Während digitale Geräte und Anwendungen im Alltag schon lange nicht mehr wegzudenken sind, hat eine kleine, aber wachsende Anzahl von Afrika-Historiker:innen in Deutschland in den letzten Jahren begonnen, sich mit den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten digitaler Werkzeuge und Methoden für die Forschung zur afrikanischen Geschichte zu beschäftigen.[1] Die digitale Geschichte Afrikas stützt sich dabei auf eine lange und fortwährende Beschäftigung ihrer Wissenschaftsdisziplin mit methodologischen Innovationen und zentralen Fragen zu den potenziellen Beiträgen und Grenzen digitaler Technologien in der akademischen Forschung. Die Geschichtsvermittlung in virtuellen Räumen (von der Kartierung bis hin zu Visualisierungen wie 3D-Modellen) ist ein Beispiel neuer wissenschaftlicher Praktiken, die sich im Rahmen dieses Prozesses ergeben haben. Jedoch ist die Nutzung von Online-Publikationsdiensten das wohl am weitesten verbreitete Phänomen der Digitalisierung im Bereich der Geschichte Afrikas.
Gleichzeitig hat der „digital turn“ auch neue Schnittstellen für interdisziplinäre Interaktionen hervorgebracht, zum Beispiel dort, wo Forschungsdaten in der digitalen Sphäre geteilt, gespeichert oder gesammelt werden. Diesbezüglich beobachten wir die größten Bestrebungen beim Aufbau von Fachinformationsdatenbanken für Afrikastudien. Afrika-Historiker:innen untersuchen, nutzen und nehmen zudem teil an der Entwicklung digitaler Archive. In Bezug auf die Erschließung und Digitalisierung von Archivgut werfen sie dringende Fragen zu den materiellen, kulturellen und epistemischen Formationen auf, die diesem Prozess zugrunde liegen, sowie zu dessen Auswirkungen auf ungewollte globale Abhängigkeits- und Machtverhältnisse. Unter Afrika-Historiker:innen gab es zunächst erheblichen Widerstand gegen die Digital Humanities, insbesondere auf Grund ungleicher Zugangsstrukturen angesichts des „digital divide“[2] und neokolonialistischer Tendenzen (digitaler Kolonialismus/Imperialismus),[3] bzw. potenziell neuer Formen der Enteignung in Afrika anhand der vom Globalen Norden vorangetriebenen Digitalisierung. Diese Perspektive wurde jedoch letztlich dafür kritisiert, dass sie das Bild von Afrika als eines Raums der Minderwertigkeit und Unterentwicklung reproduzierte. Natürlich gibt es nach wie vor Bedenken hinsichtlich der Benachteiligung Afrikas, zum Beispiel in Bezug auf die vielerorts unzureichend ausgebaute digitale Infrastruktur und den toxischen Elektroschrott, welcher die lokalen Küsten überschwemmt. Dennoch wird die Digitalisierung jetzt auch bezüglich ihrer Vorteile für Gesellschaften und Universitäten in Afrika diskutiert.[4] Dabei sind im Sinne eines ontologiebasierten Technologietransfers auch epistemische Aspekte des „digital turn“ zu berücksichtigen.[5] Darüber hinaus haben digitale Werkzeuge in jüngster Zeit zur Entschärfung von hitzigen Kulturdebatten beigetragen, denn viele Wissenschaftler:innen aus Afrika sehen nicht nur die Notwendigkeit einer Restitution von Museumsobjekten, sondern auch von Archiven.[6] Hier stehen thematisch die kolonialen Archive im Vordergrund. In Deutschland haben die digitalisierten Bestände des Bundesarchivs oder insbesondere des Kolonialen Bildarchivs unter der Leitung von Aïsha Othman von der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main, große Schritte in Richtung gleichberechtigterer Zugangsmöglichkeiten getan. Doch auch wenn solche Bemühungen manch unmittelbare Probleme adressiert haben, sind noch lange nicht alle Facetten der Ungleichheit damit gelöst. Die hier besprochenen Projekte im Bereich der digitalen Geschichtswissenschaft zu Afrika (und der digitalen Afrika-Studien) in Deutschland befassen sich durchaus auch kritisch mit den fortschreitenden Digitalisierungsprozessen. Dazu gehört nicht zuletzt die Thematisierung von Besitz und Zugang zu Archiven, sowie den Beziehungen zwischen Deutschland und afrikanischen Staaten auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Dieser Beitrag versucht, den Wissensstand des Forschungsfeldes der digitalen Geschichtswissenschaft zu Afrika in Deutschland zu erfassen, und erhebt weniger den Anspruch, einen umfassenden Überblick über diese Aktivitäten zu geben. Stattdessen fokussiert es sich auf eine Weiterführung einer kritischen Agenda zu diesem Bereich.[9] Zu der Frage wie Prinzipien der wissenschaftlichen Wissensproduktion demokratische Werte in einer Gesellschaft verstärken können, lässt sich zum Beispiel untersuchen, wie digitale Geschichte gefördert werden kann, ohne das menschliche Handeln (zum Beispiel in der Auswahl und Interpretation des zu untersuchenden Materials) zu übersehen. In der Hoffnung, dass die Digitalisierung eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Wissenschaftler:innen aus deutschsprachigen Ländern und Wissenschaftler:innen, Kulturschaffenden und Aktivist:innen aus afrikanischen Ländern ermöglichen kann, sollen bei der Zusammenarbeit benutzerspezifische Bedürfnisse und Konfigurationen in Afrika berücksichtigt werden. Wie können Partner:innen in Afrika diesen Fortschritt tatsächlich mitsteuern, um ihre „Bedarfen und Prioritäten“ geltend zu machen, wie es in der Afrika-Strategie des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beschrieben wird?
Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass die Umsetzung der Digitalisierung neben ihrer erheblichen Auswirkungen auf den geographischen Raum, auch einen starken Einfluss auf die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Räumen hat. Daher tauchen automatisch Spannungen auf, wenn sich ein Handbuch wie dieses auf die Wissenschaft innerhalb des deutschsprachigen Raums konzentriert, während Afrika-Historiker:Innen in Deutschland zunehmend in der Lage sind, auf verschiedene digitale Beiträge von Kultureinrichtungen, Sozialunternehmen, Philanthrop:innen und Nichtfachleuten in Afrika und anderswo zuzugreifen, mit ihnen zu interagieren und von ihnen zu profitieren. Aus diesem Grund wird in diesem Kapitel hier und da auf digitale Kommunikation aus Afrika hingewiesen.
Afrika-Historiker:innen in Deutschland beschäftigen sich zunehmend mit digitalen Methoden in der Sammlung, Analyse, Darstellung und Veröffentlichung von historischen Daten und Narrativen. Zudem hat das digitale Zeitalter einen „participatory turn“ hervorgebracht, bei dem institutionelle Entwicklungen in Deutschland dem Handeln und der Praxis einzelner Afrika-Historiker:innen im Kontext ihrer projektbasierten Forschung hinterherhinken. Ein Schlüsselbereich der Transformation durch Historiker:innen ist die Entwicklung digitaler Archive. In Folge dieser Interventionen erleben wir derzeitig eine wesentliche Veränderung der Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen Historiker:innen, Archivar:innen und anderen Informationsspezialist:innen. Neben dem Umfang und der (Infra-)Struktur der digitalen Quellen und Daten werfen Probleme im Zusammenhang mit der Einhaltung archivarischer Standards durch Einzelpersonen Fragen nach der Legitimität und Neutralität dieser Archivverwaltung auf.[11] Darüber hinaus bestehen nach wie vor Bedenken hinsichtlich der ethischen, rechtlichen und politischen Implikationen dieser digitalen „bottom-up“ Archivierung.
Und schließlich: Welche Überlegungen gibt es angesichts der Digitalisierung für die Geschichtswissenschaft im Allgemeinen? Zu diesem letzten Punkt stellte der britische Historiker Paul Nugent 2018 die Frage: „But what will future generations of historians do when states have dispensed with paper and can happily get rid of that which is inconvenient?“.[12] Wie sollen künftige Generationen Narrative anfechten und widerlegen, wenn Beweise immer schwieriger zu finden sind? Mit dieser Aussage hebt er die Schattenseiten der digitalen Zugänglichkeit hervor und deutet darauf hin, dass die Materialität digitaler Archive möglicherweise nur temporär ist.
Heute dokumentieren Twitter-Profile eine ganze Reihe von selbsternannten „Amateurarchivar:innen“, die nicht formal in den Informationswissenschaften ausgebildet sind, sich aber trotzdem dieser wichtigen soziokulturellen Arbeit annehmen. Das resultierende Archivprodukt ist (so wie es häufig bei Archiven der Fall ist), kein neutrales Produkt, sondern vielmehr eine subjektive Aussage über das Material und die Wissensproduktion selbst. In der Tat hat die Historikerin Carla Hesse schon vor mehr als zwei Jahrzehnten vorausgesagt, dass die digitale Sphäre die Art und Weise, wie Wissen produziert wird, in Zukunft grundlegend verändern wird. Sie schreibt: „In the future, it seems, there will be no fixed canons of texts and no fixed epistemological boundaries between disciplines, only paths of inquiry, modes of integration, and moments of encounter“.[13] Die Archivierung im digitalen Raum ist nicht mehr in erster Linie als ein wissenschaftliches Werkzeug zu konzipieren, welches bei der Analyse eingesetzt wird, sondern kann sich viel umfassender auf die Art und Weise auswirken, wie wir Daten sammeln, verbreiten und verstehen. Zusammen betrachtet liefern uns diese frühen dezentrierten Bemühungen frei zugängliche und zum Nachdenken anregende Modelle für den Einsatz digitaler Werkzeuge zur Bewahrung historischer Bestände, zur Wissensproduktion, zur Verbreitung von Forschungsergebnissen, zur Datenanalyse und zur Einbeziehung der Öffentlichkeit. Modelle, die in verschiedene Unterrichtsräume und Forschungspläne integriert und angepasst werden können. Es besteht jedoch ein zunehmender Bedarf, solche Bemühungen zu rationalisieren bzw. zu standardisieren, damit Wissenschaftler:innen, die hinter diesen conservation-Projekten stehen, stärker miteinander interagieren können. Diese „Ein-Mensch-Betriebe“-Interventionen (überspitzt gesagt, denn auch hier stecken in der Tat häufig verschiedene Personen dahinter), haben Förderinstitutionen von gewissen bürokratischen Belastungen und Einschränkungen (wie zum Beispiel durch nationale Urheberrechtsgesetze) befreit. Dieser Zustand hat unter anderem auch dazu geführt, dass ethische, rechtliche und andere Erwägungen zwangsläufig stark durch die persönlichen Ideale der verantwortlichen Wissenschaftler:innen geprägt werden. Dabei steht bei einigen Projekten die Erweiterung des öffentlichen digitalen Raums im Vordergrund. „Opening up sources can bring about a sensible methodological reorganization and pluralization, and contribute to the nascent relationships based around the information commons“.