Von Lexika, historischen Sachwörterbüchern und biografischen Nachschlagewerken zu historischen Informationssystemen
1. Einführung
Im alltäglichen Sprachgebrauch ist das Internet fast schon zu einem Synonym für ein, wenn nicht das Nachschlagewerk schlechthin geworden. Diese gesellschaftliche Relevanz des Netzes dürfte nicht zuletzt auch die Akzeptanz für die wissenschaftliche Nutzung durch HistorikerInnen gefördert haben. Suchmaschinen wie Google und Google Scholar oder eine universale Enzyklopädie wie Wikipedia, gleichsam die materialisierten – und im ersten Fall auch erfolgreich monetarisierten – Gatekeeper des Internets als Wissensraum, sind mittlerweile in der Praxis geschichtswissenschaftlichen Arbeitens regelmäßig genutzte Werkzeuge für eine erste Recherche nach Fakten und Informationen.[4] Neben diesem globalen und extrem heterogenen Wissensraum des Internets wird als Kern professionellen geschichtswissenschaftlichen ‚Nachschlagens´ weiterhin ein fachlich kontrollierter Publikationsraum herkömmlicher gedruckter wie retrodigitalisierter Nachschlagewerke genutzt, der in den letzten Jahren zudem durch einige neue, genuin digitale Dienste erweitert wurde.
Die Kenntnis der einschlägigen geschichtswissenschaftlichen Nachschlagewerke dieses kontrollierten Publikationsraums gehört zum handwerklichen Grundlagenwissen der HistorikerInnen. Ein Blick in das Bücherverzeichnis zur deutschen Geschichte von Winfried Baumgart oder die Einführung in das Geschichtsstudium von Stefan Jordan, zeigt, dass jeweils ein eigenes kleines Kapitel den Nachschlagewerken gewidmet ist.[5] Neben den klassischen Konversationslexika und großen Enzyklopädien werden dort in erster Linie sogenannte historische Sachwörterbücher und biografische Nachschlagewerke genannt, dazu kommen historische Sprach- und Begriffswörterbücher. Es geht bei diesem Genre im Kern also um das Finden von Informationen zu historischen Personen, Orten und Sachverhalten sowie zu Wörtern und Begriffen, deren Gebrauch und Verständnis sich im Laufe der Zeit veränderte. Für all diese Zwecke sind in den letzten anderthalb Jahrhunderten eine Reihe von Hilfsmitteln geschaffen worden.
Eine Reihe dieser Instrumente sind im Zeitalter des Digitalen bereits konvertiert worden und über das Netz nutzbar – ausgewählte Beispiele werden in Teil B vorgestellt. Durch die neuen Technologien beginnen sich jedoch auch die Instrumente selbst zu verändern. Kollaboratives Arbeiten, wie es am Beispiel von Wikipedia zu sehen ist, wäre ohne das Internet in seiner technischen wie sozialen Ausprägung nicht möglich. Ebenso die beginnende Verknüpfung verschiedener digitaler Ressourcen über Semantic Web-Technologien, die bereits in ersten historischen Informationssystemen realisiert wurde.
Im ersten Teil werden daher einleitend einige Trends skizziert, die den neuen digitalen Wissensraum historischer ‚Nachschlagewerke´ prägen (1.1) sowie institutionelle Akteure dieses Feldes genannt (1.2). In Teil B werden dann ausgewählte digital verfügbare Nachschlagewerke und Informationssysteme vorgestellt. Dabei wird der Fokus auf klassische Lexika und Enzyklopädien (2.1), historische Sachwörterbücher (2.2), historische Wörterbücher (2.3) sowie biografische Nachschlagewerke (2.4) und regionalhistorische Informationssysteme (2.5) gelegt. Da es eigene Clio-Guides zu Karten und zu Bild-, Ton- und Filmquellen gibt, werden geografische Informationssysteme (GIS) oder Hilfsmittel zur historischen Bildforschung nicht eigens thematisiert. Die aufgeführten Beispiele beziehen sich in der Regel auf die europäische Geschichte – mit Schwerpunkt Mitteleuropa – von der Mediaevistik bis zur Zeitgeschichte. Für die Alte Geschichte sei auf den einschlägigen Epochenguide verwiesen, für Nachschlagewerke zur Geschichte bestimmter Länder auf die regionalen Guides.
1.1 Geschichtswissenschaftliche Nachschlagewerke im Netz – Neue Entwicklungen und Diskussionen
Was hat sich nun in den letzten Jahren für die HistorikerInnen, die bei ihrer Forschungsarbeit nach Fakten und Informationen suchen, verändert? Sechs Trends seien kurz umrissen:
Erstens: Als ein primärer und nicht überraschender Trend kann zunächst einmal die digitale Konvertierung klassischer gedruckter Nachschlagewerke konstatiert werden. Das ist nichts anderes als die Überführung des klassischen Lesesaals in ein digitales Substitut. Da es sich hierbei überwiegend um Produkte kommerzieller Verlage handelt, bedeutet dies, dass es darauf keinen freien Zugriff gibt. Nur dort, wo Bibliotheken Lizenzen erworben haben, können Leser die digitalen Angebote nutzen.[6] Vielfach handelt es sich dabei um eine direkte Übertragung der gedruckten Vorlage in ein E-Book, in einigen Fällen wurde die Printversion als Basis genutzt, um eine aktualisierte und/oder erweiterte datenbankbasierte Ressource aufzulegen. Vor allem größere Verlage gehen dazu über, ihre eigenen Angebote untereinander zu verlinken, um auf diese Weise verlagseigene historische Informationssysteme anzubieten. Oxford Reference Online ist ein typisches Beispiel hierfür. Ältere urheberrechtsfreie Werke können häufig über die universalen Sammlungen retrodigitalisierter Bücher genutzt werden. Genannt seien nur Google Books, Hathi Trust, Europeana, Deutsche Digitale Bibliothek, Digital Public Library of America oder das Internet Archive.
