verschiedene Spezialsammlungen vor allem aus gefährdeten Archiven zugänglich, während das Digitalisierungsprojekt Biblioteca Digital Hispánica der Biblioteca Nacional de España Kollektionen zu Hispanoamerika, der Unabhängigkeit und zu Reisen umfasst. Die Biblioteca Digital del Patrimonio Iberoamericano ist ein weiteres Digitalisierungsprojekt mit Beteiligung mehrerer Nationalbibliotheken. Sie bietet Zugriff auf die digitalen Ressourcen aller teilnehmenden Bibliotheken. Die Bestände umfassen Zeitungen und Zeitschriften, Bücher, Bilder, Karten, historische Musikaufnahmen und weitere Quellen.

Die Kolonialzeit bildet insgesamt einen Schwerpunkt der Historiographie zu Lateinamerika. Zu dieser Epoche finden sich Quellen auf der Seite der Real Academia de la Historia in Madrid sowie bei den beiden zentralen europäischen Archiven für die Kolonialgeschichte Lateinamerikas, dem Archivo General de Indias in Sevilla für den hispanoamerikanischen Raum und dem portugiesischen Nationalarchiv Arquivo Nacional Torre do Tombo in Lissabon für Brasilien. Beide Institutionen informieren auch über ihre Bestände. Für eine einzelne, gleichwohl zentrale und über 1.000 Seiten umfassende Quelle der frühen Kolonialzeit, die „Nueva corónica y buen gobierno“ des indigenen Autors Guaman Poma de Ayala von 1615, gibt es eine Forschungswebseite der Königlichen Dänischen Bibliothek, wo das Manuskript, nachdem es lange als verschollen galt, Anfang des 20. Jahrhunderts aufgefunden wurde. Neben dem Faksimile des Quellentextes finden sich hier eine Transkription sowie Forschungsliteratur. Die John Carter Brown Library, die eine der größten Sammlungen von frühen Druckwerken beherbergt, stellt auf ihrer Webseite viele dieser Werke digitalisiert zur Verfügung. Die Texte lassen sich dort auch nach Schlagworten durchsuchen.

Die Unabhängigkeit bildet in allen lateinamerikanischen Ländern einen Schwerpunkt der historischen Forschung. 2010 jährte sich dieses als Gründungsakt erinnerte Ereignis in vielen Ländern zum 200. Mal. In diesem Zusammenhang gab es zahlreiche Initiativen in Lateinamerika, aber auch in Spanien, die in Digitalisierungsprojekte zentraler Dokumente aus der Zeit mündeten. Eine Zusammenstellung findet sich auf der Seite der Biblioteca Nacional de España.

Das 19. Jahrhundert ist in der lateinamerikanischen Geschichtsschreibung lange vernachlässigt worden, sofern es um die Zeit nach Erlangung der Unabhängigkeit ging. Das hing damit zusammen, dass nach der Unabhängigkeit, die in den meisten Ländern in der Epoche zwischen 1810 und 1825 erlangt wurde (Kuba und Puerto Rico waren die Ausnahme, sie blieben bis 1898 spanische Kolonie), die politischen Verhältnisse in der Regel recht unübersichtlich waren. In jüngster Zeit rückt das 19. Jahrhundert zunehmend in den Blickpunkt der Forschung, nicht zuletzt, weil die Epoche entscheidenden Einfluss auf die jüngere Geschichte Lateinamerikas nahm. Einige Quellensammlungen sind digital verfügbar, so z.B. die Redemanuskripte mexikanischer und argentinischer Präsidenten seit dem 19. Jahrhundert.

Der Kalte Krieg bildet einen weiteren Quellenschwerpunkt. Das National Security Archive an der George Washington University arbeitet mit Aktenmaterial zur US-Sicherheitspolitik, und eine Sammlung betrifft Lateinamerika.[69] Thematische Quellensammlungen vor allem zu Kuba, aber auch dem brasilianischen Atomprogramm biete das Wilson Center an.

