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Clio-Guide: Tschechien und Slowakei

Johannes Gleixner, Clio-Guide: Tschechien und Slowakei, in: Clio Guide – Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften, hrsg. von Silvia Daniel, Wilfried Enderle, Rüdiger Hohls, Thomas Meyer, Jens Prellwitz, Claudia Prinz, Annette Schuhmann, Silke Schwandt, 3. erw. und aktualisierte Aufl., Berlin 2023–2024, https://doi.org/10.60693/kdh4-8c26

1. Gegenstandsbestimmung

Die historische Forschung zur tschechischen und slowakischen Geschichte befindet sich am Schnittpunkt mehrerer Forschungstraditionen, die auch für die Recherche und Nutzung von digitalen Ressourcen von Belang sind.

Beide Länder waren ab dem 19. Jahrhundert zunächst Gegenstand der sogenannten „Ostforschung“. In der aus dieser – mit zunehmend kritischer Distanzierung – hervorgehende Osteuropaforschung wanderte der räumliche Schwerpunkt des Forschungsinteresses nach 1945 bedingt durch den Kalten Krieg von Ostmitteleuropa in Richtung der Sowjetunion bzw. Russlands. Nach dem Jahr 1989 wurden Diskussionen um den regionalen, aber auch historischen Zuschnitt des Raumes Ostmitteleuropa wieder aufgegriffen. Bis heute kehren diese Diskussionen regelmäßig wieder, so dass die Auseinandersetzung mit der Frage, von welchen Voraussetzungen eine historisch-kritische Ostmitteleuropaforschung ausgeht, fortdauert.[1] Die Geschichtsregion „Ostmitteleuropa“ ist daher wie kaum keine andere immer wieder definitionsbedürftig.

Das hat Folgen für die Recherche zu und in den beiden Ländern Tschechische Republik und Slowakei, auch im digitalen Zeitalter. Denn Forschung zu und in Tschechien und der Slowakei ist in besonderem Umfang nicht nur eine nationalgeschichtliche, sondern eng mit der deutschsprachigen und europäischen Geschichtsschreibung verflochten.

Denn ganz nach Interesse wird der Recherchierende nach der Geschichte Böhmens im Mittelalter, nach einem habsburgischen Kronland, der Region „Oberungarn“, der selbständigen Republik Tschechoslowakei, einem von NS-Deutschland besetzten, sogenannten „Reichsprotektorat“, nach Realsozialismus und Exil oder aber nach der Geschichte von Flucht und Vertreibung fragen. Hinzu kommt eine eigenständige Literatur- und Sprachgeschichte, die in noch höherem Ausmaß als andere Regionalgeschichten den sprachlichen Austausch und die Mehrsprachigkeit dieser spezifischen Geschichtsregion betont. Es lassen sich also tschechische, slowakische, tschechoslowakische, jüdische, deutsche, österreichische, imperiale oder auch europäische Geschichten zu dieser Region erzählen, und viele Forschungsinstitutionen haben diese entsprechend ihrer Ausrichtung auch hervorgehoben. Das gilt insbesondere für die in der unmittelbaren Nachkriegszeit dominante Geschichtsschreibung zur deutschsprachigen Bevölkerung der beiden Länder und deren Vertreibung.

Historische Quellen zur Geschichte Tschechiens und der Slowakei umfassen also Dokumente in mindestens vier Sprachen (Tschechisch, Slowakisch, Deutsch, Ungarisch) und sind auf die Institutionen mehrerer benachbarter Länder verteilt.

Es herrscht – unabhängig davon, ob man auf die Geschichte der deutschsprachigen oder tschechisch- bzw. slowakischsprachigen Bevölkerung blickt – ein regionales Ungleichgewicht zugunsten der tschechischen Geschichte. Das liegt neben der unterschiedlichen Landesgröße auch an dem gerade in Deutschland und Österreich stark präsenten Thema deutsch-tschechischer Beziehungen, das nicht durch eine entsprechende slowakisch-ungarische Forschung ausgeglichen wird. Dennoch ist die slowakische Geschichte in den letzten 20 Jahren auch in der deutschsprachigen Forschung stärker als eigenständiger Bereich hervorgetreten.

Die Geschichtsschreibung hat sich seit Längerem vom Fokus auf die Geschichte bestimmter ethnisch oder sprachlich abgegrenzter Gruppen wie Slowaken, Deutsche oder Tschechen emanzipiert, indem man nach Konstruktion und Wandel von regionalen, ethnischen und sprachlichen Zugehörigkeiten fragte. Das führt zu den angesprochenen stetigen Neubestimmungen des Forschungsgegenstandes, umfasst dafür aber ein breites Spektrum an Themen und Querverweisen, das eine nationale Geschichtsschreibung nicht berücksichtigen könnte. Die tschechische und die slowakische Geschichte sind daher auch Teil europäischer area studies geworden.

Obwohl die historische Forschung zu Tschechien und der Slowakei in diesem Sinne dynamisch und innovativ wirkt, muss mit Blick auf die angebotenen digitalen Ressourcen die Institutionengeschichte dieser Forschung mitbedacht werden. Forschungsprogramme ändern sich schneller als historische Bestände. In der Recherchepraxis heißt dies, dass gerade für Länderstudien zur tschechischen oder slowakischen Geschichte einerseits die Nutzung hochspezialisierte Institutionen unumgänglich ist, andererseits sich manche wichtige Quelle auch außerhalb der unmittelbaren Osteuropaforschung befindet.

Langfristig ermöglichen Digitalisierung, Standardisierung und Vernetzung auch solche Grenzen zu überschreiten. In der aktuellen Praxis ist das jedoch – trotz vielfältigen grenzüberschreitenden Angeboten – noch nicht der Fall. Für Tschechien und die Slowakei gilt – wie für ganz Zentraleuropa – außerdem, dass die Geschichte der 20. Jahrhunderts zu einer Vernichtung und Zerstreuung von Materialien geführt hat. Die Digitalisierung erlaubt es solche Bestände nun zumindest virtuell zusammenzuführen.

2. Institutionen der Ostmitteleuropaforschung

2.1 Deutschsprachiger Raum

Osteuropaforschung bedeutete in der deutschsprachigen Praxis lange Zeit Russlandforschung. Dies umso mehr, als die Ostmitteleuropaforschung an den deutschsprachigen Universitäten institutionell im Vergleich schwächer ausgeprägt ist. Sie verfügt allerdings über eine starke außeruniversitäre Forschungslandschaft. Dieser Zustand gilt noch einmal verstärkt für Ressourcen zur Geschichte Tschechiens und der Slowakei. Allerdings bestehen mit der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) in München und der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) zwei große Landesbibliotheken mit einem umfassenden Sammelanspruch für osteuroparelevante Publikationen und elektronischen Materialen. Eine zentrale Rolle spielt außerdem die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) mit ihren breit gestreuten digitalen Angeboten, die unter anderem die Geschichte der Habsburgermonarchie vor 1918 abbilden. Überwiegend ist die Ostmitteleuropaforschung in Österreich institutionell Teil der universitären Landschaft und inhaltlich Bestand der Forschung zum Habsburgerreich. Daher gibt es wenig exklusive Angebote zur tschechischen und slowakischen Geschichte. Auch das „Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften“ (ihb) setzt keinen entsprechenden Schwerpunkt. Zu nennen ist jedoch das „Wiener Österreich und Ostmitteleuropa Zentrum“ der Universität Wien und die damit assoziierten „Österreich-Zentren“, etwa in Olomouc.

Die historische Ostmitteleuropaforschung ist wiederum in Deutschland meist an spezialisierten Forschungseinrichtungen beheimatet. Einen ausschließlichen Schwerpunkt auf die tschechische und slowakische Geschichte setzt nur das Collegium Carolinum (CC) in München. Mit der weiteren Region befassen sich jedoch auch das Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung (HI) in Marburg, das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig und das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) in Oldenburg. Hinzu kommen noch das Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg, das Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) sowie die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen (FSO) mit dem Schwerpunkt Exilliteratur. Einen eigenen Schwerpunkt in der jüdischen Geschichte der Region setzt weiterhin das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow (DI) in Leipzig mit seinen Nachlässen und Bibliotheksbeständen.

