Unternehmensgeschichte bearbeitet ein globales Phänomen und wird entsprechend international betrieben.[1] Dass Unternehmen ganz wesentlich die Entwicklung moderner Gesellschaften prägen, hat sich mittlerweile auch in der deutschen Forschungslandschaft deutlich niedergeschlagen. Teils war dafür eine Konjunktur verantwortlich, deren Ausläufer immer noch zu beobachten sind, nämlich die Auftragsforschung über das Verhalten von Großunternehmen im „Dritten Reich“, die sich auch außerwissenschaftlichen Anstößen verdankte und für großes mediales Interesse sorgte.[2] Teils handelte es sich bei der allmählichen Institutionalisierung aber auch um einen Anschluss an internationale Trends, der vor allem an einigen wirtschaftshistorischen Lehrstühlen vorangetrieben wurde.[3] Letzten Endes förderte beides die wissenschaftliche Unabhängigkeit der deutschen Unternehmenshistoriografie, nachdem diese lange Zeit stark durch unternehmensfinanzierte Festschriften mit geringem Interesse an methodischer und theoretischer Reflexion geprägt war.
Nicht nur die großen NS-Projekte, die oft an zeithistorischen Lehrstühlen angesiedelt waren, sondern auch die zunehmende Forschung zu den wirtschaftlichen Strukturproblemen der 1970er-Jahre und nicht zuletzt die aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrisen machten Unternehmensgeschichte für „Allgemeinhistoriker:innen“ interessanter. Ob diese Aufmerksamkeit von Dauer ist und wie weit sie in die Tiefe geht, bleibt abzuwarten, aber die Existenzberechtigung dürfte mittlerweile auch außerhalb der wirtschaftshistorischen Community unbestritten sein.
Unternehmensgeschichte bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für andere Subdisziplinen von der Sozial- und Geschlechter- bis zur Technik- und Umweltgeschichte.[4] Die unternehmenshistorische Forschungslandschaft hat sich entsprechend ausdifferenziert. Neben die Erforschung von bürokratischen Großunternehmen ist die Beschäftigung mit Familienunternehmen getreten, neben die Analyse von Strukturen und Strategien in der Tradition Alfred D. Chandlers die Arbeit mit machtsoziologischen oder unternehmenskulturellen Ansätzen, neben den klassischen Arbeitsfeldern der industriellen Produktion und der Unternehmensorganisation wird über Marketing oder Dienstleistungsunternehmen geforscht. Unternehmerbiografien werden teils auch heute noch als Heldengeschichten erzählt, haben inzwischen aber vor allem ihr analytisches Potenzial für Analysen der Corporate Governance oder unternehmerischer Netzwerke gezeigt. Unternehmen können also aus verschiedenen Perspektiven als arbeitsteilige Organisationen analysiert werden, in denen sich Entscheidungen erst aus der mehr oder minder konflikthaften Interaktion von Eigentümern, Beschäftigten auf verschiedenen Hierarchieebenen und anderen Beteiligten ergeben.
Dabei muss es auch kommerziellen Festschriften, die nach wie vor einen erheblichen Teil der Fachliteratur stellen, keineswegs an empirischem Gehalt und, wie einige neuere Jubiläumsschriften zeigen, auch nicht immer an Theoriebezug fehlen. Auf ein pragmatisches Verhältnis zur wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Theorie wird auch die im engeren Sinne wissenschaftliche Unternehmensgeschichte nicht verzichten können. Im Interesse des Dialogs mit der allgemeinen Gesellschaftsgeschichte wäre dabei eine einseitige Ausrichtung auf die Wirtschaftswissenschaften eher hinderlich, eine starke Aufgeschlossenheit für die Sozialwissenschaften besonders begrüßenswert. Doch darf nicht aus dem Blick geraten, dass Unternehmen nun einmal Organisationen sind, die bei aller gesellschaftlichen Einbettung doch ganz spezifischen ökonomischen Zwecken dienen. Gerade das Spannungsverhältnis zwischen dem „ökonomischen Kern“ des Unternehmens und der Komplexität seiner Umwelt, das von realen historischen Akteuren bewältigt werden muss, macht zum guten Teil den Reiz der Unternehmensgeschichte aus.