Einen weiteren online einsehbaren Quellenbestand stellt die Comisión Económica para América Latina (CEPAL) der Vereinten Nationen mit historischen Statistiken zu Wirtschaft und Gesellschaft und deren graphischer Aufbereitung zur Verfügung. Ähnlich funktioniert die Montevideo-Oxford Latin American Economic History Data Base (MOxLAD). Auch wenn die Plattform immer wieder offline und daher nicht zuverlässig erreichbar ist, handelt es sich um ein innovatives Kooperationsprojekt der Universidad de la República in Montevideo und der Oxford University, das aus einem Datenbestand der Interamerikanischen Entwicklungsbank hervorgegangen ist. Daneben informieren die nationalen Statistikämter über die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung der einzelnen Länder.[73]

Die historische Forschung in und zu Mexiko ist vielleicht von den lateinamerikanischen Ländern am stärksten. Es gibt eine Reihe von herausragenden Institutionen, die auch digitalisierte Bestände für die Forschung zur Verfügung stellen. Als erstes ist das Archivo General de la Nación zu nennen. Das Nationalarchiv in Mexiko-Stadt beherbergt umfangreiche Bestände zur mexikanischen Geschichte seit der frühen Kolonialzeit bis heute. Die Bestände sind online recherchierbar. Auf der Seite des Colegio de México finden sich verschiedene digitale Quellensammlungen, darunter eine Sammlung zu bewaffneten Erhebungen seit den 1960er Jahren mit ca. 450 digitalisierten Kommuniqués, Flugblättern etc. Außerdem bietet die Seite Verweise auf weiteres digitalisiertes Quellenmaterial zu Mexiko.

Teil der Biblioteca Nacional de México ist die Hemeroteca Nacional Digital de México (HNDM). Sie zählt über 9.000.000 Seiten bzw. 947 Titel vorwiegend aus mexikanischen Zeitungen, die zwischen 1820–1920 erschienen, zu ihrem Bestand.

Das Centro de Estudios de Historia de México Fundación Carlos Slim (CEHM) ist eine private Stiftung, die ein historisches Archiv und eine Bibliothek betreibt. Das CEHM stellt eine Fülle von Dokumenten aus dem Zeitraum 1491–1999 in digitalisierter Form zur Verfügung.

Die Unabhängigkeit hat als Phase der Gründung des mexikanischen Nationalstaats eine umfangreiche historiographische Produktion hervorgebracht. Dazu gehören auch einige für die Forschung zentrale Quelleneditionen, die im Rahmen des Gedenkens an die 200jährige Wiederkehr 2010 digitalisiert wurden und nun online zur Verfügung stehen. Die Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit waren in Mexiko von zahlreichen politischen Erhebungen geprägt, die i.d.R. mit einer Erklärung der Missstände und einem zumindest rudimentären politischen Programm eingeleitet wurden. Über 1.500 dieser Texte aus der Zeit von 1821–1876 hat ein Team an der St. Andrews University in Großbritannien um den Historiker Will Fowler in einer über Schlagworte recherchierbaren Datenbank zusammengetragen.

Die Mexikanische Revolution (1910–1920) stellte eine weitere zentrale Zäsur in der Geschichte des unabhängigen Mexikos dar. Die Kämpfe und viele soziale Aspekte der Zeit sind in zahlreichen Fotografien festgehalten, von denen sich ein guter Teil in der Fototeca Nacional befinden, deren Katalog ebenso wie ein großer Teil des Bestands online zu finden sind. Darüber hinaus hat das Instituto Nacional de Antropología e Historia (INAH) einen Großteil seiner Bestände digitalisiert und in seiner Mediathek online zugänglich gemacht. Neben Fotografien und Textquellen finden sich Videos, digitalisierte Objekte, Karten, Mitschnitte von Interviews und vieles mehr zur mexikanischen Vergangenheit.