Nicht vergessen werden sollten dauerhafte Kommissionen wie die deutsch-tschechische und die deutsch-slowakische Historikerkommission, die deutsch-tschechische Schulbuchkommission sowie die Historische Kommission für die böhmischen Länder. Sie alle bieten ebenfalls digitale Publikationen und Materialien an. Auch das Deutsche Historische Institut (DHI) Warschau ist eine Einrichtung der deutschsprachigen Ostmitteleuropaforschung mit Tschechien- und Slowakeibezug. Weiterhin finden sich zahlreiche Archivalien mit Bezug zur tschechischen und slowakischen Geschichte in deutschsprachigen Institutionen. Besonders hervorzuheben sind neben den Sammlungen der genannten Institutionen die Onlinekataloge des Österreichischen Staatsarchivs, des Wiener Stadt- und Landesarchivs und des Bayerische Hauptstaatsarchiv, das neben anderen relevanten Materialien das sogenannte sudetendeutsche Archiv verwaltet.

Neben den großen Landesbibliotheken bieten diese Forschungsinstitute und die von ihnen (mit)verwalteten Bibliotheken und digitalen Portale, Fachbibliographien, Repositorien und Datenbanken die wichtigsten elektronischen Ressourcen zum hier relevanten Themenbereich. Ihre Forschungspublikationen erscheinen entweder unmittelbar oder mit kurzer Verzögerung im Open Access.

2.2 Institutionen historischer Forschung in Tschechien und der Slowakei

Die Struktur geschichtswissenschaftlicher Institutionen in Tschechien und der Slowakei ist grundsätzlich ähnlich. Im Vergleich mit dem deutschen Beispiel ist sie zentralisierter und aufgrund der jeweiligen Landesgröße in jeweils weniger Institutionen organisiert. Allerdings konzentriert sie sich weder im einen noch im anderen Fall nur auf ein einziges Zentrum.

In beiden Ländern nimmt die jeweilige Akademie der Wissenschaften, die ab 1948 nach sowjetischem Vorbild ausgebaut wurde, eine starke Stellung in der Forschung ein. Auch die Geschichtswissenschaft wird daher stark durch die entsprechenden Akademieinstitute geprägt, von denen es jeweils mehrere gibt. Viele einschlägige Fachzeitschriften sind – auch in ihren Online-Ausgaben – an diesen Instituten verankert. Nach dem Jahr 1989 wurden allerdings auch die Universitäten beider Länder wieder als Forschungseinrichtungen gestärkt und haben ihrerseits umfangreiche Online-Repositorien aufgebaut. Beide Staaten verfügen über eine zentrale Nationalbibliothek (Národní knihovna České republiky, NK ČR in Prag bzw. Slovenská národná kniznica, SNK in Martin). Im tschechischen Fall kommt noch die ebenfalls umfangreiche, und gerade bei digitalen Angeboten sehr präsente mährische Landesbibliothek (Moravská zemská knihovna, MZK) in Brünn hinzu. Obwohl diese Bestände weit zurückreichen und laufend ergänzt werden, zeigt sich in ihnen unweigerlich die Geschichte beider Länder: Umfangreiche historische Materialen zu Tschechien und der Slowakei finden sich für die Zeit vor der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1918 in den Nationalbibliotheken Österreichs bzw. Ungarns. Deren digitale Angebote umfassen daher ebenfalls einschlägige Materialen zur Geschichte Tschechiens und der Slowakei.

Nicht übersehen werden sollte, dass sich bereits in der Tschechoslowakei frühzeitig eine eigenständige slowakische wissenschaftliche Landschaft mit den entsprechenden Angeboten entwickelt hat. Überhaupt ist die Zahl der gemeinsamen, „tschechoslowakischen“, Bestände vergleichsweise gering und auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie bestimmte Institutionen beschränkt.

Wie in den meisten postsozialistischen Staaten gibt es Forschungsinstitute, die sich der Aufarbeitung der Geschichte der kommunistischen Diktatur widmen, insbesondere der Staatssicherheit und deren Nachlassakten. In Tschechien ist das die Aufgabe des Instituts zum Studium totalitärer Regime (ÚSTR), in der Slowakei das Institut für nationales Gedächtnis (ÚPN). Die entsprechenden Verzeichnisse bieten sich aufgrund ihrer Struktur einerseits sehr zur Digitalisierung und Überführung in Datenbanken an, sind aber andererseits aus Gründen des Personenrechts und des Datenschutzes nur sehr begrenzt uneingeschränkt publizierbar.

Auf europäischer Ebene herrscht bei Digitalisierungsprojekten eine gewisse Kooperation der sogenannten V4-Staaten (der Visegrád-Gruppe gehören neben den beiden hier hauptsächlich behandelten noch Polen und Ungarn an, manchmal in der Praxis ergänzt um Österreich). Hinzu kommen einige bilaterale, meist deutsch-tschechische, österreichisch-tschechische oder österreichisch-slowakische Forschungsprojekte.

Grundsätzlich gilt, dass die allermeisten institutionellen Ressourcen mindestens über eine englische Benutzerführung und entsprechend übersetzte Metadaten verfügen. In vielen Fällen ist auch ein deutschsprachiger Zugang vorhanden. Ohnehin sind englische und manchmal auch deutsche Zusammenfassungen und Abstracts bei fast jeder Form der Publikation üblich. Eine Sprachbarriere ist bei einem Teil der slowakischen Ressourcen festzustellen, da diese weniger oft auf Englisch angeboten werden. Das trifft auch für Slovakiana in ungarischen Institutionen zu. Auch wenn viele Angebote eine Eingabe ohne Diakritika richtig interpretieren, setzen vor allem die großen Bibliothekskataloge und deren digitale Angebote eine exakte Schreibweise bzw. die entsprechende Nutzung von Trunkierungen oder Maskierungen voraus.

3. Wesen digitaler Ressourcen zu Tschechien und der Slowakei

Was für digitale Ressourcen der historischen Forschung insgesamt gilt, bestätigt sich auch bei solchen mit Bezug zu Tschechien und der Slowakei. Die Bestände wachsen im virtuellen Raum langsam zusammen, sind allerdings nach wie vor stark an Ländergrenzen orientiert.

Diese immer dichtere Vernetztheit hat aber auch Schattenseiten: Gerade die großen aggregierenden Suchportale garantieren nicht immer eine lückenlose Suche in kleineren, lokalen Beständen. Hinzu kommt, dass Suchportale oft nur die Metadaten, nicht aber die wachsende Menge an Volltexten der angeschlossenen Datenbanken inhaltlich erfassen.

Mit der Menge der findbaren Datensätze, seien sie Volldigitalisate oder Metadateneinträge, steigt das Risiko, einschlägige Daten zu übersehen. Daher ist es unverändert sinnvoll, sich mit einzelnen geschichtswissenschaftlichen Institutionen bzw. deren digitalen Angeboten auseinanderzusetzen und die Onlinekataloge der jeweiligen Einrichtungen gezielt zu nutzen, auch wenn Metasuchen manchmal anderes nahelegen.

Durch die zunehmend strukturierte Erfassung digitaler Ressourcen für die Geschichtswissenschaft, sei es durch standardisierten Metadaten oder die Fortschritte in der automatisierten Texterkennung, verschwimmen in der Recherchepraxis die Grenzen zwischen genuin digitalen Dokumenten, Retrodigitalisaten, Bibliographien und manchen Archivbeständen. Auch die ohnehin nur in der geschichtswissenschaftlichen Praxis entstehende Unterscheidung von Quelle und Forschungsarbeit wird dadurch unterlaufen. Diese grundsätzliche Entwicklung ist vor allem in Tschechien, aber auch in der Slowakei und Österreich stark spürbar. Hier zahlt sich aus, dass technische Entwicklungen koordiniert durch die großen nationalen Institutionen vorangetrieben werden.