Sichtbarkeit nach außen und Kommunikation innerhalb der Unternehmensgeschichte werden wesentlich durch Fachvereinigungen hergestellt, die neben der Veranstaltung von Konferenzen und der Herausgabe von Buchreihen und Zeitschriften oft auch Preise und Stipendien vergeben und nicht zuletzt wichtig sind für die Bereitstellung von Online-Ressourcen. Die älteste Fachorganisation für Unternehmensgeschichte ist die 1954 in den USA gegründete Business History Conference (BHC); 1975 kam mit der Economic and Business Historical Society (EBHS) eine konkurrierende Organisation hinzu. Seit einigen Jahren existiert außerdem eine Canadian Bussiness Association. In Großbritannien, wo die Institutionalisierung von Lehre, Forschung und Archivwesen ebenfalls relativ früh, nämlich in den späten 1950er-Jahren begann, gründete sich erst 1990 die Association of Business Historians (ABH). Für Deutschland ist als wichtigste Fachvereinigung die 1976 gegründete Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) zu nennen, die diverse thematisch spezialisierte Arbeitskreise unterhält, Symposien und öffentliche Vortragsveranstaltungen anbietet. Die GUG wird wesentlich durch Mitgliedsbeiträge von Unternehmen finanziert und weist insofern einen starken Praxisbezug auf, als sie den Aufbau von Unternehmensarchiven unterstützt und Studien im Auftrag von Unternehmen verfassen lässt. Die Gesellschaft steht jedoch seit geraumer Zeit auch für die wissenschaftliche Unabhängigkeit solcher Auftragsprojekte; das wissenschaftliche Niveau demonstrieren die hauseigene „Zeitschrift für Unternehmensgeschichte“[10] und nicht zuletzt ein wissenschaftlicher Beirat aus Lehrstuhlinhaber*innen. Der 1989 noch in bewusster Distanzierung zur Festschriftentradition gegründete Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte (AKKU) hat dadurch aber keineswegs seine Existenzberechtigung verloren, sondern fungiert mit Anspruch auf theoretische Reflexion und Interdisziplinarität insbesondere als Nachwuchsforum. Als europäisches Forum für die Unternehmensgeschichte hat sich die 1994 gegründete European Business History Association (EBHA) etabliert. Sie stand von Beginn an offen für Unternehmenshistoriker:innen aus anderen Weltregionen und unterstützte maßgeblich die verschiedenen, u.a. aus Japan, Südkorea, Lateinamerika und Südafrika kommenden Initiativen zur Gründung einer World Business History Conference (WBHC), die im Frühjahr 2014 ihren ersten Kongress in Frankfurt am Main abhielt.
In Deutschland, Österreich und der Schweiz werden Forschung und Lehre zur Unternehmensgeschichte vor allem von einigen Lehrstühlen für Wirtschafts- und Sozialgeschichte gepflegt. In anderen Ländern existieren teils traditionsreiche, teils neuere eigenständige Fachzentren. Die wohl bekannteste amerikanische Business School, an der Business History einen hohen Stellenwert einnimmt, ist die Harvard Business School, wo 1927 die erste Professur des Fachs eingerichtet wurde. Die Bedeutung der akademischen Lehre kommt nicht zuletzt in einem dort herausgegebenen „Guide to Business History Courses Worldwide“[15] zum Ausdruck, der auf über 1.200 Seiten das internationale Lehrangebot dokumentiert. Auch in Großbritannien gibt es spezielle Forschungszentren wie das Centre for Business History in Scotland und das Centre for International Business History an der Henley Business School der Universität Reading. In Skandinavien sind an einigen Universitäten ebenfalls unternehmensgeschichtliche Lehr- und Forschungszentren entstanden. Relativ große Centres for Business History unterhalten die Copenhagen Business School und die Norwegian School of Management in Oslo; auf eine längere Tradition zurückblicken kann außerdem das Institute for Economic and Business History Research der Stockholm School of Economics.