Zur Geschichte Mittelamerikas und der Karibik sind mittlerweile einige Angebote vorhanden. Fotos und Dokumente zu Mittelamerika sind beim Centro de Investigaciones Históricas de América Central (CIHAC) an der Universidad de Costa Rica abrufbar. Das Centro de Investigaciones Regionales de Mesoamérica (CIRMA) stellt digitalisiertes Material zur jüngeren Geschichte Guatemalas, vor allem aus der Zeit des Bürgerkriegs und der Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen danach ebenso wie persönliche Sammlungen und die Bestände der Fototeca de Guatemala online zur Verfügung. Das größte digitale Archiv zu Guatemala, das Digital Archive of the Guatemalan National Police Historical Archive (AHPN), befindet sich außerhalb des Landes. Neben den Akten der Polizei aus der Zeit des Bürgerkriegs von 1960–1996, die 2005 entdeckt wurden, finden sich hier auch Unterlagen zu den Menschenrechtsverletzungen US-amerikanischer Wissenschaftler:innen, die in den 1940er Jahren zu Geschlechtskrankheiten forschten. Transkribierte, allerdings unsortierte Quellen aus Mittelamerika finden sich auf der Seite des Historikerverbands AFEHC. Von den Nationalbibliotheken hat die panamaische das umfangreichste Digitalisierungsprogramm. Die Digital Library of the Caribbean (dLOC) ist ein Verbundprojekt verschiedener Institutionen und Bibliotheken der Karibik, das gut sortierte Quellen, Bilder, Karten und Forschungsliteratur zum Download anbietet, darunter zum Panamakanal und zu Voodoo.

Weitere digitale Kollektionen sind vor allem zu Kuba verfügbar. Die umfangreiche Cuban Heritage Collection (CHC) an der University of Miami digitalisiert Teile ihrer Bestände, Bildquellen und Nachlässe. Die kubanische Regierung macht Regierungsdokumente und auch unzählige Reden von Fidel Castro zugänglich (letztere in acht Sprachen, darunter auch Deutsch). Die Biblioteca Digital der Kubanischen Nationalbibliothek bietet Digitalisierungen von kubanischer Literatur kostenlos an, etwa von José Martí. Für die Dominikanische Republik sei auf die Biblioteca Digital Dominicana der dortigen Nationalbibliothek verwiesen.

In Venezuela besteht mit der Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes eine umfangreiche und von der Nationalbibliothek mitbetriebene Quellen-, Zeitschriften- und Literaturplattform mit vielen Digitalisaten. Die Unabhängigkeit und der Heldenkult um Simón Bolívar nehmen einen wichtigen Platz im venezolanischen Selbstverständnis ein, sodass das Archivo General de la Nación vor allem diejenigen Bestände online zugänglich macht, die das frühe 19. Jahrhundert betreffen. Die Abteilungen zu Simón Bolívar und Francisco de Miranda werden ganz im Sinne der nationalen Heldenverehrung aufwändig präsentiert. Wichtige politische Texte aus Lateinamerika, etwa von Bolívar und Rodó, sowie Belletristik findet man als Scans in der Biblioteca Ayacucho Digital. Die Academia Nacional de la Historia hat zentrale Dokumente der venezolanischen Geschichte als durchsuchbare PDF-Dateien aufbereitet, darunter die Unabhängigkeitserklärung und diverse venezolanische Verfassungen.

Für Kolumbien macht die kolumbianische Nationalbibliothek Dokumente, Codizes, Karten, Bücher und Nachlässe zugänglich. Weitere Quellen aus Kolumbien des 19. und 20. Jahrhunderts stellt The J. León Helguera Collection of Colombiana an der Vanderbilt University bereit, darunter politische Pamphlete.

Ein besonderes Projekt stellt die Arbeit der Fundación Neogranadina dar. Der von Historiker:innen organisierte gemeinnützige Verein unterstützt vor allem kleinere Archive bei der Digitalisierung ihrer Bestände, um diese zu schützen und gleichzeitig zugänglich zu machen.