Die Retrodigitalisierung historischer Quellen und geschichtswissenschaftlicher Fachtexte sowie ein digitales Publikationswesen setzte in Tschechien und der Slowakei in großem Stil zum Ende der 2000er Jahre ein. In beiden Ländern lässt sich eine ähnliche Entwicklung beobachten: Zunächst war die Retrodigitalisierung vom Gedanken einer möglichst dauerhaften Erhaltung gefährdeter Dokumente getragen. Das führte zunächst dazu, dass zahlreiche Schriften und Drucke zwar äußerst hochwertig digitalisiert wurden, jedoch den Forschenden lange Zeit nicht offen oder nur in den Lesesälen der großen Bibliotheken zur Verfügung standen. Seit Ende der 2010er Jahre und beschleunigt durch die Covid 19-Pandemie der Jahre 2020/21 hat hier ein deutlicher Wandel eingesetzt, der dazu führte, dass durch die bereits vorhandenen Strukturen deutlich mehr digitale Ressourcen im Open Access zur Verfügung stehen. Insbesondere die tschechische Nationalbibliothek und die mährische Landesbibliothek, aber auch eine Reihe weiterer wissenschaftlicher Bibliotheken gewähren wissenschaftlichen Nutzern offenen Zugriff auf eine stetig wachsende Menge retrodigitalisierter historischer Publikationen. Ähnliches lässt sich für die Slowakische Nationalbibliothek in Martin feststellen.

Der Fokus der Retrodigitalisierung liegt hier bisher auf gedruckten Werken, deren Bandbreite von frühen Drucken des 16. Jahrhunderts bis in die Gegenwart reicht. Im Jahr 2023 stellt die Schwelle für den Open Access zumeist das Erscheinungsjahr 1938 dar.[24] Die im Vergleich mit Westeuropa etwas später einsetzende flächendeckende Digitalisierung erwies sich als Vorteil, da die durchgängig hohe Qualität der Digitalisate eine verlässliche Texterkennung mit OCR-Methoden und entsprechende Volltextsuchen ermöglicht. Mittlerweile gibt es erste erfolgreiche Versuche von automatisierter Strukturerkennung wie layout recognition. Den tschechischen Institutionen ist es gelungen, retrodigitalisierte Printressourcen technisch kompatibel und über zentrale Portale zu bündeln. Auch eine Vernetzung mit der europäischen Ebene – etwa über das Europeana-Portal – hat stattgefunden. Allerdings überholt trotz Abgleich die schnelle Freischaltung von Online-Inhalten in den einzelnen Institutionen oft den Informationsstand der zentralen Portale, so dass eine Recherche direkt in den jeweiligen Beständen der Institutionen nach wie vor ratsam ist. Einer Volltextsuche in den Digitalisaten muss also eine Recherche vorangehen, die klärt, ob und wo ein Werk digitalisiert wurde. Die erste Adresse dafür sind unverändert die Verbundkataloge (Tschechien / Slowakei). Eine wichtige Übersicht über aktuelle und anstehende Digitalisierungen in Tschechien bietet außerdem das landesweite „Register der Digitalisierung“ (registr digitalizace).[28]

Die Suchergebnisse tschechischer und slowakischer Onlineressourcen sind durchgehend zuverlässig, hängen jedoch von der Qualität der OCR sowie mitunter der Spracherkennung ab, so dass gerade ältere deutschsprachige Texte nicht in gleichem Maße verarbeitet werden wie tschechische bzw. slowakische. Vorsicht ist vor allem bei der Verlässlichkeit der Erkennung gebrochener Schriften deutschsprachiger Texte geboten.

Pragmatisch ließen sich die folgenden Arten digitaler Ressourcen unterscheiden: 1. Angebote für (retro)digitalisierte Texte, die ein digitales Abbild ihrer gedruckten Form darstellen und daher auf Text- und Strukturerkennung angewiesen sind (Digitale Bibliotheken, Dokumentenserver); 2. Repositorien für Texte und Daten, die in ursprünglich digitaler Form vorliegen (Dienste für Forschungsdaten, digitale Graduierungsschriften, aber auch Onlinenachschlagewerke und Blogeinträge). 3. Datenbanken, die auf Benutzeranfragen hin Metadaten durchsuchen (hierzu zählen im weitesten Sinn Rechercheportale der Fachinformationsdienste, Kataloge, Online-Bibliographien). 4. Archivdatenbanken, deren Ergebnisse sich sowohl aus Metadaten wie Beschreibungen zusammensetzen und die eine eigene Tektonik aufweisen. 5. Speziell für die Onlinedarstellung kuratierte Sammlungen und Ausstellungen, die retrodigitalisierte Materialien und digital entstandene Texte miteinander kombinieren.

Beachtet werden sollte auch, dass aus geschichtswissenschaftlicher Sicht im Online-Bereich die Trennung zwischen ursprünglich gedruckten Quellen (in der Praxis Quellen nach dem Jahr 1800) auf der einen und Handschriften, Frühdrucken und Inkunabeln auf der anderen Seite bei Volldigitalisaten ausgeprägt ist.

Die Bedeutung von internationalen aggregierenden Online-Datenbanken (wie Central and Eastern European Online Library, kurz CEEOL für den ostmitteleuropäischen Raum) hat insgesamt etwas nachgelassen, da mittlerweile die meisten Zeitschriften direkt im Open Access, und damit auch aktueller, entweder an den veröffentlichenden Einrichtungen oder aber in den digitalen Bibliotheken erscheinen. Während CEEOL unverändert den großen Vorteil bietet, einzelne Artikel mit ihren Metadaten zu präsentieren, erfasst es mitunter nur die Jahre, in denen genuin digitale Artikel dort eingestellt wurden. Die digitalen Bibliotheken verfügen hingegen über meist auch länger zurückliegende Jahrgänge, wenngleich die Erfassung meist nicht auf Artikelebene stattfindet.

Hinzu kommt, dass manche Einträge des deutschsprachigen DBIS-Systems mittlerweile veraltet sind, bzw. einzelne Projekte bezeichnen, die mittlerweile von zentralen Repositorien abgelöst wurden.[29]

4. Fachinformationsdienste, Kataloge, Bibliographien

Wenngleich digitale Infrastrukturen in aller Regel interdisziplinär und großflächig aufgestellt sind, gibt es für die historische Bohemistik und Slovakistik Projekte mit erhöhter Relevanz. Fachinformationsdienste, Bibliographien und Bibliothekskataloge greifen durch Standardisierung und Verbundstrukturen immer stärker ineinander. In den letzten Jahren ist es darüber hinaus gelungen, Katalogeinträge mit Volltextdigitalisaten zu verknüpfen.

4.1 FIDs und NFDI

Eine zentrale Anlaufstelle ist die Bayerische Staatsbibliothek in München. Neben ihren regulären Beständen bündelt sie über den Fachinformationsdienst (FID) „Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa“ verschiedene Dienste, die einen zentralen Einstieg in die Recherche möglich machen. Der FID setzt das frühere Sondersammelgebiet „Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa“ fort und stellt so eine Kontinuität der Erfassung sicher. Zu seinen Diensten zählt das Forschungsportal „Osmikon“, das die frühere Virtuelle Fachbibliothek Osteuropa ersetzt. Über die dortige Suche „osmikonSEARCH“ werden eine Vielzahl von Bibliotheks- und Spezialkatalogen nicht nur aus der deutschsprachigen Forschung durchsucht und digitalisierte Dokumente direkt zugänglich gemacht. Insbesondere werden das Fachrepositorium „OstDok“, die Aufsatzdatenbank „ARTOS“, der Internetressourcen-Katalog „OstNet“ und der Forschungsdatendienst „OstData“ darüber zentral zugänglich gemacht. Mit den digitalen Graduierungsschriften sowie der Reihe „DigiOst“ werden über „OstDok“ zwei genuin digitale Reihen der Ostmittel- und Osteuropaforschung angeboten, die durch ihre institutionelle Verankerung am CC außerdem einen starken Tschechienbezug aufweisen. All diese Projekte beruhen auf Kooperationen der wichtigsten außeruniversitären Forschungsinstitute mit der BSB München, so dass hier ein Großteil der deutschsprachigen wissenschaftlichen Publikationen und Forschungsdaten in diesem Themenbereich unmittelbar im Open Access digital verfügbar ist.

Nicht vergessen werden sollte, dass ein großer Teil der Digitalisate der BSB auch direkt in den digitalen Sammlungen, die weiter gehende Bearbeitungsmöglichkeiten für Bild und Text anbietet, gefunden werden kann.

Relevant ist weiterhin der FID Slavistik und dessen Rechercheportal, der an der Staatsbibliothek zu Berlin, der zweiten großen Landesbibliothek mit einem Sammelschwerpunkt in der Ost- und Ostmitteleuropaforschung, betrieben wird. Auch dieser bietet eine gebündelte Metasuche, die unter anderem das Fachrepositorium „SlavDok“ umfasst, das ebenfalls elektronische Dokumente im Open Access anbietet.