[14] Diesen Gedanken formulierte der Afrika-Historiker Enrique Martino als er Opensourceguinea entwickelte, ein Archiv mit über 4.700 Seiten digitalisierter Bestände, die für seine Forschungen zur Geschichte von Fernando Po und der „Bucht von Biafra“ relevant sind. Dennoch reflektiert Martino kritisch die „ethische und rechtliche Fragwürdigkeit“ der geschaffenen digitalen Montage.[16]
Andere Wissenschaftler:innen wiederum priorisierten völlig verschiedene Aspekte bei der Ausweitung der digitalen Geisteswissenschaften. In der Tat haben manche Wissenschaftler:innen bei ihren Überlegungen, wie man eine Vielfalt an Praktiken und Philosophien in die digitalen Geisteswissenschaften einbringen kann, für den Einbezug einer Ethik des „Nicht-Sehens“ plädiert. Als die Autorin dieses Textes eine Zusammenarbeit mit dem Liberian Broadcasting System (LBS) einging, um dessen Videobestand von ca. 1.200 U-Matic-Videokassetten zu digitalisieren (wie auf der Webseite der Nachwuchsforschungsgruppe Historical Cultures of Africa erläutert), bestand der ausdrückliche Wunsch, das Material zu digitalisieren, aber nicht im Internet frei verfügbar zu machen, wie es die meisten internationalen Institutionen vorschreiben, die sich für digitale Lösungen zur Bewahrung von Dokumenten in der ganzen Welt einsetzen. Die Mitarbeiter:innen des LBS begründeten dies mit der Notwendigkeit, das Urheberrecht zu respektieren. Gleichermaßen relevant war die Frage, wie man angesichts der schwierigen wirtschaftlichen und akademischen Lage in diesem Nachkriegsland Liberianer:innen überhaupt zu geistigen und finanziellen Nutznießern dieses vielfältigen digitalisierten Materials machen könnte. Des Weiteren ermöglichen Digitalisierung und digitale Archive die Entstehung von neuartigen Projekten basierend auf der Analyse von „Big Data“. Projekte, die in der Vergangenheit extrem arbeits-, kosten- und zeitaufwendig gewesen wären. Zum Beispiel erforschen Historiker, wie Brian Weatherson (A History of Philosophy Journals) und Till Grallert (Jarāʾid: A Chronology of Arabic Periodicals (1800–1929)) historische Zeitschriften mit Hilfe digitaler Methoden wie der Analyse sozialer Netzwerke, historischer geografischer Informationssysteme (GIS), thematischer Modellierung und stilometrischer Autorenzuschreibung. In ihrem Projekt zu historischen Zeitschriften aus Afrika, welches digitale (Textanalyse) und traditionelle Methoden miteinander verknüpft, nutzt die Autorin dieses Beitrags eine Reihe verschiedener Datenbanken (aus denen sie gleichzeitig ihre eigene Zeitschriftendatenbank erstellt). Datenbanken, die Volltextversionen von Zeitschriftenartikeln anbieten, die bis in die 1950er Jahre zurückreichen, wie zum Beispiel JSTOR, erfordern jedoch oft Lizenzen, die sich nicht alle Universitäten weltweit leisten können. Zumindest transferieren Datenbanken wie Sabinet (or, Sabinet African Journals) die finanziellen Gewinne nach Afrika. Ein Beispiel stellt das African e-Journals Project dar, eine Partnerschaft zwischen dem Zentrum für Afrikastudien der Michigan State University, ihren Bibliotheken und dem zugehörigen Center for Digital Humanities & Social Sciences (MATRIX) (das auch Digitalisate wie Fotografien von Mamadou Cissé, Adama Kouyaté, Abdourahmane Sakaly, Malick Sidibé und Tijani Sitou enthält) und African Journals Online (AJOL) aus Südafrika Diese Beispiele sollen auch illustrieren, dass beschleunigte Digitalisierungsbemühungen in Afrika zunehmend auch die Afrikawissenschaften in Deutschland beeinflussen. Solche Projekte sind in der Regel inhaltlich vielfältig und von der Notwendigkeit geprägt, wichtiges kulturelles Erbe aus Afrika zu bewahren. Beispielsweise ist das in Lagos (Nigeria) angesiedelte Projekt AH_Dig|Ta|Portal project ein interaktives Archiv, welches Lücken in der afrikanischen Archivlandschaft schließen soll. Es macht historische Dokumente von Fotografien und Audio-Transkripten bis hin zu Kopien seltener Archivnotizen und Manuskripten digital zugänglich. Im Jahr 2018 startete James Yeku, der in den USA lebende nigerianische Assistenzprofessor für African Digital Humanities, Digital Nollywood, ein wissenschaftliches, digitales Projekt zur Bewahrung und Ausstellung von Filmplakaten der nigerianischen Videofilmindustrie, die in den 1990er Jahren entstanden ist. Dabei handelt es sich um Kulturgüter, welche weitgehend dem Verfall preisgegeben waren.