Zur Geschichte Perus gibt es auf der Internetseite des peruanischen Kongresses eine umfassende digitale Sammlung peruanischer Verfassungen, Gesetze und Reden der jeweiligen Präsidenten an die Nation. Zum Gedenken an die 200-jährige Unabhängigkeit wurden eine Vielzahl an Büchern, Zeitungen und diversen Textquellen zur Unabhängigkeit auf der Plattform Biblioteca Bicentenario zur Verfügung gestellt. Für die Zeit 1980–2000, die Zeit der Gewalt in Peru, bietet das Centro de Documentación e Investigación del Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social (LUM). Zugang zu verschiedenen Quellen zu Themen im Zusammenhang mit der Gewalt, der Aufarbeitung, der Erinnerung und den Menschenrechten. Sammlungen mit Fotografien, Bilder und Materialien zum kulturellen Erbe sind auf der Plattform des Archivo Digital del Arte Peruano (ARCHI) zu finden. Die Sammlungen sind chronologisch aufgeteilt und die Bilder in einfacher Auflösung können zu Bildungs- und Forschungszwecken kostenlos eingesehen und verwendet werden. Den Großteil seiner Bestände hat ebenfalls das Archivo José Carlos Mariátegui digitalisiert und über eine eigene Plattform durchsuchbar und frei zugänglich gemacht. Besonders nennenswert für den Zugang an Forschungsliteratur ist die Plattform ALICIA (Acceso Libre a la Información Científica). Es handelt sich um eine zentrale Datenbank, die die nationale wissenschaftliche Produktion umfasst. Veröffentlichungen, Artikel in Fachzeitschriften, verarbeitete Daten und Statistiken, Dissertationen u.a. sind frei zugänglich. Darüber hinaus bietet das Instituto de Estudios Peruanos über sein Repositorium zahlreiche geschichts- und sozialwissenschaftliche Aufsätze und Bücher als PDF-Dateien zum Download an. Die Biblioteca del Instituto Riva Agüero hat auch einen Großteil ihrer Bestände digitalisiert und zugänglich gemacht.

Für die weiteren Andenländer und Paraguay finden sich dagegen bislang nur wenige digitale Quellen- und Literaturangebote. Die Nationalarchive von Ecuador und Bolivien offerieren nur Bestandsübersichten, jedoch wenige bis keine Digitalisierungen. In Ecuador treibt seit einigen Jahren die Nationalbibliothek die Initiative für eine digitale Bibliothek voran. So sollen digitalisierte Bestände aus den staatlichen Regionalbibliotheken im Land gebündelt und über die Plattform zur Verfügung gestellt oder verlinkt werden. Ein weiteres relevantes Digitalisierungsprojekt zum kulturellen Erbe Ecuadors ist die Plattform Fotografía Patrimonial des Instituto Nacional del Patrimonio Cultural, wo Sammlungen mit historischen Fotographien zu finden sind. In Paraguay beginnen die Archive langsam mehr Quellen und Literatur online zugänglich zu machen: das Archivo Central des Nationalkongresses Reden und Gesetzestexte, das Archivo Nacional de Asunción ein paar historische Texte, darunter Dokumente auf Guaraní. Auf der Seite der Academia Paraguaya de Historia[116] stehen ebenfalls Bildmaterial und Publikationen verlinkt oder digital zur Verfügung. Etwas ausgereifter hingegen ist die Seite der Digitalen Bibliothek der Nationalbibliothek, wo Bildmaterialien, Zeitschriften und Zeitungen, Bücher und Dokumente zu Verfügung stehen. Für die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur sammelt das Centro de Documentación y Archivo para la Defensa de los Derechos Humanos (CDyA) Quellen.

In Chile sind Digitalisierungsprojekte bereits umfassender ausgebaut. Die Nationalbibliothek betreibt eine eigene Biblioteca Digital, die im Projekt Memoria Chilena thematisch, regional und chronologisch geordnete digitalisierte Quellen und Forschungsliteratur zugänglich macht. Die Themen reichen von der Unabhängigkeit bis zum Diktator Augusto Pinochet und umfassen auch Fotosammlungen. Ebenfalls thematisch sortiert, darunter die Rolle der Frau in der Kolonialzeit, der Eisenbahnausbau und der Salpeterabbau, sind die Colecciones digitales des Archivo Nacional de Chile. Erklärende Texte, weiterführende Links, Bild- und Audiodateien komplettieren das multimediale Informationssystem.