Ab März 2023 entsteht die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) 4memory für von historisch arbeitenden Geisteswissenschaften erzeugten Daten. Da mit dem Herder-Institut eine wichtige Institution der deutschen Ostmitteleuropaforschung und mit der BSB die Trägerinstitution der FID Geschichtswissenschaft, Altertumswissenschaften sowie Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa als Antragsteller federführend beteiligt sind, wird ein entsprechender Fokus zu erwarten sein. Zahlreiche weitere Institutionen der Ostmitteleuropaforschung wie auch das CC sind sogenannte participating institutions des Konsortiums.

Eine in dieser Form einzigartige Recherchemöglichkeit bietet das digitale Angebot der Österreichischen Nationalbibliothek. Zum einen hat die ÖNB ohnehin aus historischen Gründen einen starken Bezug zur tschechischen und slowakischen Geschichte und verfügt über entsprechende historische Schriften und aktuelle Forschungspublikationen. Zum anderen weist sie einen hohen Digitalisierungsgrad bei historischen Periodika, Bildmaterial sowie archivalische Sammlungen auf, die zunehmend in einem einzigen Zentralkatalog vereint werden (siehe unten).

Ein unmittelbares Gegenstück zu Fachinformationsdiensten oder NFDIs gibt es in Tschechien und der Slowakei nicht. Vergleichbar sind aber die sogenannten „großen Forschungsinfrastrukturen“ in Tschechien. Zu diesen zählen im Bereich der Geisteswissenschaften keine aus der historischen Forschung.[35] Doch besteht eine enge und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Geschichts- und Sprachwissenschaft im übergreifenden Rahmen der Akademie der Wissenschaften. Insgesamt setzen die Infrastrukturen der digitalen Geisteswissenschaften daher einen klaren Schwerpunkt auf Verfahren aus der automatisierten Sprachverarbeitung wie Natural Language processing (NLP). Verbunden ist damit auch eine weitere große Infrastruktur, der „Tschechische Nationale Korpus“ (Český Národní Korpus), der eine Reihe korpuslinguistischer Datenbanken bzw. linguistische Korpora anbietet, die auch historische Publizistik umfassen.

Eine eigenständige Rolle in der digitalen Infrastruktur historischer Wissenschaften spielt das Archäologische Informationssystem (AIS ČR), das Ressourcen wie Karten, virtuelle Objekte und Verzeichnisse bündelt.

Die für historisch Forschende unmittelbar wichtigste Infrastruktur ist die am Institut für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften betriebene „Tschechische literarische Bibliographie“ (Česká literární bibliografie).

Über sie wird nicht nur eine mehrere Datenbanken durchsuchende bibliographische Metasuche bereitgestellt, die aus der Region der heutigen Tschechischen Republik stammende literarische und literaturwissenschaftliche Titel erfasst. Das Angebot macht auch Digitalisate des Instituts zugänglich, darunter einige einschlägige Periodika der neueren tschechischen Geschichte. Auch die deutschsprachige Literatur und Literaturwissenschaft der böhmischen Länder ist hier erfasst.

Das slowakische Wissenschaftsministerium hat ebenfalls eine „Roadmap 2020–2023“ für Infrastrukturen vorgelegt, deren einzelne Punkte bisher noch unabgeschlossen sind. In den nächsten Jahren ist aber auch hier mit neuen Zugängen zu rechnen.

4.2 Kataloge

Die wichtigsten elektronischen Verzeichnisse und erste Anlaufstelle für Recherchen sind die Verbundkataloge der jeweiligen Nationalbibliotheken. In der Slowakei ist dieser über das Portal der „Slowakischen Bibliothek“ (Slovenská knižnica) durchsuchbar. Der Katalog berücksichtigt verschiedene Medien, nicht jedoch Zeitschriften, die sich nach wie vor in einer eigenen Datenbank (SKP) befinden.

Deutlich weiter ausgebaut sind die Kataloge der Tschechischen Nationalbibliothek (NK). Neben dem Katalog der NK gehört hierzu die tschechische Nationalbibliographie (CNB), der die anderen wissenschaftlichen Bibliotheken umfassende tschechische Gesamtkatalog (SKC) sowie weitere nützliche Kataloge. Wo vorhanden verlinken alle Kataloge direkt auf die entsprechenden Digitalisate.

Bisher nicht in das Osmikon-Portal integriert, aber über die Institutswebsite und den Bayerischen Bibliotheksverbund zugänglich, ist allerdings die größte Spezialbibliothek für bohemistische und slovakistische Forschung, die „Wissenschaftliche Bibliothek im sudetendeutschen Haus“, die durch das Collegium Carolinum betrieben wird. Auch sie stellt einen elektronischen Katalog zur Verfügung, ergänzt um einen Zeitschriftenkatalog der Spezialbestände des Instituts.

Auch die Bibliotheksbestände des BKGE und der Forschungsstelle Osteuropa sind über zentrale Verbundkataloge abrufbar. Daher empfiehlt sich ebenfalls eine Suche über Aggregatoren wie den Karlsruher Virtuellen Katalog (KVK).

4.3 Historiographische Fachbibliographien

Fachbibliographien sind in zunehmendem Maße in Metasuchen und virtuelle Kataloge integriert, spielen aber eine unverändert wichtige Rolle zu ausgewählten Themenbereichen. Insbesondere die historischen Bibliographien Tschechien und der Slowakei werden bzw. wurden mit hohem Aufwand gepflegt und sind seit langem auch online eine der ersten Adressen für geschichtswissenschaftliche Recherchen. Für beide existiert ein gemeinsames Portal der „Bibliographie der tschechischen und slowakischen Historiographie“.

Die unverändert nützliche, seit dem Jahr 2021 jedoch nicht mehr aktualisierte „Bibliographie der Geschichte der Slowakei“ wird zumindest teilweise durch ihr tschechisches Gegenstück aufgefangen. Die Funktion einer slowakischen Nationalbibliographie erfüllt bisher der elektronische Katalog der Nationalbibliothek (siehe vorheriger Abschnitt). Die Universitätsbibliothek Bratislava bietet drei digitalisierte historische Bibliographien an, die zum Teil auf Deutsch beschrieben sind. Neben der „Bibliographie der Jahresschulberichte aus dem Gebiet der Slowakei 1701–1850“ sind das die „Artikelbibliographie der Jahresschulberichte aus dem Gebiet der Slowakei für die Schuljahre 1918/19 bis 1952/53“ sowie schließlich die „Biographien in den Jahresschulberichten 1918/19 bis 1952/53“.

Im gemeinsamen Portal finden sich weiterhin die „Bibliographie des tschechischen Archivwesens“, der „Datenbestand der Alltagsgeschichte“ sowie die – bisher allerdings größtenteils nicht online verfügbare „Akademische Enzyklopädie der Tschechischen Geschichte“. Das zentrale Verzeichnis ist jedoch die durch das Historische Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften gepflegte „Bibliographie der Geschichte der böhmischen Länder“.

Auch das Collegium Carolinum bietet einige Fachbibliographien zu spezifischen Themen der tschechischen und slowakischen Geschichte an.

5. Digitale Bibliotheken und Sammlungen

Wie erwähnt sind Fachangebote mit dem Schwerpunkt auf Forschungsliteratur zunehmend schwer von den retrodigitalisierten publizierten Quellenbeständen der großen Staats- und Landesbibliotheken klar zu trennen. In Tschechien und der Slowakei bürgert sich entsprechend der Sammelbegriff „Digitale Bibliothek“ für das gesamte Angebot an digitalen Publikationen ein.

5.1 Spezifisch deutschsprachige Angebote

Es existieren einige spezielle digitale Sammlungen mit tschechischem oder slowakischem Bezug. Einen besonderen Fokus bietet seit Jahren das „Digitale Forum Mittel und Osteuropa“ (DiFMOE), das sich hauptsächlich, aber nicht ausschließlich auf deutschsprachige Periodika im Raum der Slowakei, Ungarns und der Bukowina konzentriert. DiFMOE ist als einzige vollständig deutschsprachige Sammlung in das tschechische Kramerius-System eingebunden.