Die oben erwähnten Lücken in der Archivierung, die von Wissenschaftler:innen, Kulturschaffenden, Aktivist:innen und Kleinunternehmen auf der ganzen Welt geschlossen werden, sind solche, die öffentliche und private Institutionen in Afrika oft, aber nicht immer, erfolglos zu füllen versucht haben. Infolgedessen sehen sich Afrika-Historiker:innen und andere Vertreter:innen der Afrikastudien in Deutschland unter anderem mit der Frage konfrontiert, wie sich ihre Interventionen, die in der Regel von mächtigen europäischen Institutionen finanziert werden, auf Berufe in den Informationswissenschaften (wie den der Archivar:in) und Staatlichkeit in Afrika auswirken werden. In „Archives, the Digital Turn, and Governance in Africa“, sehen Fabienne Chamelot, Vincent Hiribarren und Marie Rodet „The digital turn of African archives (as) an object of study in its own right, standing at the crossroads of political and economic interests.“[28] Eine Weiterentwicklung dieser Arbeit sollte regelmäßige Selbstreflexion nicht ausschließen.
Die COVID-19-Pandemie hat die Digitalisierung im Bereich der Forschung und Lehre extrem beschleunigt, und viele Universitäten und Fördereinrichtungen sind bestrebt, diesen Impuls aufrechtzuerhalten. Von einer Institutionalisierung der digitalen Geschichtswissenschaft zu Afrika sind wir jedoch noch etwas entfernt. Die Geschichte Afrikas hält also im deutschen Kontext weiterhin seine Position als Fachgebiet am Rande der Geschichtswissenschaft.
Die bisher eingerichteten Lehrstühle für die Geschichte Afrikas in Deutschland befinden sich an folgenden Standorten (in alphabetischer Reihenfolge): Bayreuth; Berlin; Leipzig; Hannover. An anderen Instituten etablierten sich Lehrstühle für Globalgeschichte, außereuropäische Geschichte, Geschichte des Imperialismus, Frühgeschichte und Islamwissenschaft, zum Beispiel an den Universitäten Hamburg; Köln; Duisburg-Essen; und in Kiel, die sich durch eigene Schwerpunkte mit der Geschichte Afrikas befassen. Vertreter:innen dieser Lehrstühle engagieren sich zusammen mit Mitgliedern des Mittelbaus in verschiedenen Verbänden, die sich, mal mehr mal weniger, mit der Digitalisierung beschäftigen.
Eine weitere Manifestierung der Afrikastudien in Deutschland stellen interdisziplinäre und institutionsübergreifende Forschungsnetzwerke und Arbeitsgruppen dar wie das Netzwerk African Studies in Europe (AEGIS), woraus sich die CRG (Collaborative Research Group) African History gebildet hat. Hier treffen sich Afrika-Historiker:innen aus Deutschland mit Kolleg:innen aus anderen Teilen Europas (zum Beispiel der Schweiz und den Niederlanden) und seltener aus Afrika. Im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) gibt es die Arbeitsgruppe Weltregionale und Globale Geschichte. Auch hier sind die Afrika-Historiker:innen vertreten. Leider ist dies in der Arbeitsgruppe Digitale Geschichtewissenschaft noch nicht der Fall. In der Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland (VAD) ist jedoch eine große Mehrheit der Afrika-Historiker:innen in Deutschland aktiv.
In der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) werden Projekte im Bereich der wissenschaftlichen Literaturversorgung- und Informationssysteme an Einrichtungen der wissenschaftlichen Informationsinfrastruktur wie zum Beispiel Bibliotheken, Archiven, Museen, Rechen- und Medienzentren gefördert. Das DFG-Förderprogramm „Digitalisierung und Erschließung“, ist nur ein Beispiel, das solche Bemühungen zur Erschließung textueller und nichttextueller Objektsammlungen veranschaulicht. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass diese Mittel seit 2020 vermehrt auch von einzelnen Wissenschaftler:innen im Rahmen von Projekten eingesetzt werden. Das Grundprinzip der Vernetzung im Sinne von Open Science scheint in den meisten dieser Projekte manifestiert zu sein.
Das von der DFG geförderte Exzellenzcluster Africa Multiple: Reconfiguring African Studies an der Universität Bayreuth hat diesem Trend der überregionalen Vernetzung mit der Einrichtung eines Digital Solutions Office unter der Leitung von Cyrus Samimi innerhalb seiner Strukturen einen zentralen Platz eingeräumt. Die Sektion Digital Solutions befasst sich mit allen Aspekten digitaler Daten des Exzellenzclusters. Neben der ontologischen Forschung mit Metadaten ist eines der Hauptziele die Schaffung einer Digitalen Forschungsumgebung (DRE), um die digitale Zusammenarbeit mit Clusterpartner:innen in Kenia, Burkina Faso, Südafrika und Nigeria und weiteren internationalen, langjährigen Partneruniversitäten und -institutionen zu ermöglichen. Diese Anstrengung steht in der Tradition von Bayreuth's „Zukunft Afrika“, bzw. der Bayreuth Academy of Advanced African Studies, welche den Austausch zwischen Wissenschaftler:innen aus aller Welt, die zu Afrika arbeiten, fördert. Die Academy erlebt im Kontext des „Africa Multiple“ Exzellenzclusters ein zweites Leben. Sie wurde ursprünglich durch den Verband CrossArea e.V. ins Leben gerufen, der sich einerseits als eine Art Dachverband für die Area Studies versteht und andererseits explizit als Verband für Transregionale Studien, Vergleichende Area Studies und Global Studies. Er entstand im Kontext der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Zentren für Regionalstudien.