In Argentinien stellt die Biblioteca Nacional eine umfangreiche Sammlung an eingescannten Büchern seit dem 18. Jahrhundert, historischen Broschüren, Quellen aus der Zeit der Unabhängigkeit, Nachlässen, Fotos sowie Video- und Audiodateien online zur Verfügung. Diverse Quellen aus der Geschichte Argentiniens vornehmlich für den Schulgebrauch sammelt das staatliche Archivo de Documentos Históricos, allerdings abgetippt und nicht als Faksimile-Scans, dafür mit Zeitleiste und Volltextsuche. Die Bibliothek des Nationalkongresses stellt unter anderem die digitalisierten Verfassungen und internationale Verträge zur Verfügung. Die digitale Sammlung der Biblioteca Nacional de Maestros umfasst schwerpunktmäßig Quellen zum Bildungswesen des 19. und 20. Jahrhunderts, unter anderem Kinder- und Schulbücher und Bildquellen. Das Archivo Nacional de la Memoria, das 2003 gegründet wurde, ist im Aufbau begriffen. Es führt Dokumente zu den Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur von 1976–1983 zusammen und verfügt auch über digital zugängliches Material.

Die uruguayische Nationalbibliothek verfügt ebenfalls über eine große digitale Literatur- und Quellensammlung. Eine Sondersammlung zur uruguayischen Unabhängigkeit ist das Archivo Artigas. Zeitungsartikel und Briefe bekannter uruguayischer Persönlichkeiten bietet das Projekt Anáforas der Universidad de la República online an.

In Brasilien ist das Angebot digitalisierter Texte besonders umfangreich und wächst stetig, sodass ein vollständiger Überblick kaum mehr möglich ist. Den Schwerpunkt bildet die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Das von der Nationalbibliothek betriebene Projekt Biblioteca Nacional Digital Brasil macht Manuskripte, Karten und sogar Tondokumente zugänglich. Die Biblioteca Brasiliana Guita e José Mindlin von der Universidade de São Paulo bietet ähnlich wie Googlebooks den Zugriff auf gescannte historische Bücher aus Brasilien. Vergleichbare Angebote machen die Biblioteca Digital da UNESP (unter anderem mit Fokus auf die Geschichte São Paulos), die Biblioteca Digital do Museu Nacional, wo seltene Werke aus dem Museumsbestand einsehbar sind, und die Imprensa Nacional mit vielen digitalisierten staatlichen Drucksachen.

Daneben sind viele Dokumente der politischen Geschichte Brasiliens online erhältlich. Das Center for Research Libraries in Chicago macht Regierungsdokumente zugänglich, darunter die Berichte der Provinzpräsidenten (1830–1930), Reden und Erklärungen der Staatspräsidenten (1889–1993) und Berichte der Bundesministerien (1821–1960). Die digitale Bibliothek des Nationalkongresses SICON umfasst unter anderem Gesetzestexte und Senatorenreden. JusBrasil hält Amtsblätter und Gesetzestexte bereit. Die Fundação Getúlio Vargas macht Nachlässe von Politikern zugänglich. Für den wissenschaftlichen Bereich ist die Biblioteca Digital Brasileira de Teses e Dissertações (BDTD) hilfreich. Hierbei handelt es sich um eine zentrale Datenbank mit Magisterarbeiten und Dissertationen aus Brasilien, die nur selten in Buchform veröffentlicht werden und hier als PDF zu finden sind.

2.4 Digitale Zeitungen und Zeitschriften

Eine Liste mit lateinamerikanischen Zeitungen und ihren Internetauftritten findet sich bei Prensa Escrita. Das ILAS in Hamburg hat für die Jahre 1973–1998 mit dem Spiegel für lateinamerikanische Presse eine Sammlung von Zeitungsausschnitten angelegt, die online durchsuchbar und in ausgewählten Bibliotheken einsehbar ist. Das Digitalisieren ganzer Zeitungen hat sich Google zur Aufgabe gemacht, bisher stehen z.B. das Jornal do Brasil, El Tiempo aus Kolumbien und mexikanische Zeitungen wie El Nacional oder El Paíszur Verfügung. Die spanische Nationalbibliothek stellt neben vielen spanischen auch einige spanischamerikanische Zeitungen und Zeitschriften, die zwischen 1772 und 1933 erschienen, online zu Verfügung, so z.B. die sehr wichtige Kulturzeitschrift Caras y Caretas aus Buenos Aires, die von 1898–1939 erschien. Mexikanische Zeitungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert digitalisiert auch die mexikanische Nationalbibliothek. Sie sind außerdem durchsuchbar auf der Seite des Global Press Archive. Zeitungsausschnitte aus der Karibik finden sich in der Caribbean Newspaper Digital Library (CNDL). Die Universidad Católica Andrés Bello in Venezuela stellt historische Zeitungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert online zur Verfügung. Auf der Seite der argentinischen Biblioteca Nacional finden sich Zeitungen und Zeitschriften seit dem frühen 19. Jahrhundert. Regionale Zeitungen der Provinz Santa Fé aus dem 20. Jahrhundert werden vom Regionalarchiv digitalisiert und sind online verfügbar. Für Uruguay können digitalisierte Periodika beim Anáforas-Projekt heruntergeladen werden.