Ein eigenständiges, über die Homepages der oben genannten Institutionen hinausgehendes Internetportal existiert bislang weder für die deutsche noch für die internationale Unternehmensgeschichte. Neben den bekannten Verbundkatalogen der Bibliotheken oder dem Karlsruher Virtuellen Katalog verschlagwortet das Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (ZBW) in Verbindung mit der EconBiz-Datenbank umfangreiche Bestände auch an unternehmenshistorischer Literatur. Auf der historischen Seite ist insbesondere auf die Angebote des Fachinformationsdienstes Geschichtswissenschaft hinzuweisen.
Eine sehr umfangreiche Sammlung von Links zu digital verfügbaren Forschungsressourcen bietet die amerikanische BHC auf ihrer Website unter der Rubrik „Teaching and Research Resources“ an. Diese bietet u.a. Informationen über Preise und Stipendien, Institutionen, Mailinglisten und Blogs, Fachzeitschriften und Zeitungen, Buchreihen, Datenbanken, Research Tools (etwa Software zum Aufbau elektronischer Forschungsumgebungen), audiovisuelle Materialien, digitale Texte, Web-Ausstellungen und Working-Paper-Serien. Der Schwerpunkt der hier gelisteten Angebote liegt auf den USA, sie gehen aber weit darüber hinaus.
Viele Großunternehmen verfügen heute über ein professionelles historisches Archiv, in dem Geschäfts- und Lageberichte, Sitzungsprotokolle der Unternehmensgremien, Konzeptionen, Vermerke und Schriftwechsel des Führungspersonals sowie zahlreiche weitere Primärquellen zu finden sind. Selbstverständlich ist die Existenz solcher Einrichtungen aber keineswegs – von einem uneingeschränkten Zugang für unabhängige Historiker:innen, wie er für öffentliche Archive (von Sperrfristen und Auflagen des Persönlichkeitsschutzes einmal abgesehen) charakteristisch ist, ganz zu schweigen. Diese Probleme betreffen insbesondere kleinere Unternehmen, in denen meist schon aus Kostengründen auf die Unterhaltung regelrechter Archive verzichtet werden muss.
Die wichtigste Anlaufstelle für die Erforschung nicht mehr existierender Unternehmen sind in der Bundesrepublik die regionalen Wirtschaftsarchive, die gewöhnlich von Industrie- und Handelskammern getragen werden und der Wissenschaft in ähnlicher Weise freien Zugang gewähren wie staatliche oder kommunale Archive. Neben den Hinterlassenschaften regionaler Unternehmen verwahren sie auch historisches Material von Wirtschaftsverbänden, Pressedokumentationen oder persönliche Nachlässe. Wichtige unternehmenshistorische Quellen finden sich teils auch in Staats- und Kommunalarchiven. Das gilt vor allem für die neuen Bundesländer, wo zusammen mit den Akten Volkseigener Betriebe zahlreiche Bestände aus der Zeit bis 1945 an die DDR-Bezirksarchive oder die heutigen Staatsarchive abgegeben wurden. Auch das Bundesarchiv Berlin verwahrt eine Reihe teils umfangreicher Bestände von Unternehmen, die nach 1945 auf SBZ/DDR-Territorium enteignet wurden.