Zweitens: Zugleich sind in den letzten Jahren neue, genuin digitale und oft frei zugängliche Angebote – meist im Rahmen drittmittelgeförderter Projekte – entstanden. Dies gilt vor allem für die Zeitgeschichte, wo mit Docupedia-Zeitgeschichte. Begriffe, Methoden und Debatten der zeithistorischen Forschung und der 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War zwei in ihrer Art herausragendere Beispiele entstanden sind.
Drittens: Es gibt einen Trend zum Aufbau komplexer historischer Informationssysteme, die auf miteinander vernetzten unterschiedlichen Ressourcen basieren. Möglich wurde dies durch die Anwendung von Konzepten des Semantic Web. Insbesondere Bibliotheken, aber auch Wikipedia und andere Anbieter haben begonnen, ihre Daten als Linked Open Data anzubieten. Mit dieser Technologie können Katalogdatensätze oder sogenannte Normdatensätze zu Personen, Geographica, Institutionen oder Schlagworten direkt im Netz über eine URL adressiert werden. Dasselbe gilt auch für Daten aus der Wikipedia oder aus anderen Ressourcen[16], wie zum Beispiel GeoNames. Damit ist es möglich, diese an sich voneinander unabhängigen Daten automatisiert miteinander zu verknüpfen. Culturegraph, eine von der Deutschen Nationalbibliothek betriebene Plattform, verfolgt explizit das „… Ziel, die Datenvernetzung im kulturellen Sektor voranzutreiben und verteilte, geschlossene Datenquellen zu öffnen und zu einem globalen Wissensnetz zu verknüpfen.“[19] Vor allem die Herausgeber historischer biografischer Nachschlagewerke haben sich in den letzten Jahren mit diesen Möglichkeiten beschäftigt, wie eine Reihe von Konferenzen gezeigt hat.[20] Dazu kommen einige komplexere regionalhistorische Informationssysteme, die in den letzten Jahren entstanden sind.[21] Einige HistorikerInnen gehen bereits davon aus, dass die Zukunft historischer Nachschlagewerke primär in solchen vernetzten Informationssystemen liegt.[22]
Viertens: Während diese konzeptionellen und medientechnischen Entwicklungen vor allem von Spezialisten betrieben wurden, in den letzten Jahren zunehmend im Kontext der Formierung der Digital Humanities, gab es ein Thema, das auch von einer breiteren Fachöffentlichkeit wahrgenommen wurde: Das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Wikipedia.[23] Der Erfolg der Wikipedia, die Tatsache, dass die Nutzung dieser Ressource für Studierende wie auch für etablierte HistorikerInnen selbstverständlich geworden ist, zwang die Fachcommunity dazu, sich damit auseinanderzusetzen. In den ersten Jahren überwog noch die Ablehnung. Wikipedia galt als nicht zitierfähig, den Studierenden war eine kritische Haltung dazu zu vermitteln. Peu à peu haben sich aber sowohl Wikipedia als auch die Haltung der HistorikerInnenzunft dazu etwas verändert. Bei der Wikipedia wurde eine Form redaktioneller Kontrolle der freiwilligen Beiträge eingerichtet; und insbesondere Roy Rosenzweig und Peter Haber, beide anerkannte Vertreter der digitalen Geschichtswissenschaft, haben sich für eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung des Faches mit dem Konzept von Wikipedia ausgesprochen.[24] Das heißt nun wiederum nicht, dass Wikipedia eine uneingeschränkt akzeptierte Ressource für wissenschaftlich arbeitende HistorikerInnen ist. Es bleiben zahlreiche problematische Aspekte, nicht zuletzt die einseitige Dominanz weißer, männlicher Autoren, die zum Beispiel für die englische Ausgabe der Wikipedia moniert wurde. Vor allem aber gibt es ein der Sache geschuldetes konzeptionelles Problem: die AutorInnen haben nicht die Hoheit über seinen eigenen Text, wie dies bei wissenschaftlichen Beiträgen üblich ist, sondern dieser kann immer wieder von anderen Beiträgern modifiziert werden. Auch wenn es durchaus etablierte HistorikerInnen gibt, die bei Wikipedia mitarbeiten, können sie ihre jeweiligen Artikel nie in derselben Form als eigene Publikationen zitieren wie bei herkömmlichen Veröffentlichungen. Docupedia-Zeitgeschichte hat sich zwar, wie der Name bereits signalisiert, von Wikipedia inspirieren lassen, ist aber als dezidiert für eine geschichtswissenschaftliche Fachöffentlichkeit geschaffenes Instrument einem klaren Konzept redaktioneller und auktorialer Verantwortung verpflichtet und hat nur die Option, Artikel durch die verantwortlichen Autoren und Autorinnen überarbeiten bzw. durch NutzerInnen kommentieren zu lassen.