Historische Zeitungen aus Brasilien scannt schrittweise die Hemeroteca Digital Brasileira der Biblioteca Nacional in Rio de Janeiro ein. Zurzeit sind Zeitungen wie O Paiz und Correio da Manhã sowie seltene Periodika, so etwa die erste Zeitschrift über Brasilien, der Correio Braziliense, abrufbar. Für alle digitalen Faksimiles wird eine Volltextsuche angeboten, die sogar Suchbegriffe nach aktueller Rechtschreibung findet. Die Wochenzeitschrift Veja betreibt ein eigenes digitales Archiv.

Wissenschaftliche Zeitschriften zur Geschichte Lateinamerikas werden seit 1970 im Hispanic American Periodicals Index (HAPI) erfasst. Hier besteht die Möglichkeit, 675 Zeitschriften zu durchsuchen und auf viele Artikel direkt zuzugreifen. Ähnliche, allerdings nicht auf Lateinamerika spezialisierte Angebote stellen JSTOR und Periodicals Archive Online dar. Darüber hinaus ermöglichen viele der zentralen Zeitschriften einen digitalen Zugriff über ihre jeweiligen Internetseiten, darunter die Hispanic American Historical Review (HAHR), die Latin American Research Review (LARR), das Bulletin of Latin American Research, das Journal of Latin American Studies (JLAS), die Luso-Brazilian Review, die Revista de Indias, The Americas (TAm), das Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas (JbLA) und Iberoamericana. Es gibt auch immer mehr Zeitschriften aus Lateinamerika, die ebenfalls im open access zu finden sind, darunter Historia Mexicana, Estudios de Historia Novohispana, Historia y Sociedad, Cuadernos de Historia, Historia Crítica, Histórica, Anuario Colombiano de Historia Social y de la Cultura oder Historia Ambiental Latinoamericana y Caribeña (HALAC), um nur einige zu erwähnen. Bei der Suche nach weiteren Zeitschriften kann Latindex hilfreich sein. Die Plattform ist zwar nicht auf Geschichte spezialisiert, aber hier werden alle akademischen Zeitschriften aus und über Lateinamerika verzeichnet, die den aktuellen Anforderungen an elektronische Zeitschriften entsprechen.

2.5 Thematische Websites

Zu einigen zentralen Forschungsthemen der lateinamerikanischen Geschichte gibt es spezielle Internetangebote. So ist die Geschichte der Indigenen ein in den letzten Jahrzehnten verstärkt untersuchtes Feld. Die Seite NativeWeb versammelt allgemeine, nach Ländern sortierte Informationen, Links, Quellen aus der Indigenenbewegung und Literatur, allerdings sind viele Links veraltet. Einen Überblick zu Archiven zu indigener Geschichte findet sich unter dem Angebot Tavera bei LANIC. Quellen zu indigener Geschichte in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive stellt die University of New Hampshire im Projekt History of Science in Latin America and the Caribbean (HOSLAC) zusammen. Es handelt sich vor allem um Holzschnitte und Gemälde, die umfassend kommentiert werden. Auch eine Themenübersicht wird geboten. An der Yale University angesiedelt ist die Plattform eHRAF World Cultures.[176] Die hier zusammengetragenen ethnologischen Artikel behandeln auch viele lateinamerikanische Gruppen wie die Mapuche, Maya, Inka oder Guaraní. Literaturangebote und ein ausgeklügeltes Suchsystem runden das Angebot ab.