Ein ähnliches Vernetzungspotential sollte auch durch den DFG-geförderten Fachinformationsdienst (FID) Afrikastudien (auch bekannt als African Studies Library) unterstützt werden. Das Projekt der Bibliothek Johann Christian Senckenberg der Goethe-Universität in Frankfurt unter der Leitung von Anne Schumann-Douosson und ihren Kolleg:innen der Bibliothek für Afrikastudien ist ein weiteres Beispiel dafür, wie transnationale Vernetzung verbessert werden kann. African Studies Library führt Katalogbestände aus Bibliotheken in Deutschland und diverser Regionen Afrikas zusammen. Des Weiteren wird ein E-Book-Paket des African Books Collective lizenziert, wodurch registrierte Nutzer:innen Zugriff auf eine durchsuchbare Datenbank haben, die mehr als 1.500 Titel von afrikanischen Verlagen umfasst. Auf diese Weise leisten deutsche Forschungseinrichtungen und Forscher:innen einen essentiellen Beitrag im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit.
Viele der bereits aufgeführten Verbände und Institutionen bieten Mailinglisten, Publikationen oder Informationen zum Tagungsgeschehen, die auf den jeweiligen Websites zu finden sind. Beispielsweise sind im Werkzeugkasten für (Nachwuchs-) Wissenschaftler*innen von der VAD Hinzu kommen digitale Publikationen wie das Online-Magazin Afrika Focus, Clio-Online. Fachportal für die Geschichtswissenschaften und die Kommunikationsplattform für Historikerinnen und natürlich das Clio-online Web-Verzeichnis. Im Index of Digital Humanities Conferences sind relevante Tagungsberichte zu finden.
Die seit 2016 an der Bibliothek Johann Christian Senckenberg der Goethe-Universität in Frankfurt am Main angesiedelte African Studies Library konzentriert sich auf die Erwerbung von schwer zugänglichen Publikationen afrikanischer Verlage. Damit wird sichergestellt, dass Publikationen aus der Region für die Forschung breit zugänglich gemacht werden können. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Aufbau eines Nachschlage- und Rechercheportals, das das gesamte Spektrum der afrikawissenschaftlichen Forschung abdeckt. Die Bestände der Bibliothek des Asien-Afrika-Instituts an der Universität Hamburg mit Monographien, Zeitschriften, Karten, Illustrationen etc. aus dem 19. und 20. Jahrhundert wurden im Rahmen des Digitalisierungsprogramms Hamburger Kulturgut Digital der digitalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Afrika-Fachbibliothek des GIGA. German Institute for Global and Area Studies veröffentlicht mit Dok-Line Afrika vierteljährlich gegenwartsbezogene sozialwissenschaftliche Literatur zu Afrika südlich der Sahara. Besonders gut vertreten sind Themen wie Multikulturalismus, Kolonialismus, Demokratie sowie andere einschlägige Teile der Zeitgeschichte. Online-Ressourcen zu afrikanischen Angelegenheiten und internationalen Beziehungen können über den Fachinformationsverbund Internationale Beziehungen und Länderkunde (FIV) ermittelt werden. Die Bielefeld Academic Search Engine (BASE) bietet einige frei zugängliche Materialien von Inhaltsanbietern wie SEALS Digital Commons (South East Academic Libraries System, Südafrika). An dem Projekt nehmen die folgenden südafrikanischen Bibliotheken teil: die Mandela University Library and Information Services; Rhodes University Library; University of Fort Hare Library; Walter Sisulu University for Technology & Science Library and Information Services.
Erschließungarbeit durch Afrikawissenschaftler:innen umfasst seit einiger Zeit die Digitalisierung historischer Dokumente sowie von Foto-, Video- und Tonaufnahmen. Wie auch an dieser Auflistung zu erkennen ist, tragen öffentliche und private Einrichtungen in Afrika sowie Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und soziale Unternehmer:innen wie African Digital Heritage derzeit zu einer wachsenden digitalen Wissensstruktur bei. Das 1991 gegründete African Music Archive unter der Leitung von Hauke Dorsch an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz verfügt über rund 15.000 Tonaufnahmen aus fast allen afrikanischen Ländern, die zum Teil bis in die 1940er Jahre zurückreichen. Besonders gut vertreten sind Äthiopien, Ghana, Kamerun, Kongo, Kenia, Nigeria und Tansania. Während der gesamte Bestand von Vinyl-Singles des African Music Archives (AMA) über den Online Public Access Catalog (OPAC) der Universitätsbibliothek der Johannes Gutenberg-Universität Mainz online recherchierbar ist, sind die Schellackplatten, LPs und CDs nur fragmentarisch auffindbar. Andere Medien können über den Zettelkatalog oder die lokale Datenbank (LIDOS) in der Bibliothek des Instituts für Ethnologie und Afrikastudien eingesehen werden. Das Archiv enthält auch relevante Zeitungsausschnitte, die nach Ländern, Musikrichtungen und Musiker:innen geordnet sind.