Den einfachsten Online-Zugriff auf staatliche und kommunale Archive ermöglicht das Portal der Deutschen Digitalen Bibliothek, die diese Funktion mittlerweile von der Archivschule Marburg übernommen hat. Dieses Portal bietet aber auch eine nach Regionen, Branchen und Unternehmen gegliederte Sammlung von Links zu Wirtschafts- und Unternehmensarchiven. Die dort verzeichneten Homepages der regionalen Wirtschaftsarchive in Berlin, Hohenheim, München, Darmstadt, Köln, Leipzig, Dortmund, Wolfenbüttel und Hanstedt enthalten Bestandsübersichten, teils auch ausführliche Bestandsbeschreibungen oder elektronische Findbücher mit entsprechenden Suchmasken. Häufig finden sich hier zudem historische Basisinformationen zu den entsprechenden Unternehmen, Kammern oder Personen, gelegentlich auch Bildmaterial. Vielfach bieten die Bestandsbeschreibungen auch Literaturhinweise zu den verwahrten Beständen. Ein überregionales Branchenarchiv ist das Bochumer Bergbau-Archiv, das als Teil des Montanhistorischen Dokumentationszentrums „montan.dok“ beim Deutschen Bergbau-Museum auf innovative und benutzerfreundliche Weise mit dessen Bibliotheks- und Sammlungsbeständen vernetzt ist.
Für Unternehmenshistoriker:innen, die sich insbesondere für die Geschichte der Arbeit und – damit eng zusammenhängend – der alten und neuen sozialen Bewegungen interessieren, sind drei weitere Archivzentren von Belang. Das Archiv für soziale Bewegungen in Bochum verwahrt nicht nur Bestände von Gewerkschaften, sondern auch von Betriebsräten und Arbeitsdirektoren. Das International Institute of Social History (IISH) in Amsterdam arbeitet eng mit dem Nederlandsch Economisch-Historisch Archief (NEHA) zusammen, in dem die Unterlagen zahlreicher niederländischer Handelsgesellschaften und Industrieunternehmen aufbewahrt werden, und bietet über die eigene Homepage komfortable Recherchemöglichkeiten im gemeinsamen Online-Katalog an. Außerdem stellt es Virtuelle Ausstellungen, Webguides, aktuelle Bibliografien, Diskussionsforen und einen Nachrichtendienst zur Verfügung. Bestände schwedischer Unternehmen macht das Stockholmer Centre for Business History zumindest in Einzelfällen auch digital zugänglich. Das Centre des Archives du Monde du Travail (CAMT) in Roubaix/Frankreich sammelt und bewahrt Archive der „Arbeitswelt“, darunter Unternehmensbestände (von kleinen Bäckereien bis hin zu Großunternehmen), Unterlagen von Arbeitervereinigungen, Berufsverbänden und anderen Interessengruppierungen, biografische Nachlässe von Beschäftigten, Managern/innen und Unternehmenseigentümer/innen und vieles mehr. Eine online verfügbare alphabetische Liste der Fonds mit knapper, präziser Bestandsbeschreibung erleichtert den Einstieg in die Recherche.
Das Archivportal der Deutschen Digitalen Bibliothek verzeichnet auch Links zu Archiven großer deutscher Unternehmen. Komfortabler ist hier jedoch das Wirtschaftsarchivportal WAP, ein Online-Verzeichnis der Wirtschaftsarchive im deutschsprachigen Raum. Das gemeinsame Projekt der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte und der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare besteht im Wesentlichen aus einer Suchmaske, über die man einige Basisdaten der eingebundenen Archive und Links auf deren Homepages sowie auf eventuelle Online-Bestandsverzeichnisse erhält.
Unabhängig von der Existenz professionell geführter Archive nutzen natürlich zahlreiche Unternehmen ihre Homepages zur Präsentation der eigenen Geschichte. Gewöhnlich findet man die entsprechenden Links zur „Historie“ über den Button „Unternehmen“ auf den Homepages. Diese Seiten, die von kurzen Chroniken und Unternehmerbiografien bis zur Faksimilierung von Dokumenten oder kurzen Darstellungen im PDF-Format (bisweilen auch von umfangreichen Festschriften) reichen, sind unterschiedlich gehaltvoll; tendenziell steigt ihre Qualität und Verlässlichkeit, wenn ein professionelles Archiv dafür verantwortlich zeichnet. Ganz unabhängig von möglichen Restriktionen für Wissenschaftler:innen beim Zugang zu den Akten legitimieren aber Unternehmensarchive ihre Existenz innerhalb des Unternehmens als Dienstleistungsbereiche der internen und externen Unternehmenskommunikation (etwa als Abteilung „Historische Kommunikation“). Dabei muss sich insbesondere der offene Umgang mit der eigenen Geschichte in der NS-Zeit, die viele Großunternehmen in den letzten Jahren von unabhängigen Wissenschaftler:innen aufarbeiten ließen, auf den Websites nicht unbedingt wieder finden.