Auch zum Thema der Sklaverei aus Afrika gibt es einige Spezialseiten. The Trans-Atlantic Slave Trade Database von der Emory University dokumentiert über 35.000 transatlantische Fahrten von Sklavenschiffen und ermöglicht eine online-Suche. Mit African Origins, einer daran angegliederten Seite, kann nach verschleppten Personen gesucht werden. Die Seite Slavesocieties publiziert Quellen zum Leben von Versklavten und deren Nachfahren in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern. Die Seite Slaveimages veröffentlicht visuelles Quellenmaterial. Die Biblioteca Nacional in Rio de Janeiro bietet umfassende Informationen zum Sklavenhandel nach Brasilien, darunter digitalisierte Quellen und Fotos. Das Archivo General de Colombia hat ebenfalls eine Informationsseite zur Sklaverei in Kolumbien zusammengestellt, die eine Quellensuche ermöglicht.

Neben den nationalen Fototecas gibt es Webseiten, die sich auf das visuelle Erbe Lateinamerikas konzentrieren, wie z.B. das Projekt Vistas an der Fordham University in New York, das Digitalisate von Karten, Zeichnungen, Gemälden und Objekten der spanischen Kolonialzeit veröffentlicht. Die Seite „Mapas“ stellt digitalisierte Karten aus Mesoamerika von der vorspanischen Zeit bis ins 18. Jahrhundert zur Verfügung.

Eine globalhistorische Perspektive verfolgt die Seite Mesolore, auf der Karten, Abbildungen und Dokumente digitalisiert sind, die Auskunft über die Verbindungen zwischen Afrika, Asien und Europa während der Kolonialzeit geben. Hier finden sich auch Erläuterungen zur Interpretation der Digitalisate.

2.6 Podcasts, Blogs, Mailinglisten, News Services, Wikis

Die zentrale Mailingliste für lateinamerikanische Geschichte ist H-LatAm. Als Bestandteil von H-Net. Humanities and Social Sciences Online bietet dieser international ausgerichtete Dienst fachspezifische Informationen wie Rezensionen, Calls for Paper, Tagungsankündigungen und -berichte, Stellenausschreibungen und Diskussionen. Ein ähnliches Angebot bietet das deutschsprachige Fachforum Connections, das auch als Newsletter erhältlich ist. Hier erscheinen allerdings nicht nur Nachrichten zu Lateinamerika, sondern zu allen Weltregionen. Neben dem ADLAF-Newsletter, der jedoch nur an Mitglieder verschickt wird, ist für Deutschland noch das vom IAI initiierte Forschungsnetzwerk Lateinamerika Berlin-Brandenburg (ForLaBB) zu nennen, das eine Mailingliste zu Veranstaltungen in der Region betreibt.

Für Mexiko gibt es eine Reihe von Mailinglisten und Blogs zu historischen Themen. In Brasilien ist die digitale Kommunikation unter Historikerinnen und Historikern weit ausgebaut. Die Mailingliste des Historikerverbands ANPUH-Brasil informiert über Zeitschriftenneuerscheinungen, Calls for Paper, Tagungen und Buchveröffentlichungen. Mit der Plataforma Lattes steht eine zentrale Online-Datenbank mit standardisierten Lebensläufen aller brasilianischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereit, die die dezentralen Homepages ersetzt und vom brasilianischen Wissenschaftsrat CNPq betrieben wird. Mit dem Café História hat sich eine virtuelle Community für die Geschichtswissenschaft gebildet, die Austausch und Informationen zu Tagungen und Veröffentlichungen bietet. Café História betreibt mittlerweile sogar einen digitalen Videoblog, der Interviews mit Historikerinnen und Historikern sowie Diskussionsveranstaltungen zugänglich macht.