Unter dem Dach des Exzellenzclusters „Africa Multiple“ erforschen Lee Watkins (Rhodes University, Südafrika), Tom M. Mboya, (Moi University, Kenia) und Markus Coester (Universität Bayreuth) und andere Kolleg:innen in dem Projekt Beyond the Digital Return die Praxis der Repatriation/Restitution und Wiederaneignung von lange Zeit unbeachtetem, aber nun digital zugänglichem musikalischem und kulturellem Material. Neben anderen digitalen Archiven ist die International Library of African Music (ILAM) Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit. Sie wurde 1954 gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, die Musik der afrikanischen Länder südlich der Sahara zu bewahren, aufzuzeichnen, zu analysieren, zu archivieren, zu fördern, dazu zu lehren und zu veröffentlichen und. Dies soll dem Ziel dienen, eine Theorie des Musikmachens in Afrika zu entwickeln und die sozialen, kulturellen und künstlerischen Werte der afrikanischen Musik hervorzuheben. Das zugehörige ILAM online Photo Archive wurde durch Zuschüsse des South Africa's National Heritage Council (NHC) ermöglicht.
Aïsha Othman ist zuständig für die Sammlungsbetreuung Koloniales Bildarchiv – Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main, welches in Kooperation mit Uwe Ulrich Jäschke von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden entstanden ist.[73] Die Sammlung besteht aus ca. 53.000 ethnologischen und kulturanthropologischen Objekten wie zum Beispiel historischen Fotografien (mit unter anderem Glasplatten, Diapositiven, Printabzügen), Datierung der Objekte: 1870 bis 1950. 1891 begann die Geschäftsstelle der „Deutschen Kolonialgesellschaft“ (DKG) in Berlin den Grundstock zu einer eigenen Bildsammlung zu legen. Mitglieder stellten der DKG Originale oder Kopien ihrer Aufnahmen zur Verfügung zu denen im Anschluss Vortragsmanuskripte ausgearbeitet wurden. Zusätzlich wurden kleine Privatsammlungen und rund 15.000 Bildeinheiten aus der Sam Cohen Bibliothek in Swakopmund/Namibia in das Koloniale Bildarchiv integriert. Die Fotografien machen die Kolonialzeit in ihrer ganzen regionalen, inhaltlichen und zeitgeschichtlichen Breite und Tiefe sichtbar. Bilder zur Landschaft, zu Landwirtschaft und Tieren, Siedlungen, Schule und Mission, Handel und Verkehr sind ebenso vielzählig vertreten wie Darstellungen von Menschen und Kulturgütern.
Eine Digitale Sammlung deutscher Kolonialismus bietet auch die Staats- und Universitätsbibliothek BremenZwischen April 2017 und März 2019 wurden hier über 550 Titel zum deutschen Kolonialismus digitalisiert und in die Forschungsinfrastruktur CLARIN-D der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften integriert. Projektpartner sind die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg in Frankfurt/Main und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Die Sammlung bietet einen kostenfreien Zugang zu den Titeln.
Das Iwalewahaus widmet sich den Schwerpunkten moderner und zeitgenössischer Kunst und Musik, Alltagskultur, Medien und Archiv. Das Iwalewahaus digital collection project pflegt eine in Deutschland einzigartige Sammlung moderner und zeitgenössischer bildender Kunst aus Afrika, Asien und dem pazifischen Raum. Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf Nigeria, aber auch aus dem Sudan, Mosambik, Tansania, der DR Kongo, Haiti, Indien, Papua-Neuguinea und Australien sind Werke vorhanden.
Die Universität Erfurt betreut Kartographien Afrikas und Asiens (1800–1945). Ein Digitalisierungsprojekt zur Sammlung Perthes Gotha (KarAfAs). Als Nachlass der Verlage Justus Perthes, Gotha, Justus Perthes, Darmstadt und VEB Hermann Haack, Gotha, enthält die Sammlung Perthes eines der bedeutendsten Kartenverlagsarchive Kontinentaleuropas, das eine breit angelegte internationale Kartenproduktion seit Beginn des 19. Jahrhunderts pflegte. Der Gesamtbestand der Kartensammlung umfasst 200.000 Karten diverser Herkunft, von denen nun mehr als 35.000 Karten von Afrika und Asien aus den Jahren 1800–1945 katalogisiert, digitalisiert und der digitalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Das gesamte digitalisierte Material wird über die Digitale Historische Bibliothek Erfurt/Gotha, die von der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena betreut wird, veröffentlicht. In seiner Forschung zeigt Rouven Kunstmann, dass die Perthes-Sammlung zu Westafrika das Verständnis der Repräsentation von Staatlichkeit in Afrika vorantreibt.[78]
Dierk Lange unterhält auf seiner Website Africa and the Ancient World eine umfangreiche Bibliographie zu seinen Interessensgebieten, darunter Kanem-Bornu, Hausa-Staaten, Yoruba-Staaten, Middle Niger, Transsaharahandel, Horn von Afrika und Assyrien-Israel. Die Webseite enthält auch einige seiner eigenen Schriften.