Fünftens: Die Beispiele Wikipedia wie auch komplexerer historischer Informationssysteme zeigen, dass die Trennung zwischen dem kontrollierten Raum für geschichtswissenschaftliche Faktenrecherchen und dem amorphen Raum des Internets unscharf geworden ist. HistorikerInnen nutzen beide Räume und müssen selbst jeweils kritisch bewerten, welche Qualität die ermittelten Informationen aus dem Netz haben bzw. wie verlässlich die benutzte Ressource ist. Gerade im amorphen Raum des Internet sind in den letzten Jahren zahlreiche Websites von AmateurhistorikerInnen aufgebaut worden, die in unterschiedlicher Form historische Fakten sammeln und auf die man bei einschlägigen Recherchen über Suchmaschinen stößt. Auch im WebGuide von historicum.net werden zum Teil solche Websites erschlossen. Die Nutzung dieses Suchraums kann für wissenschaftliche Zwecke im Einzelfall sinnvoll sein, muss freilich immer kritisch geprüft werden. Mit Web 2.0-Konzepten dürfte dieser nichtwissenschaftliche Raum noch weiter expandieren. Schließlich gibt es nicht nur Wikipedia als kollaboratives Unternehmen. Historypin ist ein Beispiel für eine Plattform, die es erlaubt, zu Orten historische Bilder, Dokumente, Bild- oder Audiodateien zu verlinken, und die damit einen Typus geschaffen hat, der zwischen Nachschlagewerk und kontingenter Quellensammlung changiert. Man sollte freilich nicht übersehen, dass dieses Projekt auch von Google unterstützt wird. Freie, von vielen engagierten Beiträgern aufgebaute Datensammlungen können für verschiedene Zwecke genutzt werden – nicht zuletzt auch unter Umständen gewinnbringend von kommerziellen Suchmaschinenbetreibern.
Sechstens: Mit den Optionen von Big Data kann auch das ‚Nachschlagen´ nach Fakten und Informationen neue Formen und Qualitäten annehmen, da es hier nicht mehr um das Ermitteln einzelner Fakten durch einen individuellen Akteur geht, sondern die automatisierte Analyse vieler, in ihrer digitalen Form im optimalen Fall standardisiert aufbereiteter Daten, mit dem Ziel daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen.[28]
Mit dem Netz hat sich mithin auch die Recherche nach Fakten und Informationen für HistorikerInnen strukturell verändert. Er muss nicht nur den Kanon der Instrumente des kontrollierten Publikationsraumes, ob gedruckt oder digital, kennen, sondern zugleich auch ein Wissen darüber haben, wie das Internet als Wissensraum zu nutzen und zu bewerten ist; und darüber hinaus, welche Konzepte und Modelle komplexen, auf Semantic-Web-Technologien basierenden Informationssystemen zugrunde liegen. Auch die methodischen Implikationen gilt es zu bedenken. Normierte, miteinander verlinkte Daten ermöglichen zum Beispiel visuelle Aufbereitungen, nicht zuletzt bei der Darstellung von Personennetzwerken, wie sie vorher kaum möglich waren. Auch die Geschichtswissenschaft kann mithin stärker datenfokussiert werden als sie es bislang war. Man muss nicht gleich einen empirical turn prognostizieren, die mit Hilfe digitaler Methoden aber mögliche stärkere Auswertung großer Datenmengen muss auf alle Fälle in ihren Folgen für die geschichtswissenschaftliche Analyse und Darstellung reflektiert werden.
1.2 Institutionelle Akteure im Feld historischer Nachschlagewerke
Lässt man den Bereich der Verlage beiseite, so sind die Akteure im Feld der historischen Nachschlagewerke in der Regel Institutionen, die in der Lage sind, längerfristige, größere Projekte durchzuführen. Es sind also weniger einzelne HistorikerInnen und Lehrstühle, die einschlägige Ressourcen aufbauen und anbieten, sondern meist Institutionen, die umfassendere Forschungsprojekte betreiben, wie zum Beispiel Akademien der Wissenschaften; oder Einrichtungen, die als Infrastruktureinrichtungen für die Geschichtswissenschaft fungieren, wie Archive oder Bibliotheken. Es ist auch kein Zufall, dass gerade die Akademien, die bereits seit Jahrzehnten große Wörterbuchprojekte, wie zum Beispiel das Grimmsche Wörterbuch, durchführen, in diesem Feld besonders aktiv sind, wobei an erster Stelle die Berlin-Brandenburgische wie die Heidelberger Akademie der Wissenschaften – hier mit dem Wörterbuch-Portal – zu nennen sind. Für die digitale Aufbereitung historische Wörterbücher hat daneben vor allem das Trier Center for Digital Humanities mit seinem Wörterbuchnetz wichtige Grundlagenarbeiten geleistet. Wichtige Impulse kamen auch von der Bayerischen Staatsbibliothek, die seit Jahren an dem Portal Deutsche Biographie federführend beteiligt ist und dazu die Bayerische Landesbibliothek online initiiert hat.[33] Im Bereich der landes- und regionalhistorischen Informationssystemen sind es indes meistens die jeweiligen Staats- und Landesarchive bzw. Landesarchivdirektionen, je nachdem, wie in den Ländern das Archivwesen organisiert ist, die hier – oft in Kooperation mit Landesbibliotheken – aktiv sind. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die sich derzeit etablierenden Einrichtungen der Digital Humanities als weitere Akteure in diesem Feld tätig werden.