Insbesondere für die Geschichte der habsburgischen Kronländer vor 1918 ist das Zeitschriftenportal der Österreichischen Nationalbibliothek, ANNO, eine unerlässliche Recherchequelle. Die ANNO-Digitalisate weisen eine durchgehend hohe Qualität bei der Texterkennung (einschließlich gebrochener Schriften) auf. In Verbindung mit komfortablen und granularen Filtermöglichkeiten erzeugt das Portal daher sehr belastbare Rechercheergebnisse. Daneben existieren die Angebote des ihb, das sich vor allem auf die digitale Edierung von habsburgischen Quellen konzentriert und seine Datensätze umfänglich zum Download anbietet.

Flankiert wird das Zeitschriftenportal der ÖNB von weiteren relevanten digitalen Angeboten wie dem digitalen Lesesaal Historischer Rechts- und Gesetzestexte ALEX. Weitere Angebote wie retrodigitalisierte Bücher, Bilder und Ansichtskarten sind bereits in die gemeinsame und medienübergreifende Plattform „ÖNB Digital“ überführt.

5.2 Monographien und Periodika ab dem 18. Jahrhundert

Nahezu ohne Ausnahme nutzen die großen tschechischen wissenschaftlichen Bibliotheken für die Bereitstellung gedruckter Werke, die in etwa seit dem Jahr 1700 erschienen sind, mittlerweile Kramerius, eine federführend von der tschechischen Nationalbibliothek, der mährischen Landesbibliothek und der Bibliothek der tschechischen Akademie der Wissenschaften entwickelten Software, über die Digitalisate von gedruckten Werken in einer Weboberfläche mit weitreichenden Such- und Recherchemöglichkeiten angeboten werden.[55] Dass Kramerius ursprünglich dem Gedanken der Bewahrung und Verwaltung von Digitalisaten entsprang, zeigt sich noch heute an der beträchtlichen Zahl von nicht frei bzw. nur in Bibliothekslesesälen zugänglichen Digitalisaten ebendort. Hinzu kommt eine Anzahl an vergriffenen Publikationen („out-of-commerce work“), die nur für einen bestimmten Nutzerkreis auch im Fernzugriff nutzbar sind. Grundsätzlich sind jedoch alle in Kramerius hinterlegten Einträge entweder vollständig retrodigitalisiert oder zumindest für die Digitalisierung vorgesehen. Insgesamt bewegt sich das Angebot in Richtung eines flächendeckenden Open Access.

Anders als die „ÖNB Digital“ hat Kramerius nicht den Charakter eines medienübergreifenden Zentralkatalogs, sondern existiert in verschiedenen, bibliotheksabhängigen Instanzen. Ein zentrales Portal verweist auf die verschiedenen „Kramerien“, die nur teilweise den Bestand der jeweils anderen Instanzen durchsuchen.[57] Eine experimentelle Suche soll diese Trennung überwinden.

Daneben existiert außerdem die Instanz „Nationale digitale Bibliothek“ (Národní digitální knihovna, NDK, die ebenfalls übergreifend sucht, jedoch gleichermaßen nicht sämtliche Materialien beinhaltet. Schließlich besteht auch noch die Vorgängerversion, der „Kramerius 3“. Dessen Inhalte werden laufend in das neue System übertragen, sollten bisher jedoch noch gesondert berücksichtigt werden.

Die Slowakische Nationalbibliothek in Martin bietet mit DIKDA (Digitálna knižnica a digitálny archív) eine an Kramerius orientierte digitale Bibliothek an, die zugleich als digitales Archiv dient. Der Zugang ist insgesamt weniger restriktiv als im tschechischen Fall, da nichtöffentliche Materialien bereits durch einfache Anmeldung zugänglich sind. DIKDA reicht außerdem zeitlich weiter zurück und umfasst auch mit OCR bearbeitete frühe Drucke. Eine geringe Anzahl von Digitalisaten befindet sich noch in der alten Verzeichnisstruktur der Nationalbibliothek.

In der Slowakei wurde durch das „Zentrum für wissenschaftlich-technische Information der Slowakei“ (Centrum vedecko-technických informácií SR, CVTISR) außerdem das alternative System MediaINFO etabliert. Es bildet die Grundlage für die digitalen Bibliotheken des besagten Zentrums und der Universität Bratislava. Beide „digitale Bibliotheken“ bieten ebenfalls eine Fülle von relevanten Materialien an, darunter auch viele deutschsprachige historische Quellen.

Eine weitere Plattform für digitale historische Ressourcen aus der Slowakei ist das Portal der geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift „Forum Historiae: Zeitschrift und Portal für Geschichte und verwandte Fächer“, das neben der titelgebenden Zeitschrift aktuelle Forschungsarbeiten aus der slowakischen Geschichtswissenschaft bereitstellt sowie Verweise zu populärwissenschaftlichen Abhandlungen und Videos sammelt.

Daneben findet eine „versteckte“ Digitalisierung etwa durch die staatliche wissenschaftliche Bibliothek in Košice (Štátna vedecká knižnica v Košiciach), die auf Anfrage digitalisierte Dokumente im Open Access in ihren Katalog einpflegt, ohne diese gesondert zugänglich zu machen.

Schließlich befinden sich wichtige Quellen der slowakischen Geschichte in slowakischer, ungarischer und deutscher Sprache in den Beständen der Ungarischen Nationalbibliothek, die über eine einheitliche Suche zugänglich sind.

5.3 Handschriften und Frühe Drucke

Digitalisierte Handschriften und Frühe Drucke

Auf unterschiedliche Weise gehen die tschechischen und slowakischen Landesbibliotheken mit Frühdrucken und Inkunabeln um. Die slowakische Nationalbibliothek integriert diese bisher in ihre digitale Bibliothek, teilweise auch mit erkannten Volltexten. Das slowakische Portal DIKDA erfüllt hier eine einheitliche Rolle, die in der Tschechischen Republik nicht von der nationalen digitalen Bibliothek übernommen wird, sondern in das Portal „Manuscriptorium“ an der Nationalbibliothek ausgelagert wurde, in dem digitalisierte frühe Drucke und Handschriften tschechischer Institutionen bereitgestellt und vom Nutzer selbst bearbeitet werden. Manuscriptorium stellt zum einen mit XML-Beschreibungen angereicherte Digitalisate aus den Sammlungen tschechischer, aber auch vieler weiterer europäischer Bibliotheken zur Verfügung. In der virtuellen Forschungsumgebung des Portals können darüber hinaus eigene Dokumenten- und Bildersammlungen erstellt, annotiert und angereichert werden. Zu diesem Zweck stellt das Portal eigene Tools bereit.

Die verschiedenen über Kramerius angebundenen universitären und regionalen Bibliotheken gehen im Übrigen nicht einheitlich vor, so dass sich hier viele verstreute Handschriften, Inkunabeln, frühe Drucke und Werke vor dem Jahr 1800 finden lassen.

Texte und Bibliographien bis 1800

Das Portal „Knihověda“ sammelt bibliographische Referenzen zu gedruckten Bohemika bis zum Jahr 1800 und verbindet dabei Datenbanken zu tschechisch- und fremdsprachigen Werken in einer gemeinsamen Suche, die auch Digitalisate zuverlässig referenziert. Eine schon länger bestehende, wichtige Anlaufstelle sind außerdem die am Zentrum für mediävistische Studien betriebenen „Czech medieval sources online“. Zu diesen gehört die Datenbank „Fontes“, die im Volltext durchsuchbare Editionen mittelalterlicher Quellen bietet. Außerdem zählt dazu die Datenbank „Hyperfontes“, die zu den in „Fontes“ verzeichneten Volltexten und Autoren Metadaten und Referenzen liefert. Ein – allerdings nur auf Tschechisch beschriebenes – Verzeichnis digitalisierter historischer mediävistischer Fachliteratur findet sich dort ebenfalls.

6. Archive und archivalische Datenbanken

6.1 Länderübergreifende Portale

Auf EU-Ebene wurden in der Vergangenheit einige länderübergreifende Archivportale gefördert, in die auch tschechische und slowakische Archivbestände eingeflossen sind. Viele dieser Projekte sind technisch abgeschlossen, werden jedoch weiterhin mit neuen Materialien versorgt. Quellenbedingt herrscht ein klares Übergewicht an mediävistischen Quellen, Handschriften und frühen Drucken vor.