Adam Jones initiierte zusammen mit Christina Schmidt die Erschließung von mehreren tausend Dokumenten in Form von Video- und Fotobeständen zweier evangelischer Missionen in Sachsen: der Leipziger Mission und der Mährischen Kirche. Das Projekt ist eingebunden in das länderübergreifende International Mission Photography Archive an der University of Southern California. Thematisch verwandt ist das Basel Mission Archive der Mission 21 mit seinen digitalen Beständen an visuellen und kartografischen Quellen sowie Tausenden von Nachweisen von Handschriften und teilweise seltenen Publikationen. Das Archiv dokumentiert über 200 Jahre Weltgeschichte umfassend und facettenreich: 60.000 historische Fotografien aus der Zeit vor 1950 sowie über 7.000 Karten und Pläne zeugen von den Aktivitäten der 1815 gegründeten Basler Mission in Ghana, Kamerun, Südindien, Südchina und Kalimantan (Indonesien).
Verlage wie transcript und De Gruyter verfügen über eine wachsende Zahl von afrikabezogenen Open Access-Publikationen. Die Africa in Global History in Berlin wird von Joel Glasman, Omar Gueye, Alexander Keese und Christine Whyte herausgegeben. Sie beinhaltet einige Open Access Sammelbände und Monographien wie zum Beispiel Andreas Zeman’s The Winds of History Life in a Corner of Rural Africa Since the 19th Century (2023), und Marie Hubers’ Developing Heritage – Developing Countries Ethiopian Nation-Building and the Origins of UNESCO World Heritage, 1960–1980 (2020). Fördermittel für eine Online-Publikation der Bücher kamen jeweils von der Gerda Henkel Stiftung und vom Schweizerischer Nationalfonds. Die AEGIS (Africa-Europe Group for Interdisciplinary Studies) Series with Brill strebt die Veröffentlichung von Büchern aus den verschiedensten Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften mit Bezug auf Afrika an. Es werden sowohl einzeln verfasste Werke als auch Sammelbände zu bestimmten Themen berücksichtigt. So ist zum Beispiel die African Futures Series: Africa-Europe Group for Interdisciplinary Studies, herausgegeben von Clemens Greiner, Steven Van Wolputte und Michael Bollig, frei zugänglich. Fortlaufend finden sich in Fachzeitschriften Berichte über Digital Humanities Projekte und digitale Werkzeuge im Bereich der Afrikanistik. Seit 2019 ist die 1966 entstandene interdisziplinäre Zeitschrift für Afrikastudien Africa Spectrum des Hamburger German Institute of Global and Area Studies (GIGA) eine ohne Einschränkungen zugängliche Open Access-Publikation. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zu ähnlichen Publikationen ist, dass sie von ihren Autor:innen keine Gebühren verlangt. Zudem entwickeln viele afrikanische Universitäten ihre eigenen digitalen Repositorien für die Forschungsergebnisse ihrer Studierenden und Dozierenden. Die Repositorien der University of Namibia, Lagos University (Nigeria), The American University in Cairo (Ägypten) inklusive weiterer digitaler Bestände der Bibliothek der AUC und der American University in Cairo Library collections, sowie der University of Johannesburg (Südafrika), ResearchSpace (University of KwaZulu-Natal - Südafrika), University of Pretoria Institutional Repository (Südafrika), WIReDSpace (Wits Institutional Repository on DSpace - Südafrika), UCT (University of Capetown) Libraries Digital Collections (Südafrika), UnisaIR (Unisa Institutional Repository - Südafrika), und KovsieScholar (Südafrika). Online-Ausstellungen bieten Forscher:innen eine „neue“ Möglichkeit, um Geschichten zu erzählen, mit der gleichzeitig verschiedene Zielgruppen auf der ganzen Welt erreicht werden können. Sie fungieren oft als Erweiterung physischer Ausstellungen. Das Zambian Women's History Museum nutzt die kollaborative und partizipatorische Wissensproduktion, um marginales Wissen über die Vergangenheit Sambias und die Rolle, die Frauen dabei spielten, zu thematisieren. Das Pan African Heritage Museum in Ghana versucht außerdem mit seiner physischen Sammlung und Online-Ausstellung einen Ort zu schaffen, an dem „Afrikaner:innen und die Diaspora das Wissen ihrer eigenen Vorfahren und von Historiker:innen (…) teilen“[102], und damit marginalisierte afrikanische Geschichte einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln.
Verschiedene private und öffentliche Einrichtungen, darunter Kultureinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen, religiöse Institutionen und Universitäten haben in den letzten Jahren angefangen, Online-Kurse zu afrikabezogenen Themen für eine digitale Öffentlichkeit anzubieten. Massive Open Online Courses (MOOCs) sind netzbasiertere Kurse, die frei zugänglich sind und sich an diverse Teilnehmer:innen richten. An der Universität Tübingen bietet Ellen Widder zum Beispiel den Massive open online course Geschichte: Afrikanische Geschichte im Mittelalter Verflechtungsgeschichte Europa – Afrika in deutscher Sprache als Vorlesungsvideo an.
Digitale Kommunikation ist nur ein weiteres Prisma der Public History geworden. Und das dezentralisierte, gemeinschaftsbasierte Potenzial der digitalen Kommunikation ist einer ihrer attraktivsten Aspekte. Es gibt eine wachsende Zahl von Blogs, Podcasts, audiovisuellen und anderen Plattformen und Mailinglisten, die Informationen über afrikanische Geschichte verbreiten. Aber auch öffentliche Institutionen und Verlage investieren zunehmend in diesem Bereich.