2. Digitale Nachschlagewerke
Wie findet man nun digitale geschichtswissenschaftliche Nachschlagewerke? Die meisten Universitätsbibliotheken bieten Fachinformationsseiten an mit Hinweisen und Links zu einschlägigen Datenbanken. In vielen Fällen basiert ein solches Angebot auf dem sogenannten Datenbank-Infosystem (DBIS), einem Katalog von Datenbanken, der gemeinsam von deutschen Staats- und Universitätsbibliotheken betrieben und an der Universitätsbibliothek Regensburg gehostet wird. Dabei ist zu beachten, dass in DBIS sowohl kommerzielle als auch frei zugängliche Datenbanken verzeichnet sind und jede lokale Bibliothek eigene Sichten auf das System einrichten kann. Das kann dann zum Beispiel bedeuten, dass kommerzielle Angebote, die vor Ort nicht verfügbar sind, bei dieser lokalen Sicht nicht aufgelistet werden. Wer also einen Überblick über das gesamte Angebot von DBIS haben will, zu dem freilich nicht nur Nachschlagewerke im engeren Sinne, sondern auch Fachbibliographien und Volltextdatenbanken gehören, muss eigens im Menü den Gesamtbestand auswählen.[35] Für die Geschichtswissenschaft sind das circa 1.700 Datenbanken. Wenn man nach thematisch spezifischeren Nachschlagewerken sucht, kann es darüber hinaus durchaus sinnvoll sein, einschlägige Hilfsmittel wie Handbücher und Bücherverzeichnisse zu nutzen und über Bibliothekskataloge und Suchmaschinen zu ermitteln, ob es von den dort gefundenen Titeln digitale Versionen gibt.[36]
2.1 Universale Enyzklopädien und Konversationslexika
Nicht erst mit Wikipedia haben HistorikerInnen für ihre Zwecke universale Nachschlagewerke genutzt. Auch die klassischen im 18. Jahrhundert begründeten großen Universalenzyklopädien und die im 19. Jahrhundert entstandenen Konversationslexika gehörten und gehören zum Werkzeugkoffer der HistorikerInnen. Der Begriff historische Nachschlagewerke hat in diesem Fall einen zweifachen Sinn. Die Lexika des 18. und 19. Jahrhunderts können zum einen als historische Quellen verstanden und genutzt werden; zugleich sind und bleiben sie durchaus auch Nachschlagewerke im engeren Sinne. Für aktuelle Ausgaben gilt dies ohnehin. Enzyklopädien und Konversationslexika des 18. und 19. Jahrhunderts sind in den letzten Jahren auch zunehmend in das Blickfeld der geisteswissenschaftlichen Forschung gerückt und retrodigitalisiert worden – ob als Ursache oder Folge dessen sei hier dahingestellt. Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, erschienen von 1731–1754, liegt nicht nur seit 2001 vollständig digital vor, sondern bietet mittlerweile auch eine systematische Übersicht aller Artikel. Digitale Versionen gibt es auch von der berühmten, von 1751–1780 erschienenen Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers von Denis Diderot und Jean d'Alembert. Wikisource bietet eine Transkription, ebenso das ARTFL Encyclopédie Project der University of Chicago, die Bibliotheca Gallica eine retrodigitalisierte Version. Zwei weitere mittlerweile digitalisierte enzyklopädische Großunternehmen des 18. bzw. der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind die von 1773 bis 1858 erschienene Ökonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- u. Landwirthschaft von Johann Georg Krünitz sowie die Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber, die ab 1818 in 168 Bänden erschien, aber nie abgeschlossen wurde. 1889 erschien der letzte Band, danach wurde das Unternehmen eingestellt.
Digitale Versionen gibt es auch von klassischen Konversationslexika wie Meyers Konversationslexikon, Brockhaus Conversationslexikon oder auch der Ausgabe der Encyclopedia Britannica von 1911 und anderen mehr. Umfangreiche Listen von Enzyklopädien und Lexika, auch mit Hinweis auf digital verfügbare Versionen, bieten das Projekt Allgemeinwissen und Gesellschaft. Enyzklopädien als Indikatoren für Veränderung der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen, Bildung und Information; ferner N-Zyklop oder Enzyklothek. Historische Nachschlagewerke von Peter Ketsch.
2.2 Historische Sachwörterbücher
Digitale Versionen gedruckter Sachwörterbücher
Den engeren Raum genuin geschichtswissenschaftlicher Nachschlagewerke betritt man mit den sogenannten historischen Sachwörterbüchern, die entweder epochal, regional, fachlich (also auf eine historische Teildisziplin bezogen) oder thematisch fokussiert sind. Die beiden klassischen Beispiele für epochale historische Sachwörterbücher der deutschen Geschichtswissenschaft sind das Lexikon des Mittelalters und die Enzyklopädie der Neuzeit, die beide als Verlagsprodukte vorliegen, damit aber nur über von Universitätsbibliotheken lizenzierte Zugänge auch in digitaler Form genutzt werden können.[52] Vergleichbare Angebote gibt es von angloamerikanischen Fachverlagen.[54] Dazu kommen regional, also auf ein Land eingegrenzte Nachschlagewerke, wobei Klassiker wie das von Gerhard Taddey herausgegebene Lexikon der deutschen Geschichte oder das Hilfswörterbuch für Historiker von Eugen Haberkern und Joseph Friedrich Wallach nicht in digitaler Form vorliegen.[55] Das gilt auch für Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, herausgegeben von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck.[56] Ein Beispiel dafür, dass, wie auch bei vielen thematisch spezifischeren Sachwörterbüchern, die über die klassischen Bücherverzeichnisse verzeichnet werden, der Raum der historischen Fakten und Informationen sich auch weiterhin noch in das Reich der gedruckten Bücher erstreckt.[57]
Ein klassisches Beispiel für ein Handwörterbuch zu einer historischen Teildisziplin stellt das Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte dar, das auch als digitale Verlagsausgabe verfügbar ist. Frei zugänglich ist, ob aus Verpflichtung gegenüber dem Thema sei dahingestellt, das Dictionary of the History of Ideas; ebenso, um noch ein Beispiel für ein thematisches Sachlexikon aus der Zeitgeschichte zu nennen, das FDGB-Lexikon.[60] Die digitale Version des FDGB-Lexikons ist zugänglich über die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Lizenzpflichtig ist wiederum die Encyclopaedia Judaica.