Im Portal „Porta Fontium“ entstand ein gemeinsamer, zweisprachiger virtueller Raum für Archivalien mit wechselseitigem Bezug in tschechischen und bayerischen Archiven. Diese liegen in thematisch oder nach Medienbezug geordneten Sammlungen vor. Das Projekt enthält außerdem einen nützlichen tschechisch-bayerischen Archivführer und wird laufend ergänzt.

Analog dazu existiert das ältere Projekt „Gedächtnis ohne Grenzen“, das österreichische und slowakische Archivalien in einem Portal zusammenführt.

Prominent vertreten sind tschechische und slowakische Quellen darüber hinaus im virtuellen Archiv „Monasterium“, das vor allem mittelalterliche und frühneuzeitliche Urkunden aus ganz Europa sammelt, allerdings mit einem zentraleuropäischen Schwerpunkt. Auch das slowakische Nationalarchiv sowie einige tschechische Archive haben Digitalisate eingespeist. Monasterium ist – ähnlich wie Manuscriptorium – zugleich eine virtuelle Forschungsumgebung, in der Nutzer die digitalisierten Quellen selbstständig anreichern können.

6.2 Slowakische Archive

In der Digitalisierung von Archivbeständen ist ein deutliches Gefälle zwischen beiden Ländern festzustellen. Während die Digitalisierung in Tschechien institutionell deutlich zwischen Printrepositorien und Archivdatenbanken unterscheidet, werden in der Slowakei Archivalien und digitalisierte Drucke gemeinsam über das Projekt DIKDA gepflegt. Darüber hinaus finden sich neben Einzelbeständen des slowakischen Nationalarchivs bei weiteren staatlichen Archiven keine digitalen Ressourcen wie Findbücher, Register o.ä. Obendrein ist eine Bestandsbeschreibung meist nur auf Slowakisch verfügbar.

6.3 Tschechisch-Slowakische Bestände

Ein regionsübergreifendes Projekt stellt die Archivdatenbank des tschechischen und slowakischen Parlaments, die „Gemeinsame Tschechisch-Slowakische digitale Parlamentsbibliothek“ dar, die aufgrund der gemeinsamen staatlichen Vergangenheit auf einen gemeinsamen Datenbestand zurückgreift und außerdem in das europäische Dachprojekt der „Visegrader Digitalen Parlamentsbibliothek“ eingebunden ist. Die digitalen Bestände umfassen Protokolle, stenographische Mitschriften, Resolutionen und weitere Dokumente aus verschiedenen Parlamenten, Landtagen und Vertretungskörperschaften tschechischer und slowakischer Staatlichkeit.

6.4 Tschechische Archive

Das tschechische Archivwesen weist einen hohen Digitalisierungsgrad auf. Es ist für Forschende überschaubar und gut strukturiert durch ein zentrales Portal, in dem die bedeutendsten staatlichen, kommunalen, universitären und sonstigen Archive dargestellt werden, durchsuchbar. Hier ist zunächst unbedingt die komfortable gemeinsame Suchfunktion zu empfehlen, die genaue Angaben zu Provenienz, Charakter und Zugänglichkeit vieler Archivmaterialen bietet. Darüber hinaus haben die einzelnen Archive eine große Menge an Akten, Registern, Matrikeln und Katasterdaten im Volltext digitalisiert, die sie über ihre jeweiligen Datenbanken zugänglich machen. Insbesondere das Nationalarchiv und das Landesarchiv Opava bieten neben der digitalen Archivdatenbank „VadeMeCum“ eine Reihe weiterer digitaler Materialen. Hinzuweisen ist auch auf den elektronischen Lesesaal des „Archivs der Sicherheitsdienste“ (Archiv bezpečnostních složek), das die Akten der tschechischen Staatssicherheit verwaltet und nach Registrierung ebenfalls eine Volltextsuche in seinen digitalen Beständen erlaubt.

Nicht im zentralen Archivportal hinterlegt und in geringerem Umfang digitalisiert sind in beiden Ländern die kirchlichen Archive, die zudem meist nur in den Landessprachen navigiert werden können.

6.5 Andere archivalische Datenbanken

Einschlägig ist im vorliegenden Fall weiterhin die Datenbank des KALLIOPE-Verbunds, die eine Vielzahl von Nachlässen in deutschen Bibliotheken, das Deutsche und das Schweizerische Literaturarchiv sowie zahlreiche Autographen verzeichnet. In einigen Fällen wird auch auf vollwertige Digitalisate verwiesen. Hier finden sich viele Korrespondenzen mit tschechischen und slowakischen historischen Persönlichkeiten. KALLIOPE bietet darüber hinaus eine Schnittstelle (API) für automatisierte Abfragen.

7. Digitale Nachschlagewerke

Weiterhin liegen einige spezialisierte Nachschlagewerke in Online-Form vor, die nicht über die genannten Metasuchen abgefragt werden.

7.1 Biographische Lexika

Das „Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder“ und die diesem zugrundeliegende „Biographische Sammlung“ des Collegium Carolinum sind in Teilen digitalisiert zugänglich und werden in Zukunft auch als Datenbank zugänglich sein. Zudem sind Teile der biographischen Forschung am Collegium Carolinum in das Portal der ohnehin grundsätzlich einschlägigen „Deutschen Biographie“ integriert. Für die Zeit bis 1918 ist das Österreichische Biographische Lexikon (ÖBL) einschlägig, dessen Artikel ebenfalls digitalisiert sind. Die digitale Form des „Biographischen Wörterbuchs der Böhmischen Länder“ (Biografický slovník Českých zemí) ist bisher nur auf Tschechisch verfügbar, weist aber im Vergleich die größte Detailtiefe bei historischen Persönlichkeiten der jüngeren tschechischen Geschichte auf. Das „Biographisches Lexikon der Slowakei“ (Biografický lexikón Slovenska) ist bisher nicht online erschienen.

Eine Sonderrolle nimmt im Zusammenhang der tschechischen und slowakischen Geschichte die üblicherweise nicht als verlässliche wissenschaftliche Quelle anzusehende Wikipedia ein: Bei erinnerungspolitisch aufgeladenen Debatten rund um die Geschichte der Vertreibung und die damit im öffentlichen Gedächtnis verbundenen Personen sind bis heute fragwürdige und unausgewogene Einträge zu verzeichnen. Dem steht allerdings eine Reihe sauber gearbeiteter Artikel zu in der Allgemeinheit weniger bekannten historischen tschechischen Persönlichkeiten gegenüber, die auf tschechischer Seite teilweise auch als Ergebnis kleinerer Forschungsprojekte überprüft und entsprechend verfasst bzw. kritisch überarbeitet wurden. Diese sind daher als Einstieg zum Thema brauchbar.

7.2 Andere Online-Nachschlagewerke

Am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa findet sich das Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa mit vielen aktuellen Einträgen nicht nur zur Geschichte der Deutschen in der Region allgemein, sondern auch historisch-kritischen Artikeln zur Geschichtsschreibung und vergangenen wie aktuellen Kontroversen des Fachs ostmitteleuropäische Geschichte.

Technisch aufwändig mit interaktiven Funktionen versehen ist der „Tschechische Historische Atlas“ (Český historický atlas), der die Territorien der tschechischen und tschechoslowakischen Geschichte durch einen historische-kartographischen Ansatz präsentiert und überdies eine bibliographische Datenbank historischer Atlanten zur Verfügung stellt.

Einen Spezialkatalog mit einem wachsenden digitalen Anteil stellt GeoPortOst dar, das Portal für thematische und versteckte, d. h. zumeist in Büchern gedruckte aber nicht gesondert referenzierte, Karten zu Ost- und Südosteuropa am IOS Regensburg.

Leider nur auf Tschechisch zu nutzen sind die Datenbanken und digitalen Quellen des Instituts für Kunstgeschichte an der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Dazu gehört neben kunstgeschichtlichen Bibliographien auch eine Online-Katalog der Musikologie.

8. Digitale Geisteswissenschaften und ihre Verfahren

8.1 Digitale Geisteswissenschaften in Tschechien und der Slowakei

In beiden Ländern gibt es eine aktive Gemeinschaft von Forschenden aus den digitalen Geisteswissenschaften. In der Slowakei ist es allerdings bisher nicht zu einer landesweiten Institutionalisierung jenseits des „Zentrums für digitale Geisteswissenschaften“ (Centrum digitálnych humanitných vied) an der Philosoph-Konstantin-Universität in Nitra gekommen. In der Tschechischen Republik besteht hingegen ein aktiver und international vernetzter DH-Verband (CzADH, Česká asociace pro digitální humanitní vědy). Außerdem hat die tschechische Akademie der Wissenschaften ein zentrales Portal für die digitalen Geisteswissenschaften geschaffen.