Historiker:innen, die seriöse Unternehmensgeschichten schreiben wollen, müssen sich ohnehin weiter selbst ins Archiv bemühen. Nichtsdestoweniger sind inzwischen etliche Homepages nützliche Hilfsmittel zur Vorbereitung von Archivrecherchen; darauf kann hier nur beispielhaft hingewiesen werden. In einigen Unternehmensarchiven kann man online in Beständen oder Bestandsübersichten recherchieren. Ein gutes Beispiel für die potenzielle Leistungsfähigkeit solcher Angebote ist die Suchmaske des BMW-Konzernarchivs, in dem eine Datenbank auch die Suche nach Verknüpfungen zu anderen Objekten – also etwa zwischen Dokumenten und Fotos – ermöglicht. Punktuell werden die einschlägigen Seiten inzwischen auch für umfangreichere Präsentationen von Dokumenten und Objekten genutzt: So hat beispielsweise die Historische Gesellschaft der Deutschen Bank bereits sämtliche Geschäftsberichte seit 1870, weitere kommentierte Dokumente und Biografien sowie historische Statistiken zur Mitarbeiterentwicklung ins Netz gestellt.[38] Sehr komfortable Recherchemöglichkeiten und auch die technikhistorisch relevantesten Informationen bietet das Archiv der Carl Zeiss AG in Jena, das über Online-Findbücher hinaus, die teils wiederum über virtuelle Organigramme des Unternehmens recherchiert werden können, ein „virtuelles Museum“ mit über 3.000 kommentierten Abbildungen ins Netz gestellt hat; darunter ist das komplette Herstellungsprogramm aus der Zeit bis 1945, das mit Original-Prospekttexten präsentiert wird. Möglich ist auch eine Recherche nach mehr als 75.000 Druckschriften. Das typische Anliegen einer historischen Unternehmens- und Produktpräsentation demonstriert indes par exellence der Auftritt des Mercedes-Benz Museums: Die technisch und optisch aufwendig gestaltete Website bietet automobilhistorisch Interessierten einen virtuellen Rundgang durch die Marken-, Modell- und Designgeschichte an, dessen sonstiger Informationsgehalt freilich für professionelle Historiker:innen eher gering ist. Das dem Museumsbereich angegliederte Daimler-Konzernarchiv selbst präsentiert sich ebenfalls ansprechend, bietet aber online keinerlei Recherchemöglichkeiten in den schriftlichen Überlieferungen zur Unternehmensgeschichte, was angesichts der Bedeutung des traditionsreichen, heute multinationalen Unternehmens für die deutsche wie die internationale Wirtschaftsgeschichte bedauerlich ist.
Mit dem Online-Museumsführer, den die GUG in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Unternehmensmuseen betreibt, ist ein Teil der insgesamt etwa 300 deutschen Unternehmensmuseen über ein Portal recherchierbar. Bei diesen unterschiedlich ambitionierten Einrichtungen handelt es sich jedoch nicht um Forschungsmuseen, von denen für den deutschen Sprachraum im unternehmenshistorischen Feld vor allem das Bochumer Bergbau-Museum und das Münchner Deutsche Museum zu erwähnen sind. Ein besonders forschungsorientiertes Museum ist das Hagley Museum in Wilmington/Delaware (USA), das auf dem historischen Gelände der 1802 gegründeten Schießpulverfabrik von DuPont angesiedelt ist. Das Museum und die dazugehörige Bibliothek bieten einige virtuelle Ausstellungen zur amerikanischen Wirtschafts-, Industrie-, Technik- und Unternehmensgeschichte, aber auch digitalisierte Bild- und Textquellen.