Die Beispiele gedruckter historischer Sachwörterbücher, zu denen mittlerweile E-Book-Versionen existieren, ließen sich noch deutlich vermehren. Gedruckte wie digitale Ausgaben unterschiedlicher historischer Sachlexika bieten insbesondere Verlage wie ABC-Clio, Brill, Cambridge University Press, Gale/Cengage, Oxford University Press oder Wiley-Blackwell. Das gilt auch für den Verlag De Gruyter Oldenbourg, dessen Enzyklopädie deutscher Geschichte mit fast 100 Einzelbänden auch als E-Books vorliegen, wobei hier trotz des Reihentitels bereits die Grenze zum Handbuch bzw. dem einführenden Textbook überschritten ist. Wer danach sucht, sei auf die klassischen Bücherverzeichnisse und die Kataloge der Universitätsbibliotheken verwiesen, die, wenn eine digitale Version lizenziert ist, diese auch verzeichnen.
Neben diesen neueren, größeren Verlagspublikationen gibt es im Netz eine Vielzahl von Nachschlagewerken zu spezifischen Themen und Sachverhalten, häufig, aber nicht immer auf der Grundlage gedruckter Vorläufer. Sofern es sich um ältere ‚Klassiker´ handelt, sind diese oft digital verfügbar. Vor allem die historischen Hilfswissenschaften sind mit einigen wichtigen Nachschlagewerken im Netz vertreten. So ist zum Beispiel der Grotefend, die Zeitrechnung des Deutschen Mittelalters und der Neuzeit von Hermann Grotefend in einer freien Netzversion zugänglich; ebenso ein weiterer Klassiker: Das Lexicon abbreviaturarum von Adriano Cappelli in der zweiten Auflage von 1928. Nur kostenpflichtig ist die moderne Variante AbbreviationesTM online - Medieval Abbreviations on the Web zugänglich.
Genuin digitale Sachwörterbücher
Parallel zur Überführung gedruckter Lexika sind auch genuin digitale Nachschlagewerke entstanden. Insbesondere für die Zeitgeschichte sind mehrere neue und substantielle Angebote zu nennen. An erster Stelle sei die bereits erwähnte Docupedia-Zeitgeschichte. Begriffe, Methoden und Debatten der zeithistorischen Forschung vorgestellt. Das Angebot umfasst über 120 Artikel mit im Schnitt circa 10–15 Druckseiten, die ein breites Themenspektrum abdecken, wobei die überwiegende Mehrzahl der Artikel, wie zum Beispiel zur Arbeitergeschichte, Didaktik der Geschichte oder Erinnerungskulturen einen breiten Fokus haben, während nur einige wenige sich einem ganz spezifischen Thema zuwenden.[74] Docupedia-Zeitgeschichte versteht sich als dynamisches Nachschlagewerk. Das heißt, dass neue Artikel kontinuierlich seit 2010 in das vorhandene Angebot aufgenommen wurden, dass aber existierende Beiträge auch aktualisiert werden können, so dass von einem Artikel mehrere Versionen vorliegen können, wobei allerdings Aktualisierungen bislang die Ausnahme darstellen.[75] Ob die Artikel also eine Momentaufnahme sind oder aber, wie die Herausgeber intendieren, „… den Wandel der theoretischen und methodischen Grundlagen des Fachs“ begleiten und fördern werden, bleibt noch abzuwarten.[76]
Als „virtual reference work“, als „a multi-perspective, public access-knowledge base” bezeichnet sich die seit Oktober 2014 zugängliche 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, und deutet mit diesen Formulierungen bereits an, dass das mediale Verständnis dieses Angebots digital orientiert ist, auch wenn man auf den klassischen Begriff der Enzyklopädie im Titel nicht verzichten wollte. Dass die Entstehung mit eine Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde, vermittelt eine Vorstellung von dem Anspruch dieses aus einem internationalen Projekt unter Federführung von Oliver Janz und Nicolas Apostolopoulos von der Freien Universität Berlin hervorgegangenen Produkts. Ähnlich wie bei der Docupedia-Zeitgeschichte werden die Artikel auch hier sukzessive publiziert. Angestrebt ist ein Volumen von 1.000 Beiträgen, über die Hälfte davon liegt schon vor. Alle Artikel können in verschiedenen Formaten genutzt werden: als PDF, EPUB oder für Kindle-Lesegeräte. Es gibt bei den einzelnen Beiträgen klassische Literaturhinweise, aber auch links zu Bildern oder externen Ressourcen, die von YouTube Videos bis zu Angeboten anderer thematischer Websites reichen. In medientechnischer Hinsicht stellt die Encyclopedia eines der anspruchsvollsten Projekte unter den digital verfügbaren geschichtswissenschaftlichen Nachschlagewerken dar. Es wird interessant sein, zu sehen, ob und wie in den nächsten Jahrzehnten die technische Basis dieses komplexen Systems kontinuierlich aktualisiert werden wird.
Nicht primär für die geschichtswissenschaftliche Nutzung, sondern für die Lehre in Colleges und Undergraduate Courses gedacht ist die Holocaust Encyclopedia des United States Holocaust Memorial Museum. Als Einstieg in das Thema ist das Werk gut geeignet, freilich von der Nutzerführung her insofern etwas schwierig, weil es nicht als eine eigenständige Online-Publikation gestaltet wurde, sondern integraler Bestandteil der Website des Museums selbst ist. Weitere Beispiele zu meist spezifischeren Themen oder mit einer medientechnisch weniger anspruchsvollen Präsentation zur Zeitgeschichte sind insbesondere bei den Guides zu Regionen wie dem Guide zur Zeitgeschichte genannt.