Grundsätzlich sind Historikerinnen und Historiker aber in zunehmenden Maße an DH-Projekten beteiligt wie etwa der große tschechische Anteil an der European Holocaust Research Infrastructure und dem EHRI-Portal belegt. Auch die Anzahl digitaler Editionen wächst beständig (vgl. die beiliegende Literaturliste für einzelne Beispiele).

Allerdings sind die digitalen Geisteswissenschaften bisher in noch höherem Maße als im deutsch- und englischsprachigen Raum institutionell, personell aber auch methodisch an die Sprach- und Literaturwissenschaften gekoppelt, insbesondere an die Linguistik.[93] Eine Organisation digitaler Geschichtswissenschaft existiert bisher nicht. So ist etwa die in der deutschsprachigen Forschung populäre historische Netzwerkanalyse bisher wenig vertreten. Dieser sprachwissenschaftliche Fokus auf digitale Geisteswissenschaften und damit auch die Bereitstellung digitaler Ressourcen hat gewisse Vorzüge: Die Mehrzahl der digitalen Forschungsprojekte und Infrastrukturen der Geschichtswissenschaft sind in die Struktur von LINDAT CLARIAH-CZ oder in das Institut für angewandte Linguistik (ÚFAL) eingebunden.[96] Dazu gehören Projekte und Infrastrukturen aus der Visual History, ein Portal für tschechische Altertumswissenschaften und vormoderne Geschichte oder eine Sammlung journalistischer Referenzen zum Münchner Abkommen von 1938.

In die Entwicklung der Repositorien für Retrodigitalisate ist daher von Beginn an linguistisches Fachwissen eingeflossen. Das zeigt sich allgemein in Überlegungen zur Textanreicherung, in den erweiterten Suchmöglichkeiten im tschechischen Kramerius-System, aber auch experimentell in korpuslinguistisch inspirierten Analysemethoden des Projekts Kramerius+/DL4DH. Hier ist in den nächsten Jahren mit dem Einsatz weitreichender Analysetools für die Suche in digitalen Quellen zu rechnen, die in Kombination mit zentralisierten Suchmöglichkeiten völlig neue Perspektiven, etwa zum Text Mining eröffnen.

8.2 Auswertung von Texten mit quantitativen Verfahren (Text Mining)

Kramerius bietet schon jetzt die am weitesten fortgeschrittenen Such- und Exportfunktionen im Bereich tschechischer und slowakischer digitaler historischer Ressourcen, wenngleich nicht alle Instanzen dies in gleichem Maße dokumentieren. Die „Nationale digitale Bibliothek“ (NDK) enthält jedoch eine Anleitung fortgeschrittener Suchbedingungen bis hin zu selbst gewichteten Näherungssuchen, Präferenzsuchen oder Ähnlichkeitssuchen. Eine durch automatisierte Lemmatisierung verstärkte Schlagwortsuche von Dokumenten wird ebenfalls vorbereitet, ist jedoch bisher nicht dokumentiert. Auch die auf Kramerius beruhende digitale Bibliothek der slowakischen Nationalbibliothek erlaubt entsprechende Suchen. Zu bedenken ist, dass die zugrundeliegende OCR und Strukturerkennung in tschechischen und slowakischen Texten mitunter zuverlässiger sind als in deutschen. Das slowakische MediaINFO-System implementiert ebenfalls Lemmatisierung und Näherung bei der Suchunterstützung.

Zu Anfang des Jahres 2023 wurde eine Testversion des Projekts DL4DH freigeschaltet. Es umfasst mehrere Tools, die vor allem Nutzern aus den digitalen Geisteswissenschaften Datenanalysen auf der Grundlage der in Kramerius angebotenen Texte ermöglichen sollen. Kernstück ist die Anreicherung der Daten durch Lemmatisierung und Named Entity Recognition und deren anschließender standardisierter Export.

9. Repositorien in Universitäten und Forschungseinrichtungen

Deutlich früher als viele deutschsprachige Universitäten bauten tschechische Hochschulen umfangreiche Repositorien für wissenschaftliche Qualifizierungsschriften bis hin zu Habilitationen auf, vorangetrieben auch durch eine weitreichende Nachweis- und Veröffentlichungspflicht tschechischer Forschungsinstitutionen. Vor allem die beiden größten Hochschulen des Landes, die Karls-Universität in Prag und die Masaryk-Universität in Brno waren hier Vorreiter. Diese Bemühungen mündeten in ein zentrales Repositorium, das über eine Metadatensuche graue Literatur aus den Hochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen durchsuchbar macht, das „nationale Repositorium für graue Literatur“ (Národní uložiště šedivé literatury, NUŠL). Vergleichbar dem erwähnten OstData-Projekt bietet auch dieses Portal sowohl Einträge mit Verweis auf externe Speicherorte als auch vollständig dort hinterlegte Datensätze.

Seit dem Jahr 2011 sind dort viele namhafte Forschungs- und Bildungsinstitutionen vertreten, sodass sowohl Universitäten wie Akademieinstitute abgedeckt werden. Allerdings schwankt die Dichte der hinterlegten Einträge je nach Institution beträchtlich. Zudem fehlen bisher einige bedeutende Einrichtungen, allen voran die Masaryk-Universität in Brno, deren ausführliches Repositorium gesondert durchsucht werden muss und ebenfalls einen überregionalen Charakter aufweist.

Jenseits von Abschlussarbeiten finden sich geschichtswissenschaftliche Daten jedoch nicht in allen Repositorien in nennenswertem Umfang. Monographien und Sammelbände der Forschungsinstitute erscheinen in der Regel nicht im Open Access, d. h. lediglich als bibliographischer Vermerk mit Metadaten. An den Instituten verlegte wissenschaftliche Zeitschriften sind hingegen meist mit gleitender Schwelle (moving wall) über die großen Bibliothekskataloge und Datenbanken zugänglich.

Eine – im Vergleich zu deutschen Institutionen auffallende – Besonderheit universitärer Repositorien ist, dass sie die Gutachten der Qualifizierungsschriften jeweils gemeinsam mit diesen öffentlich zur Verfügung stellen, dies allerdings in aller Regel in tschechischer Sprache. Nahezu ohne Ausnahme verfügen die Hochschulschriften jedoch über englische oder deutsche Zusammenfassungen.

In der Slowakei haben die einzelnen Universitäten keine nennenswerten Repositorien aufgebaut, so dass hier ab dem Jahr 2011 ein zentrales vollwertiges Repositorium mit unmittelbar im entsprechenden Katalog hinterlegten eingereichten Abschluss- und Qualifikationsarbeiten entstand. Allerdings verzichtet das slowakische „Zentralregister für Abschluss- und Qualifikationsarbeiten“ (Centrálny register záverečných a kvalifikačných prác, CRZP) auf eine englische Benutzerführung und ist daher nur slowakischsprachigen Forschenden zu empfehlen, obwohl die Abschlussarbeiten wie üblich englische Abstracts aufweisen.

Die slowakische Akademie der Wissenschaften verfügt über ein zentrales Repositorium, das aber in der Benutzerführung eher dem bibliografischen Nachweis als der Bereitstellung von elektronischen Dokumenten dient. Da es außerdem nur in slowakischer Sprache beschrieben ist, empfiehlt sich eine Nutzung bisher nur eingeschränkt.

10. Digitales Kulturerbe

10.1 Virtuelle Sammlungen und Ausstellungen

Historische Quellen aller Art gehören zum kulturellen Erbe und werden von den entsprechenden virtuellen Portalen gesammelt. Mittlerweile ist die Vernetztheit nationaler digitaler Sammlungen mit dem europäischen Portal Europeana weit fortgeschritten. Das gilt auch für tschechische und slowakische Objekte eines digital verzeichneten kulturellen Erbes. Auch hier ist die Recherchetiefe einzelner institutioneller Datenbanken mitunter besser als diejenige europäischer oder internationaler Aggregatoren. Insbesondere slowakische Ressourcen werden aber mitunter durch die Metasuche übergreifender Portale besser als von landeseigenen Portalen erfasst.