Über die Angebote einzelner Wirtschafts- und Unternehmensarchive hinausgehende digitalisierte Quellensammlungen zur Unternehmensgeschichte gibt es bisher nur sehr wenige. Exemplarisch sei auf die wissenschaftliche Edition der internationalen Geschäftskorrespondenz des Handelshauses L. Kniffler & Co. (1859 bis 1876) verwiesen, die an der Ruhruniversität Bochum erarbeitet wurde.
Auch das digitale Publizieren ist in der deutschsprachigen Unternehmensgeschichte bislang eher der Ausnahmefall. Etablierte englischsprachige Fachzeitschriften wie beispielsweise die britische Business History bieten ihren Autoren diese Option inzwischen aber an, damit sie die Anforderungen ihrer Universitäten an die freie Zugänglichkeit der mit öffentlichen Geldern erarbeiteten Forschungsergebnisse erfüllen können.
In der universitären Lehre spielt die Unternehmensgeschichte auch in der Bundesrepublik implizit eine wichtige Rolle, weil Unternehmen in fast in allen geschichtswissenschaftlichen Teildisziplinen als wichtige Akteure angesprochen werden, doch dezidiert unternehmenshistorische Seminare, Übungen oder gar Vorlesungen werden an deutschen Universitäten eher selten angeboten. Das hat auch damit zu tun, dass es zwar nicht an profunden deutschsprachigen Einführungen in die Unternehmensgeschichte mangelt,[48] aber sehr wohl an konkreten Hilfestellungen und Materialien zur didaktischen Aufbereitung und Vermittlung; sie liegen weder in gedruckter noch in digitaler Form vor. Einen ersten Anfang stellt in dieser Hinsicht das von der GUG entwickelte Projekt „Schule Unternehmen“ dar, das digitale Materialien für Unterrichtsmodule zu Konsum und Konsumgüterindustrie sowie zur Bankengeschichte anbietet, sich allerdings gezielt an Schüler:innen, nicht an Studierende wendet.
Speziell für Unternehmensgeschichte bzw. Business History existiert eine eigenständige Mailingliste, nämlich das von der BHC betriebene Netzwerk H-Business, das analog zu anderen H-Net-Listen sowohl als Diskussions- und Informationsplattform wie auch als Rezensionsdienst fungiert. Insbesondere für unternehmenshistorische Rezensionen ist, neben H-Soz-Kult und den sehepunkten für den deutschen Sprachraum, auf das in den USA betriebene wirtschaftshistorische EH-Net hinzuweisen. Ferner hat sich das im Januar 2010 gegründete NEP-hist Blog als ein lebhaftes internationales, nicht zuletzt auch die spanischsprachigen Länder einbeziehendes Diskussions- und Informationsforum im Internet etabliert: Ausgehend von den über „NEP: New Economic Papers“ einmal wöchentlich speziell zur Unternehmens-, Wirtschafts- und Finanzgeschichte zur Verfügung gestellten neuestens Working Papers (NEP-his-Mailingliste), regt die von Bernardo Batiz-Lazo koordinierte Redaktion des Blog immer wieder Diskussionen und Kommentare zu Themen von allgemeinem Interesse an. Die Website des Blogs bietet außerdem sehr nützliche, gesammelte Hinweise zu einschlägigen Rezensionen, die in nicht-akademischen Publikationsorganen – analog oder digital – veröffentlicht wurden; hinzu kommen Verweise auf weitere, thematisch speziellere Blogs.
Die Akzeptanz digitaler Tagungsformate förderte während der Corona-Pandemie neben den Fachvereinigungen und Lehrstühlen das internationale Business History Collective. Das im Mai 2020 in Reaktion auf die drastisch eingeschränkten Präsenzveranstaltungen entstandene Netzwerk bot bis 2022 eine Reihe von Webinaren an, die nicht zuletzt wegen der gezielten Ausdehnung in den spanischsprachigen Raum das Angebot erweiterten und teils weiterhin als Online-Präsentationen oder Videos nachvollziehbar sind.