Die Universität Erfurt veröffentlicht im Rahmen der Erschließung der oben erwähnten Perthes-Sammlung in englischer Sprache einen Blog bei Hypotheses mit dem Titel Mapping Africa and Asia in dem herausragende bzw. exemplarische Fundstücke und erste Ergebnisse hervorgehoben werden.
Das Exzellenzcluster „Africa Multiple“ bietet zwei verschiedene Podcasts, Sprint Lectures on African Mobilities und Cluster Conversations, mittels derer affiliierte und Gastwissenschaftler:innen zu ihren aktuellen Forschungsthemen miteinander in Austausch treten können. Mithilfe des Podcasts History of Indian and Africana Philosophy stellen Peter Adamson, Jonardon Ganeri und Chike Jeffers die philosophischen Traditionen Indiens, Afrikas und der afrikanischen Diaspora vor. Africa Past & Present » Afripod ist ein Podcast über afrikanische Geschichte, Kultur und Politik, der von den Historikern Peter Alegi und Peter Limb (Michigan State University) betreut wird.
Der Journal of African History Podcast stellt Interviews mit Historikern vor, deren Arbeiten im Journal of African History erschienen sind. Das Journal of African History ist seit seiner Gründung im Jahr 1960 eine führende Publikation mit Expertenbegutachtung (Peer Review) über die Vergangenheit Afrikas.
Auch unterschiedliche deutsche Rundfunkanstalten leisten einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Diskussion über die Verflechtungen zwischen deutscher und afrikanischer Geschichte. Die folgenden Podcasts enthalten Episoden, die sich mit Ägyptologie, Kolonialismus mit besonderem Fokus auf deutsche Kolonialgeschichte, u. v. m. beschäftigen: Eine Stunde History, ZDF Terra X, NDR Info, SWR Wissen. Als Publikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit bildungspolitischem Auftrag trägt auch der Podcast Rosalux History „Weitere audiovisuelle Plattformen wie TikTok werden im Sinne des „digital memory“ genutzt. Afrikanists Assemble ist ein Video-Podcast, der im Rahmen des Forschungsprojekts „Recalibrating Afrikanistik“ (Universität Leipzig) — ein gemeinsames Forschungsprojekt von sechs Partneruniversitäten in Europa und Afrika, das von der VW-Stiftung gefördert wird—produziert wird. Auf Instagram bezeichnen die Moderatorin:innen Archive Liberia als „Ort des kollektiven Gedächtnisses“. Durch einen „Open Call“ werden hier Liberianer:innen und deren persönlichen Archive konsultiert, um geschichtsträchtige Dokumente gemeinsam zu sammeln und um im Nachkriegskontext ein neues kollektives Archiv, welches als Produkt der Nachkriegszeit ein spezielles Erbe trägt, zu erstellen. Das von der in St. Lucia geborenen Künstlerin und Filmemacherin Fiona Compton gegründete KnowYourCaribbean-Instagram-Profil entstand aus ihrer Frustration über den Mangel an zugänglichen, detaillierten Informationen über die Geschichte der Karibik. Somit begann sie in ihrer Freizeit, Fakten und Narrative aus Geschichtsbüchern auszugraben und zu publizieren
Immer mehr Afrika-Historiker:innen entdecken die digitale Sphäre als einen Raum für potenzielle Forschungsinnovationen und Austausch, sodass auch immer mehr Institutionen darauf drängen, ihre Materialien online zu stellen. Darüber hinaus haben die Covid-19-Pandemie und die Klimakrise dazu beigetragen, den digitalen (akademischen) Austausch zu normalisieren. Aber auch wenn Förderungseinrichtungen finanzielle Unterstützungsarbeit leisten, sollte dies nicht von der Bedeutung ablenken, die Einzelpersonen und Gemeinschaften weiterhin in Digitalisierungsprozessen spielen und spielen sollten. Der partizipative und dezentrale Charakter dieser Gemeinschaftspraktiken hat komplexe Auswirkungen auf die Governance und die Arbeit in Afrika. Während digitale Räume zu einem integralen Bestandteil des Arbeitslebens von Historiker:innen geworden sind und die Disziplin durch einen stark verbesserten Zugang zu Big Data in verschiedenen Wissensbereichen neue Möglichkeiten für die Bewahrung und Koproduktion von Wissen eröffnen, gibt es nach wie vor Bedenken, welche Rolle Afrika dabei einnimmt. Viele Institutionen und Projekte arbeiten aktiv in Richtung Vernetzung, also dem Wissensaustausch zwischen Deutschland und Afrika. Es besteht die Hoffnung, dass in Zukunft unter anderem auch in der Lehre Fortschritte erzielt werden können. Nur so kann die Digitalisierung eventuell dazu beitragen, Afrikas Stellung in der globalen Wissensproduktion zu verbessern. Offensichtlich entwickelt sich dieser Prozess parallel zu Gesprächen über Entkolonialisierung, öffentlichkeitswirksame Geschichte mit dem Ziel, Forschung mit Afrika anstatt über Afrika zu betreiben.
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Dr. Cassandra Mark-Thiesen leitet die Junior Research Group „African Knowledges and the History Public*ation“ im Exzellenzcluster „Africa Multiple“ an der Universität Bayreuth. Ihre Forschung umfasst Afrikanische- und Globalgeschichte, sowie Geschichtsschreibung und Gedenkpolitik.