Für historisch Forschende spielen in den Plattformen des digitalen kulturellen Erbes weniger die erfassten Texte eine Rolle, da diese in aller Regel in den jeweiligen digitalen Bibliotheken besser und vollständiger erfasst werden. Von Interesse sind vor allem digitale Sammlungen und virtuelle Ausstellungen, die von den einzelnen Institutionen kuratiert werden und eine fundierte Einführung in Fachthemen geben.

Slowakische Institutionen bieten mehrere Portale mit virtuellen kulturellen Objekten, aber auch Sammlungen an. Mit „Slovakiana“ existiert ein umfangreiches Portal für virtuelle Objekte und Ausstellungen, das jedoch nur teilweise auf Englisch zugänglich ist. Daneben besteht das „Web umenia“ (Netz der Kunst), in dem kunstgeschichtliche Digitalisate in verschiedenen Sammlungen und Ausstellungen online durchsuchbar sind. Auch das DIKDA-Portal bietet einige thematisch zusammengestellte Sammlungen digitaler Drucke an.

Ähnlich verfahren viele tschechische Angebote. Jede der digitalen Bibliotheken verfügt über bestimmte Sammlungen, die in der Regel jedoch nicht kuratiert sind. Spezielle virtuelle Ausstellungen bietet allerdings Manuscriptorium. Das Hauptportal für solche Ausstellungen ist jedoch eSbírky, das vom tschechischen Nationalmuseum verwaltet wird.

Auch das Angebot der Plattform Osmikon enthält einige speziell zusammengestellte Themendossiers aus der Ost-, Ostmittel- und Südosteuropaforschung. Neben digitalisierter Literatur umfassen diese auch Bibliografien sowie genuin digitale wissenschaftliche Artikel zum jeweiligen Thema.

10.2 Samizdat

Eine gesondert zu erwähnende Kategorie ist der tschechische und slowakische Samizdat, also die über nicht offizielle Kanäle verbreitete alternative, nicht systemkonforme, zumeist verbotene „Graue Literatur“, sowie die tschechische, slowakische, aber auch sudetendeutsche Exilliteratur. Dokumente aus diesem Themenbereich zeichnen sich dadurch aus, dass sie oft nicht unmittelbar an staatlichen Institutionen hinterlegt und bedingt dadurch meist weit verstreut sind. Als graue Literatur fehlt ihnen in der Regel grundsätzlich eine institutionelle Zuordnung. Zudem stellt die Digitalisierung von Samizdat-Texten eine besondere Herausforderung dar. Die Digitalisierung schafft jedoch zugleich neue Möglichkeiten die Bestände von Samizdat und Exil neu zugänglich zu machen.

In Deutschland gehört die Archivdatenbank der FSO Bremen, mit ihrer Sammlung zu den wichtigsten elektronischen Katalogen der tschechoslowakischem Exil- und Samizdat-Publikationen. Am Collegium Carolinum befinden sich wiederum digitalisierte Bestände aus der sudetendeutschen Exilpresse, die jedoch noch nicht online verfügbar sind.

Das Institut für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften verwaltet als Teil des Infrastrukturprojekts der „Tschechischen Literarischen Bibliographie“ sowohl einen elektronischen Katalog des tschechischen Samizdat als auch einen der tschechischen Exilliteratur. Diese Kataloge beruhen größtenteils auf den Sammlungen von scriptum.cz und „Libri prohibiti“, die beide digital jedoch nur eingeschränkt auf Englisch navigierbar sind. Eine weitere Quelle von digitalen Quelldokumenten aus Samizdat und Exilliteratur ist das „Tschechoslowakische Dokumentationszentrum“ (Československé dokumentační středisko). Publikationen des slowakischen Samizdat finden sich schließlich – allerdings ausschließlich auf Slowakisch – auf samizdat.sk.

11. Schlussbetrachtung

Ein Fazit über den Stand digitaler Ressourcen kann nur ein vorläufiges sein. In den nächsten Jahren ist mit drei Entwicklungen zu rechnen und auf sie zu hoffen: Zum einen wird sich die digitale Landschaft der Slowakei deutlich erweitern, falls die geplanten Infrastrukturprojekte umgesetzt werden. Zum anderen wird die hohe Qualität an digitalen Texten vor allem in Tschechien zur Implementation von Verfahren zur automatisierten Erfassung von Struktur und Semantik (wie Entitätserkennung/NER und Layout Recognition) führen, was seinerseits eine Tiefenerfassung von Daten und den Wandeln vom Textdigitalisat zur Datenbank vorantreiben könnte. Neue Portale werden hier nicht entstehen, wohl aber die bestehenden ausgebaut und konsolidiert. Schließlich ist insbesondere darauf zu hoffen, dass die grenzübergreifenden Bestände stärker auf standardisierte Weise zusammenwachsen, d. h. über den Zustand aggregierter Metadaten hinausreichen werden.

Literaturhinweise

Nagovnak, Katrin, Informationsressourcen für Slawisten, Berlin/Boston 2017.
Hladík, Radim, Digitální obrat v českých humanitních a sociálních vědách, Praha 2022.

Fußnoten

  1. [1] So letztens im Jahr 2018: Krzoska, Markus; Lichy, Kolja; Rometsch, Konstantin, Jenseits von Ostmitteleuropa? Zur Aporie einer deutschen Nischenforschung, in: Journal of Modern European History 16 (2018), S. 40–63. Siehe auch die daran anschließende Diskussion in den Folgeheften der Zeitschrift. Als kleine Einführung siehe auch: Hackmann, Jörg: Ostmitteleuropa. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/begriffe/ostmitteleuropa.
  2. [24] Die Freischaltung orientiert sich oft an historischen Zäsuren wie 1918, 1938, 1945/48.
  3. [28] Das Register beinhaltet auch einen nicht völlig aktuellen Überblick über digitale Bohemika außerhalb der Tschechischen Republik, d. h. konkret in der ÖNB und der BSB München.
  4. [29] Das betrifft allgemein die in DBIS verzeichneten Datenbanken des Instituts für tschechische Literatur (ucl.cas.cz), die mittlerweile über eine zentrale Infrastruktur bedient werden. Auch etwa die Bibliografia slovenskej historiografie ist leider nicht mehr aktuell.
  5. [35] Die laufenden Infrastrukturprojekte haben einen erkennbaren Schwerpunkt in den Bereichen Sozialwissenschaften, Linguistik, Literaturwissenschaft und Archäologie. Vgl. Roadmap of Large Research Infrastructures of the Czech Republic for the years 2016–2022,https://www.vyzkumne-infrastruktury.cz/en/social-sciences-and-humanities/.
  6. [55] Kramerius ist Open Source, der Quellcode kann betrachtet und weitergenutzt werden: https://github.com/ceskaexpedice.
  7. [57] Die verschiedenen Instanzen liefern daher leicht unterschiedliche Ergebnisse. Mitunter können auch Digitalisate in einer Instanz bereits im Open Access freigegeben, in einer anderen jedoch noch gesperrt sein.
  8. [93] Ähnlich verläuft die Entwicklung EU-geförderter Infrastrukturen wie CLARIAH.
  9. [96] LINDAT/CLARIAH-CZ, ÚFAL und CzADH decken sich personell weitgehend. In der Slowakei fehlt die Anbindung an die großen EU-geförderten Infrastrukturen bisher weitgehend, ist aber mittlerweile im Aufbau.

Johannes Gleixner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Collegium Carolinum in München. Dort ist er unter anderem zuständig für Digitale Geschichtswissenschaft und Infrastruktur. Er forscht und lehrt hauptsächlich zur Geschichte des Atheismus und Säkularismus sowie zur Währungsgeschichte in Ostmitteleuropa und insbesondere Tschechien im 20. Jahrhundert.

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Für Clio-online verfasst von:

Johannes Gleixner

Johannes Gleixner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Collegium Carolinum in München. Dort ist er unter anderem zuständig für Digitale Geschichtswissenschaft und Infrastruktur. Er forscht und lehrt hauptsächlich zur Geschichte des Atheismus und Säkularismus sowie zur Währungsgeschichte in Ostmitteleuropa und insbesondere Tschechien im 20. Jahrhundert.