Natürlich gibt es auch eine Reihe neuer, genuin digitaler Sachwörterbücher zu spezifischen Themen. Ein klassisches Sachlexikon in digitalem Gewand ist die Encyclopedia of Marxism. Dass die Wikitechnologie gut nachgenutzt werden kann, um ein Sachwörterbuch aufzubauen, zeigt die Gothaer Illuminaten-Enzyklopädie Online. Visual History. Online-Nachschlagewerk für die historische Bildforschung ist ein Beispiel dafür, wie ein Nachschlagewerk formal an der Grenze zu einer thematischen Website, einem virtual reference archive oder einem Blog, je nach Perspektive, konzipiert ist.[82] So integriert Visual History auch Dokumente aus anderen Sites, zum Beispiel aus der Zeitschrift Zeitgeschichte-online. Und natürlich wurden auch für die historischen Hilfswissenschaften praktische digitale Instrumente entwickelt, so zum Beispiel für die frühneuzeitliche Numismatik The Marteau Early 18th-Century Currency Converter, der auch ein kleines Money-Dictionary umfasst. Mit der Wasserzeichenkartei Piccard und dem Wasserzeichen-Informationssystem liegen Werkzeuge zur Identifizierung und Datierung von Papier vor. Und auch für mittelalterliche Pilgerzeichen, um noch ein Beispiel für ein spezialisiertes Thema anzuführen, gibt es mittlerweile eine Pilgerzeichendatenbank
2.3 Historische Wörterbücher
Wie geschaffen für Datenbanksysteme sind historische Wörterbücher, die nicht nur für PhilologInnen, sondern auch für HistorikerInnen unverzichtbar sind. Ein zentrales Projekt für Mediävisten ist das Mittelhochdeutsche Wörterbuch, das von den Akademien der Wissenschaften in Mainz und Göttingen organisiert wird, sich freilich derzeit noch im Aufbau befindet. Bis zu seinem Abschluss müssen daher die am Trier Center for Digital Humanities digitalisierten älteren mittelhochdeutschen Wörterbücher im Verbund genutzt werden. Für das Neuhochdeutsche ist neben dem zentralen Grundlagenwerk, dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm auch noch das von 1774 bis 1786 erschienene Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart von Johann Christoph Adelung von Belang.
Für mittelalterliches Latein kann das ältere Standardwerk Glossarium ad scriptores mediae et infimae latinitatis von Charles du Fresne du Cange, genutzt werden. Mehrere der verschiedenen Auflagen liegen auch als Retrodigitalisat in unterschiedlichen Formen vor.
Nur an wenigen Universitäten ist das mehrere ältere und neuere lateinische Wörterbücher integrierende Produkt Database of Latin Dictionaries des Verlags Brepols lizenziert, das auch das Glossarium von Du Cange enthält. Am einfachsten zu nutzen ist das Angebot der Mannheimer Texte Online. Ein weiteres Digitalisate bietet die Bibliotheca Gallica der französischen Nationalbibliothek.
Nur eingeschränkt freien Zugriff erlauben Lexicons of Early Modern English, eine Metasuche über circa 100 frühneuzeitliche englische Wörterbücher. Immerhin gibt es eine freie digitale Version des Middle English Dictionary über das Middle English Compendium, das an der University of Michigan aufgelegt wurde. Für das Altfranzösische kann die digitale Ausgabe des Dictionnaire Étymologique de l’Ancien Francais genutzt werden.
Mit dem Wörterbuchportal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit der Heidelberger Akademie sowie dem Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities gibt es auch zwei Einstiegsportale mit Verweisen auf weitere Ressourcen. Das Wörterbuchportal bietet eine Übersicht über einschlägige Projekte sowie eine Metasuche für einige ausgewählte Wörterbücher, die aber seit 2008 nicht mehr aktualisiert wurde. Umfassender und aktueller ist die Metasuche des Trierer Wörterbuchnetzes, das vom Anspruch her auch weitergeht.[101]
2.4 Biografische Nachschlagewerke
Bei den biografischen Nachschlagewerken dürfte das Netz mittlerweile die Recherche in den gedruckten Bänden weitgehend verdrängt haben. Große nationalbiografische Lexika gibt es für fast alle Länder. Eine Übersicht über die wichtigsten digital zugänglichen biographischen Nachschlagewerke gibt DBIS unter der Rubrik Allgemeines / Biographische Datenbank. Das in Deutschland über eine Nationallizenz zugängliche World Biographical Information System des Verlags K.G. Saur bietet einen ersten Einstieg, da es viele ältere gedruckte Nachschlagewerke auf der Basis einer früheren Mikrofichepublikation digitalisiert hat. Ein Gesamtregister für Personen der deutschen, österreichischen und schweizerischen Geschichte, das im Wesentlichen auf der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB), der Neuen Deutschen Biographie (NDB), dem Österreichischen Biographischen Lexikon 1815–1950, dem Historischen Lexikon der Schweiz und zwei deutschen regionalhistorischen Personendatenbanken beruht, ist über das Biographie-Portal zugänglich. Trotz dieses Gesamtregisters ist indes für HistorikerInnen, die sich mit Themen deutscher Geschichte beschäftigen und biografische Daten benötigen, das Portal die Deutsche Biographie aufgrund seiner technisch avancierteren Optionen der zentrale und einschlägige Suchort. Auf der Grundlage der Artikel der Neuen Deutschen Biographie und der Allgemeinen Deutschen Biographie werden Informationen zu circa 130.000 Personen des deutschsprachigen Raums angeboten. Dazu kommt, dass über Normdaten Verlinkungen zu weiteren Nachschlagewerken, Nachlass- oder Bilddatenbanken verwirklicht wurden. Auf diesem Weg konnten Angebote des Bundesarchivs, des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, des Bildarchivs Foto Marburg, des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg oder des Deutschen Rundfunkarchivs integriert werden. Weitere Vernetzungen sind geplant. So gibt es zum Beispiel in den Artikeln Links zu Angaben aus anderen digitalen Nachschlagewerken, oder auch Porträtdatenbanken, wie DIGIPORTA, und anderen mehr. Das Portal Deutsche Biographie ist mithin mehr als ein Nachschlagewerk, es ist ein komplexes, vernetztes biografisches Informationssystem. Über das Portal und die Liste der dort vernetzten Angebote lassen sich auch rasch weitere spezifische Online-Angebote finden. Weitere biographische Datenbanken gibt es insbesondere zur Regionalgeschichte; unter anderem für Niedersachsen, Ostfriesland, das Rheinland, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen.