Auch die elektronische Verfügbarkeit von ein- und weiterführender Literatur hat zugenommen. So bietet die interaktiv angelegte, bisher allerdings überwiegend passiv genutzte Enzyklopädie Docupedia-Zeitgeschichte nicht nur eine knappe Einführung in die Unternehmensgeschichte insgesamt[58], sondern auch eine in die Geschichte der Banken und Finanzmärkte.[59]
Den Versuch, die etablierte Unternehmensgeschichte angesichts der zu bewältigenden Herausforderungen durch die globalen Verflechtungen und die damit verbundene kulturelle Vielfalt mit Blick auf die Gegenstände, Themen und Perspektiven wie die Akteure, Ressourcen und Rahmenbedingungen der Forschung neu zu perspektivieren, haben Philip Scranton und Patrick Fridenson mit ihrem Buch „Reimaging Business History“ unternommen.[60] Kritische Kommentare zu ihrem Vorschlag, die inzwischen eingeschliffenen Herangehensweisen mit Hilfe von etwa 40, nur locker miteinander verknüpften „Einträgen“ zu den Oberbegriffen „Fallen“, „Chancen“, „Aussichten“ und „Ressourcen“ der Unternehmensgeschichte in Frage zu stellen, kann man als Videos von einem entsprechenden Roundtable anlässlich der European Business History Conference in Paris 2012 anschauen, die vom französischen Wissenschaftsportal „Canal U“ zur Verfügung gestellt werden. Die Unternehmensgeschichte ist hier aber ansonsten nicht sehr prominent vertreten.
Ein gutes Beispiel für das Potenzial von Websites, verschiedene Text- und Quellengattungen zu kombinieren und zugleich die schnelle Aktualisierbarkeit für die Präsentation von work in progress zu nutzen, bietet die Seite des vom Deutschen Historischen Institut in Washington betriebenen Forschungsprojekts „Immigrant Entrepreneurship: German-American Business Biographies, 1720 to the Present“, die neben den biografischen Einträgen sowohl Links auf die verwendeten Archivfindmittel als auch ergänzende Bild- und Textquellen liefert.
Darüber hinaus ist vor allem auf die im Netz auch ohne den Besuch einer Fachbibliothek verfügbaren Zeitschriften zur Unternehmensgeschichte zu verweisen. Der Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte hat alle Ausgaben der von 1992 bis 2012 erschienenen Zeitschrift „Akkumulation“ vollständig als kostenlos abrufbare PDFs ins Netz gestellt. Die „Zeitschrift für Unternehmensgeschichte“, die kostenlos zumindest die Inhaltsverzeichnisse, für die Jahrgänge seit 1978 zudem die englischsprachigen Abstracts der Artikel zur Verfügung stellt, erscheint inzwischen auch als Online-Ausgabe, deren Artikel einzeln gekauft werden können. Einzelne Aufsätze samt Illustrationen zu Spezialfragen des Wirtschaftsarchivwesens stellt die Fachzeitschrift „Archiv und Wirtschaft“ bereit. Das Frankfurter Institut für Bank- und Finanzgeschichte stellt kürzere Texte zum Themenfeld in einer „Paper Series“ online.
Das internationale Flaggschiff der Disziplin, die an der Harvard Business School herausgegebene „Business History Review“, bietet ausgewählte Aufsätze kostenlos an, der Rest kann beim Verlag online gekauft werden. Die Business History Conference gibt zwei Zeitschriften heraus. Vollständig und kostenlos im Netz findet sich seit 2003 die „Business and Economic History“, die eher den Status einer Mitgliedszeitschrift hat; die Artikel der bis 1999 gedruckten Jahrgänge wurden als PDF-Scans ins Netz gestellt. Die seit 2000 erscheinende „Enterprise & Society“, eines der international führenden Journals, zielt, wie der Titel schon sagt, besonders auf die gesellschaftsgeschichtliche Kontextualisierung unternehmenshistorischer Studien und ist für BHC-Mitglieder kostenfrei online zugänglich; die Artikel können aber auch einzeln erworben werden. Eine Ausnahmeerscheinung in diesem Feld sind die von der EBHS herausgegebenen „Essays in Economic and Business History“, die konsequent dem Open-Access-Prinzip folgen und ab 1999 online im Volltext zugänglich sind. Den Zugriff auf die Abstracts von Artikeln, die einzeln als Volltexte gekauft werden können, ermöglichen die britische „Business History“, das „Journal of Management History“, „Management & Organizational History“ sowie – als unternehmenshistorisch relevante, aber breiter angelegte europäische Zeitschriften – die „European Review of Economic History“ und die „Financial History Review“.