3. Fazit

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es für Lateinamerikahistorikerinnen und -historiker umfangreiche Internetangebote gibt, die sowohl die Kontaktaufnahme, die Literaturrecherche, den Zugang zu wissenschaftlichen Zeitschriften als auch zu Quellen und Archiven deutlich vereinfachen. Neben europäischen und US-amerikanischen Websites sind vor allem in den größeren lateinamerikanischen Ländern digitale Angebote bereits stark ausgebaut. Große Digitalisierungsprojekte von Bibliotheken und Archiven mit professioneller Verschlagwortung von digitalisierten Quellen suchen selbst in Mitteleuropa oft noch ihresgleichen. Diese erfreuliche Entwicklung entzieht sich letztlich einer allumfassenden Bestandsaufnahme, sodass sich dieser Guide nur als erster Ideengeber verstehen kann. Die ärmeren Länder der Region und die überwiegende Zahl der regionalen und lokalen Archive sind digital jedoch meist noch nicht zugänglich. Wer also eine Geschichtsschreibung betreiben möchte, die nicht nur die nationale Perspektive einnimmt, und die Heterogenität der jeweiligen Gesellschaften in den Blick nehmen möchte, muss weiterhin längere Archivaufenthalte unternehmen. Auch sind die Angebote der größeren Institutionen noch nicht umfassend genug, um Recherchen vor Ort obsolet zu machen.

Literaturhinweise

Geschichte und Geschichtsschreibung zum Thema

Richard E. W. Adams / Murdo J. MacLeod (Hrsg.), Cambridge History of the Native Peoples of the Americas, 6 Bde., Cambridge 2000ff.
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Walther L. Bernecker, Eine kleine Geschichte Haitis, Frankfurt am Main 1996.
Walther L. Bernecker / Horst Pietschmann / Hans Werner Tobler, Eine kleine Geschichte Mexikos, Frankfurt am Main 2007.
Leslie Bethell (Hrsg.), The Cambridge History of Latin America, bisher 12 Bde., Cambridge 1984ff.
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Stefan Rinke / Frederik Schulze, Kleine Geschichte Brasiliens, München 2013.
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Michael Zeuske, Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 2013.

Recherche zum Thema

Dennis A. Trinkle / Scott A. Merriman (Hrsg.), The American History Highway. A Guide to Internet Resources on U.S., Canadian, and Latin American History, Armonk 2007.

Fußnoten

  1. [20] Vgl. https://ica2021.unicentro.br. Die Seite wechselt nach jeder Tagung.
  2. [69] Aufgrund der großen Bedeutung Kubas im Zusammenhang des Kalten Krieges in Lateinamerika stehen hier besonders viele Angebote zur Verfügung, so z.B. auch die Texte der Reden Fidel Castros von 1959-1996 auf http://lanic.utexas.edu/la/cb/cuba/castro.html.
  3. [73] Siehe hierzu: https://www.inegi.org.mx (Mexiko), https://www.one.gob.do (Dominikanische Republik), http://www.ine.gob.ve/ (Venezuela), https://www.dane.gov.co (Kolumbien), https://www.gob.pe/inei/ (Peru), https://www.ine.gob.cl (Chile), https://www.indec.gob.ar (Argentinien), https://www.gub.uy/instituto-nacional-estadistica/ (Uruguay), https://www.ibge.gov.br/ (Brasilien).
  4. [116] Vgl. https://www.academiaparaguayadehistoria.org.py/. Unter der Seite befindet sich verlinkt die private Bild- und Fotosammlung von Milda Rivarola: https://imagoteca.com.py/.
  5. [176] Ein individueller Zugang wird über Nationallizenzen der DFG zur Verfügung gestellt: https://www.nationallizenzen.de/.

Prof. Dr. Silke Hensel ist Professorin für iberoamerikanische und iberische Geschichte an der Universität zu Köln.

Milagros Pacco ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität zu Köln.

PD Dr. Frederik Schulze vertritt die Professur für iberoamerikanische Geschichte an der Universität Bielefeld.

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Silke Hensel / Milagros Pacco / Frederik Schulze

Prof. Dr. Silke Hensel ist Professorin für iberoamerikanische und iberische Geschichte an der Universität zu Köln.

Milagros Pacco ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität zu Köln.

PD Dr. Frederik Schulze vertritt die Professur für iberoamerikanische Geschichte an der Universität Bielefeld.