Während mit Hilfe öffentlicher Projektförderung in Deutschland ein umfassendes, frei zugängliches Portal entstanden ist, das von öffentlichen Infrastruktureinrichtungen getragen wird, sind derzeit die großen nationalen biografischen Nachschlagewerke Großbritanniens oder der USA, das Oxford Dictionary of National Biography oder die American National Biography Online nur als Verlagsprodukte gegen eine Lizenzierung bei Oxford University Press zugänglich. Immerhin gibt es die erste Auflage des von 1885 bis 1900 erschienenen Dictionary of National Biography in digitaler Form über das Internet Archive.
Neben diesen umfassenden regionalen biografischen Lexika gibt es auch viele Datenbanken mit biografischen Erschließungen für spezifische geschichtswissenschaftliche Themen und Fragestellungen. Als mediävistisches Beispiel sei das Repertorium Academicum Germanicum genannt, das Informationen zu Gelehrten des Alten Reichs zwischen 1250 und 1550 erschließt.[117]Professoren- und Gelehrtenverzeichnisse finden sich, ebenso Datenbanken zu Parlamentsabgeordneten oder anderen einzelnen politischen und sozialen Gruppen.[118] Als Beispiele seien genannt: Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten; Funktionseliten in Mecklenburg-Vorpommern von 1945–1952 und die Deutsche Auswanderer-Datenbank. Eigens erwähnt sei noch The Central Database of Shoah Victim’s Names. Bezeichnend für die Entwicklung im digitalen Raum ist, dass biografische Nachschlagewerke zunehmend ergänzt werden durch biografische Bilddatenbanken, unabhängig davon, ob diese direkt mit entsprechenden Artikeln verlinkt sind oder nicht. Neben dem bereits genannten DIGIPORTA sei auf den Digitalen Portraitindex der druckgraphischen Bildnisse der Frühen Neuzeit hingewiesen.
2.5 Regionalhistorische Nachschlagewerke und Informationssysteme
Der Stellenwert regionalhistorischer Informationssysteme drückt sich auch in der seit 2007 existierenden Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Portale zur Regionalgeschichte und Landeskunde aus. Dass sie auf eine Initiative der Bayerischen Staatsbibliothek und des Internet-Portals Westfälische Geschichte zurückgeht, kommt nicht von ungefähr. Denn 1999 konzipiert und seit 2002 online stand die Bayerische Landesbibliothek Online. Das Portal zu Geschichte und Kultur des Freistaats am Beginn eines Trends zu regionalhistorischen Informationssystemen. Begonnen wurde hier mit einer Integration der Daten aus dem Historischen Atlas von Bayern, der Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, den Protokollen des Bayerischen Landtags, der Regensburger Porträtgalerie und einer Auswahl historischer Karten der Bayerischen Staatsbibliothek. Im Laufe der Jahre wurden weitere Quellenbestände und Bilddatenbanken integriert und vor allem als Kern ein neues Historisches Lexikon Bayerns aufgebaut, das über 700 Beiträge umfasst. Mittlerweile gibt es zu einer Reihe von Bundesländern und Regionen vergleichbare historische Informationssysteme. Unter dem Namen LEO-BW. Landeskunde entdecken online gibt es seit 2012 das Landeskundliche Informationssystem Baden-Württemberg; dazu kommen das Landesgeschichtliche Informationssystem Hessen (LAGIS), das Portal Rheinische Geschichte, das Informationsnetzwerk zur Geschichte des Rhein-Maas Raums (RM.net), das Internet-Portal Westfälische Geschichte, HamburgWissen digital sowie Sachsen.digital. Das Portal zur Geschichte, Kultur und Landeskunde Sachsens. So unterschiedlich sie im Detail sein mögen, so sehr ähneln sie sich meist in ihrem konzeptionellen Kern. Den Nucleus bilden Informationsressourcen zu Orten und Personen, also Informationen und Artikel dazu, die miteinander vernetzt sind, oft noch Links auf andere Medienformen beinhalten können wie Karten oder Bilder, aber auch digitalisierte Quellen oder bibliographische Informationen integrieren. Nicht selten wird dabei auf ältere gedruckte Nachschlagewerke und Bibliographien zurückgegriffen, zum Teil auch auf genuine Datenbankangebote, die parallel oder mit einem kurzen Vorlauf zu den regionalhistorischen Informationssystemen aufgebaut wurden bzw. werden. Bei Sachsen.digital bildet zum Beispiel das Historische Ortsverzeichnis, das 1957 und 2006 als gedruckte Ausgabe erschien, 2008 als Datenbank, eine zentrale Basis. Dazu kommt die Sächsische Biografie, die seit 1999 als reines Online-Angebot vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. in Dresden aufgebaut wurde sowie die Sächsische Bibliografie, ursprünglich eine klassische gedruckte landeskundliche Bibliografie, die seit 1992 als Datenbank weitergeführt wird und das Kartenforum Sachsen, ein Digitalisierungsprojekt der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden.
Man sollte diese landes- oder regionalhistorischen Informationssysteme nicht mit den Portalen digitalisierter Kulturgüter verwechseln, wie es sie zum Beispiel in Thüringen mit digitales thüringen. Das Portal zur kulturellen Überlieferung Thüringens oder in Niedersachsen mit Kulturerbe Niedersachsen gibt, da hier der Fokus auf der Präsentation von Objekten und Quellen liegt, nicht auf der redaktionell aufbereiteten historischen Information.