Die Unternehmensgeschichte hat sich auch in Deutschland als eine historische Subdisziplin etabliert, die in einem besonders engen Austausch mit der eher qualitativ argumentierenden wie der stärker quantitativ arbeitenden Wirtschaftsgeschichte steht, aber auch zahlreiche Berührungspunkte mit der modernen Gesellschaftsgeschichte aufweist. Die Aufgeschlossenheit für theoretische Angebote der systematisch arbeitenden Wirtschafts- und Sozialwissenschaften einerseits, die damit zusammenhängende methodische Vielfalt und inhaltliche Anschlussfähigkeit der unternehmenshistorischen Forschung an Themen und Fragestellungen anderer historischer Subdisziplinen andererseits, etwa der Geschlechter-, der Umwelt-, der Medien- oder der Kulturgeschichte, gibt Anlass zu der Hoffnung, dass es nicht nur zu einer immer weiteren Ausdifferenzierung der Forschungslandschaft kommt, sondern auch zu wechselseitigen Beeinflussungen und entsprechenden Erkenntnisgewinnen.
Renommierte Vordenker des Fachs wie Philip Scranton und Patrick Fridenson werfen zu Recht die Frage auf, ob die europäische Unternehmensgeschichte inzwischen nicht schon zu etabliert, routiniert und eingefahren ist, um die mit der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung – natürlich auch der Unternehmen selbst – verbundenen Herausforderungen bewältigen zu können. Das betrifft gerade auch die – noch längst nicht voll ausgeschöpften – neuen Möglichkeiten der Digitalisierung von Infrastrukturen, Ressourcen und Kommunikationswegen. Diverse Tagungen der Fachvereinigungen spiegelten in den letzten Jahren solche Suchbewegungen.
Um die entstandene „große Unübersichtlichkeit“ besser strukturieren und erschließen zu können, wäre ein zentrales, nachhaltig betreutes Portal zur Unternehmensgeschichte im europäischen, möglichst sogar globalen Maßstab zweifellos ein großer Gewinn. Mindestens ebenso wichtig sind dafür jedoch der Ausbau und die Weiterentwicklung nationaler wie regionaler Angebote digitaler Recherchemöglichkeiten für Forschung und Lehre. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Unternehmensarchive selbst, in denen – jenseits der Tatsache, dass nahezu jedes existierende Archiv mittlerweile irgendwie im Netz auffindbar sein dürfte – das Angebot an Ressourcen in den letzten Jahren offenbar nicht in dem Maße zugenommen hat wie die prinzipiell verfügbaren technischen Möglichkeiten, um die Bereitstellung und Nutzung von schriftlichen oder (audio-)visuellen Quellen zu verbessern. Ein solches Wachstum des Angebots setzt allerdings – schon, um in Unternehmen wie Forschungsförderungseinrichtungen die notwendigen materiellen Ressourcen mobilisieren zu können – wiederum eine anhaltende und möglichst zunehmende Nachfrage seitens der Geschichtswissenschaften und der Public History voraus.
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Dr. Ralf Ahrens ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der deutschen und britischen Geschichte der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik.
Dr. Friederike Sattler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Privatdozentin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Banken- und Finanzgeschichte sowie Deutschlands weltwirtschaftlichen Verflechtungen im 19. und 20. Jahrhundert.