Neben diesen komplexeren regionalhistorischen Informationssystemen gibt es für die Landesgeschichte, die Geschichte Österreichs oder der Schweiz noch eine Fülle weiterer, einzelner Ressourcen, zum Teil als Parallelangebote zu gedruckten Lexika, zum Teil als neu aufgebaute genuine digitale Nachschlagewerke. An der Universität Oldenburg wird ein Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa angeboten. Als Beispiel für ein thematisch umfassendes regionales Nachschlagewerk sei das Historische Lexikon der Schweiz genannt, das freilich bis 2017 auch zu einem historischen Informationssystem ausgebaut werden soll.[144] Für Österreich gibt es mit dem Austria-Forum bereits seit einigen Jahren ein entsprechendes Angebot. In den letzten Jahren sind auch eine Reihe regionaler historischer Klosterlexika entstanden, so zum Beispiel zu Bayern oder Baden-Württemberg. Stadtlexika sind ein weiteres Feld der Landesgeschichte, wobei hier die Qualität sehr unterschiedlich sein kann. Als Beispiele seien genannt: Augsburger Stadtlexikon online; Erlanger Stadtlexikon; HamburgWissen digital; Stadtlexikon Nürnberg. Generell gilt für die meisten regionalhistorischen Angebote, dass sie für eine breitere, historisch interessierte Öffentlichkeit gedacht sind, wobei die freie digitale Zugänglichkeit diese Tendenz noch verstärkt haben dürfte.
3. Fazit
Für Nachschlagewerke als Hilfsmittel zur Recherche nach Fakten und Informationen scheinen vernetzte digitale Medientechnologien geradezu prädestiniert zu sein. Und die ersten historischen Informationssysteme wie die Deutsche Biographie oder die verschiedenen landeshistorischen Informationssysteme verbunden mit Entwicklungen im Bereich des Semantic Web, insbesondere der Linked Open Data-Standard sowie Versuche von Einrichtungen wie den Nationalbibliotheken und anderen Anbietern, auf dieser Grundlage umfassende Angebote ihrer Norm- und Titeldaten zu erstellen, dokumentieren einen Trend zu offenen Systemen, die automatisiert Daten und Informationen miteinander verknüpfen. In Zukunft wäre also ein Informationsraum für historische Fakten vorstellbar, der zwar aus vielen Quellen gespeist würde, aber für HistorikerInnen einen oder wenige zentrale Anlaufpunkte für seine Fragen böte bzw. ihn zumindest zu den für seine Fragestellung relevanten spezifischen Ressourcen führen würde. Ein solches System setzt freilich eine komplexe organisatorische wie technische Infrastruktur voraus, die es zu schaffen und zu pflegen gilt; und die vor allem methodische und inhaltliche Verlässlichkeit gewährleisten muss, wofür bei traditionellen Lexika bislang Herausgeber und Verlag bürgten. Gerade die technische Komplexität manch neuer, genuin digitaler Ressourcen stellt auch die Frage, wie hoch der Aufwand sein wird, um sie auf Dauer zu unterhalten und die nötigen softwaretechnischen Updates durchzuführen.
Die Realität in der Gegenwart besteht für fakten- und informationssuchenden HistorikerInnen jedenfalls in einer Gemengelage. Der digitale Raum geschichtswissenschaftlicher Nachschlagewerke ist zerklüftet. Folgende Typen lassen sich erkennen: 1. Digitale Versionen gedruckter Lexika, die entweder als kostenpflichtiges E-Book über Universitätsbibliotheken genutzt werden können, oder, bei älteren, nicht mehr dem Urheberrecht unterliegenden Werken, über frei zugängliche Retrodigitalisate. 2. Neue, genuin digitale Ressourcen zu einzelnen Themen, Regionen oder Personengruppen. 3. Komplexe historische Informationssysteme.
Derzeit handelt es sich bei dem Gros der digital zugänglichen Hilfsmittel noch um E-Books von Wissenschaftsverlagen, also um digitale Parallelausgaben zu den gedruckten und in den Lesesälen der Bibliotheken vorhandenen Werken. Die Inhalte dieser E-Book-Versionen sind meist auch noch nicht miteinander vernetzt. Allenfalls die Produkte eines Verlages sind durch diesen in ein umfassenderes, verlagsspezifisches Informationssystem einbezogen, das er separat zu vermarkten versucht.
Zugleich gibt es aber auch bereits eine Fülle frei zugänglicher retrodigitalisierter Ressourcen, wofür insbesondere die großen Enzyklopädien des 18. und frühen 19. Jahrhunderts prototypisch stehen. Über die gängigen digitalen Bibliotheken, wie Deutsche Digitale Bibliothek, Europeana, Digital Public Library of America, Hathi Trust oder Internet Archive sowie Google Books lassen sich zudem auch weitere Beispiele retrodigitalisierter historischer Fachlexika finden.
Dazu kommen eindrucksvolle Beispiele neuer genuin digitaler Ressourcen wie zum Beispiel von 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War oder historischer Informationssysteme wie bei dem Portal Deutsche Biographie. Und bei aller kritischen Distanz sollte man nicht unerwähnt lassen, dass die Nutzung von Wikipedia oder anderen Ressourcen, die nicht zu einem geschichtswissenschaftlichen Wissensraum im eigentlichen Sinne gehören, im Alltag der Recherchearbeit durchaus eine Rolle spielt. Letztlich sollte auch nicht übersehen werden, dass es immer noch zahlreiche spezifische historische Lexika nur in Buchform gibt – die Geschichtlichen Grundbegriffe sind nur eines der prominentesten Beispiele.
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Dr. Wilfried Enderle ist Fachreferent für Geschichte und Koordinator der Abteilung Informations- und Literaturversorgung Geistes- und Gesellschaftswissenschaften (wiss. Fachreferate) an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.
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